AfD wirft BfV Verstoß gegen „Stillhaltezusage“ vor – „Einstufung wird vor Gericht letztlich keinen Bestand haben“
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat die AfD nach Berichten mehrerer Medien zum Rechtsextremismus-Verdachtsfall erklärt und damit eine Beobachtung der Partei mit nachrichtendienstlichen Mitteln ermöglicht. Dies berichteten der „Spiegel“, die „Süddeutsche Zeitung“ und das „ARD“-Hauptstadtstudio am Mittwoch übereinstimmend.
AfD: „Uns als Partei liegt keine offizielle Erklärung des Bundesamtes vor“
Die AfD erklärt, ihr liegt keine Erklärung zu einer Einstufung als Rechtsextremismus-Verdachtsfall vor. Sie sieht politische Motivation hinter den Bestrebungen des Verfassungsschutzes als auch in der mutmaßlichen Weitergabe von „vertraulichen Informationen“ in dem Fall.
„Laut Presseberichten soll das Bundesamt für Verfassungsschutz die gesamte AfD zum Verdachtsfall erklärt haben. Uns als Partei liegt bislang keine offizielle Erklärung des Bundesamtes vor, die das bestätigt. Sollte das BfV die AfD tatsächlich zum Verdachtsfall hochgestuft haben, wäre damit genau das eingetreten, was wir seit Mitte Februar versucht haben, durch Eilverfahren bis hin zum Bundesverfassungsgericht abzuwenden: eine Hochstufung, die dann umgehend an die Presse durchgestochen wird“, erklären die Bundessprecher Jörg Meuthen und Tino Chrupalla.
Dass einzelne Medien bereits aus einem BfV-Gutachten zitieren würden, das das Bundesamt erst an diesem Montag in einem Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln eingereicht hätte – und das der AfD selbst noch gar nicht vorläge – zeige, wie schnell streng vertrauliche Informationen aus dem BfV nach außen dringen würden – und „wie wenig die Stillhaltezusage wert war, die das BfV im Eilverfahren dazu abgegeben hatte“, heißt es seitens der Bundessprecher weiter.
AfD: Bundesamt hat sich nicht an Stillhaltezusage gehalten
Nach Ansicht von Meuthen und Chrupalla müsse sich auch das Verwaltungsgericht Köln angesichts der heutigen Presseberichte vom BfV getäuscht sehen, zumal es ausdrücklich festgestellt hätte, wie es die Stillhaltezusage des BfV verstanden hätte:
„Nämlich so, ‚dass das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht nur eine öffentliche Bekanntgabe etwa im Wege einer Pressemitteilung oder sonstiger offizieller Verlautbarung unterlassen wird, sondern auch jegliche in ihrer Wirkung gleichkommende Maßnahme der Information der Öffentlichkeit insgesamt oder einzelner Presseorgane“, zitieren sie.
„Dass sich das Bundesamt an diese Stillhaltezusage nicht gehalten hat, ist offensichtlich und ein Skandal, der die AfD gerade in einem Superwahljahr massiv zu schädigen droht. Wir werden deshalb auch hier alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um diesen Schaden so weit wie irgend möglich abzuwenden bzw. gering zu halten.“
Fest stünde für beide, dass sich die AfD trotz der aktuellen Nachrichtenlage weder in Baden-Württemberg noch in Rheinland-Pfalz noch in Hessen in ihrem Bemühen beirren ließe, überall ein gutes Wahlkampfergebnis zu erzielen. „Denn eine Hochstufung der AfD zum Verdachtsfall entbehrt jeder Grundlage und wird vor Gericht letztlich keinen Bestand haben.“
AfD größte Oppositionspartei im Bundestag mit Parteimitgliedern in allen 16 Landesparlamenten
Die Partei ist die größte Oppositionspartei im Bundestag und sitzt in allen 16 Landesparlamenten. Einen vergleichbaren Vorgang hätte es in der bundesdeutschen Geschichte noch nicht gegeben.
Mitte März stehen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz an, im September die Bundestagswahl. Vier weitere Länder wählen in diesem Jahr, darunter Thüringen und Sachsen-Anhalt.
Das Bundesverfassungsgericht hat schon vor Jahren in einem Grundsatzurteil festgestellt, dass es eine staatliche Neutralitätspflicht in Zeiten des Wahlkampfs gibt (BVerGE 44, 125). Das Grundgesetz garantiert freie Wahlen und Chancengleichheit für politische Parteien.
Der Landesvorsitzende der Hamburger-AfD Dirk Nockemann äußerte dazu:
„Der Bundesverfassungsschutz unter dem CDU-Mitglied Thomas Haldenwang agiert eindeutig politisch motiviert. Diese politische Entscheidung ist juristisch höchst angreifbar, und wir werden alle rechtlichen Mittel ausschöpfen. Der Verfassungsschutz muss die Verfassung schützen und nicht die Regierenden. Doch nun sollen vom Volk gewählte Parlamentarier im Regierungsauftrag bespitzelt und überwacht werden.
Diese Instrumentalisierung des Geheimdienstes ist unerträglich und eine Gefahr für unsere Demokratie. Die Schlapphüte machen sich damit zum Erfüllungsgehilfen von Politik und Medien. Die AfD als politischer Gegner soll mit allen Mittel ausgeschaltet werden, aber das wird ihnen nicht gelingen!“
Verfassungsschutz will keine geheimdienstliche Überwachung von Abgeordneten in Bund, Ländern und im Europaparlament durchführen
Laut „Spiegel“ verpflichtete sich der Verfassungsschutz allerdings in einem laufenden Rechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht Köln dazu, vorerst auf eine geheimdienstliche Überwachung von Abgeordneten in Bund, Ländern und im Europaparlament zu verzichten. Dasselbe gelte für Kandidaten bei den anstehenden Wahlen im Jahr 2021. Die AfD hatte gegen eine solche Einstufung durch den Verfassungsschutz und Verlautbarungen dazu geklagt.
Die Bundes-AfD hat Ende Januar vor dem Verwaltungsgericht Köln zwei Klagen und zwei Eilanträge gegen das BfV eingereicht. Wie das Kölner Gericht mitteilte hat die AfD unter anderem dafür geklagt, dem Verfassungsschutz zu verbieten, die AfD als Verdachtsfall einzustufen und dies öffentlich bekannt zu geben.
Parteivorsitzender Meuthen erklärte Ende Januar:
„Sollte das BfV die AfD offiziell zum Verdachtsfall erklären, werden wir mit allen juristischen Mitteln dagegen vorgehen – und absehbar erfolgreich sein. Denn die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen, die für eine Beobachtung zwingend erforderlich sind, liegen schlicht nicht vor.“
Voraussetzung für eine Beobachtung wären extremistische Bestrebungen, also Aktivitäten mit dem Ziel, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie der Bundesrepublik zu beseitigen. Das BfV zählt dazu Vorbereitungshandlungen, Agitation und Gewaltakte. Für eine dementsprechende Einstufung müsste das BfV der gesamten Partei im Kern diese Punkte nachweisen, damit das Verfahren Bestand haben kann.
BfV wollte sich am Mittwoch nicht zu den Berichten äußern
Das BfV wollte sich am Mittwoch nicht zu den Berichten äußern. Es erklärte auf Anfrage: „Mit Blick auf das laufende Verfahren und aus Respekt vor dem Gericht äußert sich das BfV in dieser Angelegenheit nicht öffentlich.“
Grundlage für die Beobachtung der gesamten AfD ist den Berichten zufolge ein rund 1.000 Seiten langes Gutachten des Verfassungsschutzes. Dafür hatten die Juristen und Rechtsextremismus-Experten des Amts in den vergangenen zwei Jahren etliche Belege für mutmaßliche Verstöße gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zusammengetragen.
AfD war Anfang 2019 vom Verfassungsschutz als Prüffall eingestuft
Die Gesamtpartei AfD war Anfang 2019 vom Verfassungsschutz als Prüffall eingestuft worden. Dies geschieht dann, wenn eine Organisation nicht eindeutig extremistisch ist, aber „tatsächliche Anhaltspunkte“ für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen. Nachrichtendienstliche Mittel zur Beobachtung werden im Rahmen der Prüfung noch nicht eingesetzt. Vielmehr werden die öffentlich wahrnehmbaren Aktivitäten der Partei systematisch ausgewertet.
In Thüringen und Brandenburg wird die gesamte Partei bereits durch die Landesverfassungsschutzämter beobachtet. Die Brandenburger AfD hat dagegen erst kürzlich zwei Klagen eingereicht. Die Partei wird in dem Bundesland seit 2019 als Verdachtsfall geführt. Seit März vergangenen Jahres ist das auch in Thüringen der Fall.
Die AfD hat sich in den acht Jahren ihres Bestehens von einer eurokritischen Partei mit wirtschaftsliberalem Profil zunehmend zu einer rechts-konservativen Partei entwickelt. Nun gilt sie dem Bundesverfassungsschutz – laut Berichten – als rechtsextremistischer Verdachtsfall.
Eine Chronologie:
April 2013:
Die AfD hält in Berlin ihren Gründungsparteitag ab. Bernd Lucke, Frauke Petry und Konrad Adam übernehmen den Vorsitz. Der Hamburger Wirtschaftsprofessor Lucke ist zunächst der führende Kopf.
September 2013:
Bei der Bundestagswahl scheitert die AfD mit 4,7 Prozent nur knapp.
Mai 2014:
Bei der Europawahl erreicht sie sieben Prozent.
August 2014:
In Sachsen zieht die AfD unter Führung von Landeschefin Petry mit 9,7 Prozent erstmals in ein deutsches Parlament ein.
Februar 2015:
In Hamburg gelingt mit 6,1 Prozent erstmals der Sprung in ein westdeutsches Landesparlament.
Juli 2015:
Auf dem Bundesparteitag in Essen setzt sich Petry gegen Lucke durch, Ko-Parteichef wird Jörg Meuthen. Lucke tritt aus der Partei aus. Die AfD rutscht in Umfragen auf drei Prozent.
September 2015:
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) öffnet die Grenzen für Flüchtlinge, die in Ungarn festsitzen. Die AfD hat ein neues Thema und legt in Umfragen wieder zu.
März 2016:
In Sachsen-Anhalt wird sie mit 24,3 Prozent zweitstärkste Kraft hinter der CDU.
April 2016:
Die AfD beschließt ihr erstes Parteiprogramm, in dem sie sich auf einen klaren Anti-Islam-Kurs festlegt.
September 2016:
Die AfD wird in Mecklenburg-Vorpommern mit 20,8 Prozent zweitstärkste Kraft hinter der SPD und lässt damit erstmals in einem Bundesland die CDU hinter sich.
Januar 2017:
Thüringens Landeschef Björn Höcke fordert eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“. Ein Beschluss des Bundesvorstands, ihn aus der AfD auszuschließen, bleibt folgenlos.
April 2017:
Auf dem Kölner Bundesparteitag scheitert Petry damit, die AfD auf einen realpolitischen Kurs festzulegen. Sie verzichtet auf die Bundestags-Spitzenkandidatur, die Wahlkampf-Doppelspitze bilden Alexander Gauland und Alice Weidel.
September 2017:
Bei der Bundestagswahl wird die AfD mit 12,6 Prozent drittstärkste Kraft. Petry tritt aus Fraktion und Partei aus.
März 2018:
Mit der Bildung der großen Koalition ist die AfD stärkste Oppositionspartei im Bundestag.
Juni 2018:
Gauland sagt auf einem Bundeskongress der Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA), „Hitler und die Nazis“ seien „nur ein Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“.
Oktober 2018:
Mit ihrem Einzug in den hessischen Landtag (13,1 Prozent) ist die AfD in allen 16 Landesparlamenten vertreten.
November 2018:
Die Staatsanwaltschaft Konstanz nimmt wegen einer dubiosen Spende aus der Schweiz Ermittlungen gegen Fraktionschefin Weidel auf.
Mai 2019:
Bei der Europawahl bleibt die AfD mit 11,0 Prozent hinter ihren Erwartungen zurück.
September 2019:
In Sachsen erzielt die AfD mit annähernd 28 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis bei einer Wahl.
Dezember 2019:
Gauland gibt den Parteivorsitz ab, Tino Chrupalla aus Sachsen wird neben Meuthen AfD-Bundesvorsitzender.
Februar 2020:
In Thüringen lässt sich der FDP-Politiker Thomas Kemmerich auch von AfD und CDU zum Ministerpräsidenten wählen.
März 2020:
Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft den „Flügel“ der AfD als „gesichert rechtsextrem“ ein. Der AfD-Bundesvorstand fordert daraufhin die Auflösung der Gruppierung bis Ende April.
April 2020:
Meuthen plädiert in einem Interview für eine Abspaltung des „Flügels“ von der AfD. Drei Tage später nennt er den Vorstoß angesichts heftiger Kritik einen Fehler.
Mai 2020:
Der AfD-Bundesvorstand erklärt auf Betreiben Meuthens die Parteimitgliedschaft des „Flügel“-Chefstrategen Andreas Kalbitz für nichtig.
Sommer/Herbst 2020:
In der Corona-Pandemie protestiert die AfD gegen die von Bund und Ländern unverhältnismäßig verhängten Eindämmungsmaßnahmen. Gauland wirft der Regierung im Bundestag „Kriegspropaganda“ vor und spricht von einer „Corona-Diktatur“.
November 2020:
Blogger gelangen auf Einladung von AfD-Abgeordneten ins Bundestagsgebäude und bedrängen Parlamentarier anderer Parteien. Auf einem Parteitag in Kalkar kritisiert Meuthen „Provokateure“ in der AfD. Das Höcke-Lager scheitert knapp mit dem Versuch, Meuthen „spalterisches Gebaren“ zu bescheinigen.
März 2021:
Das Bundesamt für Verfassungsschutz erklärt die AfD Medienberichten zufolge zum Rechtsextremismus-Verdachtsfall. Dies würde ihre Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln ermöglichen. (afp/er)
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