Ägyptens neues Selbstbewusstsein hält, was es verspricht

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Foto: In Sharm El Sheikh in Ägypten warten Ladenbesitzer nachts auf Kunden.Foto: Peter Macdiarmid/Getty Images
Von 23. Juni 2011

Verschiedene israelische und amerikanische Regierungsvertreter und Akademiker, die Bedenken gegenüber der neuen ägyptischen Außenpolitik äußerten, schätzen Kairos Absichten sowie die Möglichkeiten, die sich durch ein selbstbewussteres und unabhängigeres Ägypten ergeben, falsch ein.

Der Sturz des ehemaligen Präsidenten Hosni Mubarak wurde durch innere Unruhen in Ägypten ausgelöst – insbesondere durch den Mangel an politischer Freiheit und wirtschaftlicher Entwicklung. Diese Probleme müssen in den kommenden Jahren systematisch gelöst werden.

Um jedoch die Forderungen ihres Volkes zu erfüllen, wird von der neuen ägyptischen Regierung erwartet, dass sie eine größere Verantwortung übernimmt. Es wird erwartet, dass sie eine Art von arabischer Führungsrolle im Nahen Osten übernimmt, die dringend erforderlich ist und viele Jahre lang schmerzlich vermisst wurde. Manche meinen, die Mubarak-Regierung diente nur der Wahrung westlicher Interessen. Doch sie blieb tatenlos, als der Einfluss nichtarabischer Staaten wie der Türkei und des Iran sowie der islamistischen Akteure wie Hamas und Hisbollah in einer Region mit wenig Unabhängigkeit und Möglichkeiten für wirtschaftliche Entwicklung zunahm.

In dieser Hinsicht könnte ein durchsetzungsfähigeres Ägypten in eine arabische Führungsrolle als wichtiger Akteur zur Förderung der regionalen Sicherheit, Stabilität und Frieden hineinwachsen.

Anstatt als bevölkerungsreichster arabischer Staat diese Aufgabe zu erfüllen, ging es Präsident Hosni Mubarak hauptsächlich um die Aufrechterhaltung seines eigenen Regimes. Seine Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und zu Israel sowie die daraus resultierende amerikanische Hilfe waren ihm am wichtigsten.

Auch sein hartes Vorgehen gegen die Muslim-Bruderschaft diente diesem Zweck.

Unterdessen wurden die Beziehungen Ägyptens mit wichtigen arabischen Staaten dieser Region wie Syrien und nichtarabischen Akteuren wie Türkei und Iran vernachlässigt oder anscheinend ganz aufgegeben. Diese Politik und die fehlenden Beziehungen Ägyptens zum Ausland führten zu einem Verlust an ägyptischem Einfluss in dieser Region und schien der Festigung der Präsidentschaft Mubaraks zu dienen.

Das Ergebnis: Während nichtarabische Akteure wie die Türkei und der Iran erheblichen regionalen Einfluss ausübten, tat Ägypten dies praktisch gar nicht. Während die ägyptische Innenpolitik eine Revolution auslöste, verstärkte der Mangel an Führung nur den Eindruck, dass Präsident Mubaraks Politik zum Niedergang statt zur Stärkung der arabischen Welt beitrug.

Neue Grundlage

Nach der Explosion von Protesten im ganzen Land bestand die Antwort des ägyptischen Militärs vielmehr darin, die Revolutionäre zu unterstützen und zu schützen als darin, sie auseinanderzutreiben. Vermutlich erkannte das Militär sie stillschweigend an und gab ihnen eine Möglichkeit, eine neue Grundlage zu schaffen, auf der sie aufbauen konnten.

Hosni Mubarak war bereits im fortgeschrittenen Alter von 82 Jahren und sein Sohn Gamal als möglicher Nachfolger sehr unpopulär. Außerdem wurde die gescheiterte Innen- und Außenpolitik fortgesetzt. Die militärische Elite erkannte, dass es an der Zeit war, die Gelegenheit für eine vielfach geforderte Veränderung zu ergreifen.

Da die gegenwärtige ägyptische Regierung die Nation bei ihrem Übergang zu einem offeneren und freiheitlich-demokratischen System unterstützt, begann sie bereits damit, die innen- und außenpolitischen Reformen in der Weise durchzuführen, die nötig sind, um die ägyptische Führungsrolle wieder geltend machen zu können.

Es ist sicherlich verständlich, dass die Vereinigten Staaten und Israel von den Ergebnissen der jüngsten Umfrage des amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Pew Research beunruhigt sind. Denn es zeigte sich, dass 54 Prozent der Ägypter den israelisch-ägyptischen Friedensvertrag annullieren möchten und 79 Prozent eine negative Einstellung zu den Vereinigten Staaten haben. Wenn man diese Zahlen jedoch anders bewertet, wird deutlich, dass es erforderlich ist, mit einer neuen ägyptischen Regierung zusammenzuarbeiten, die ihrem Volk gegenüber Verantwortung zeigt und ihm nicht ausweicht oder es fürchtet.

Darüber hinaus bekräftigten Vertreter der ägyptischen Regierung sowie Kandidaten für die ägyptische Präsidentschaft privat und öffentlich ihren Willen, die Führungsrolle und Unabhängigkeit Ägyptens zur neuen Aussenpolitischen Linie zu machen. Trotzdem möchten sie an ihrem Vertrag mit Israel festhalten und die strategischen Beziehungen mit den Vereinigten Staaten zum Schutz ihrer nationalen Sicherheit und wirtschaftlichen Interessen aufrechterhalten.

Die Aufhebung des Friedensvertrags mit Israel hätte enorme politische, wirtschaftliche und militärische Auswirkungen, die jede Aussicht auf Fortschritte in diesen Bereichen zunichtemachen und Ägyptens Bestrebungen nach seiner regionalen Führungsrolle schnell ein Ende setzen würden.

Kürzlich wiederholte der neue ägyptische Außenminister Nabil Elaraby in einem Interview mit der Washington Post, dass Ägypten „seit dem ersten Tag [der neuen Regierung] sehr deutlich machte, dass wir eine neue Seite der Beziehungen mit allen Ländern in der Welt aufschlagen möchten“.

In Bezug auf Ägyptens Beziehungen zu den USA sagte der Außenminister, er erwarte, dass sie „stärker als je zuvor“ werden – und mit Blick auf Israel bemerkte er: „Ägypten wird jede Vereinbarung erfüllen und sich an jeden eingegangenen Vertrag halten.“ Aufgrund dieser Zusicherungen schnürten die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Partner ein weiteres wichtiges wirtschaftliches Hilfspaket einschließlich Schuldenerlass, um Ägypten Starthilfe bei der Überwindung seiner wirtschaftlichen Probleme zu geben.

Drei Anliegen des Westens

Dennoch konzentrieren sich westliche Ängste gegenüber der neuen Richtung der ägyptischen Außenpolitik auf drei zentrale Anliegen: dabei geht es um das Verhalten der neuen Regierung gegenüber der Muslim-Bruderschaft, der Hamas und dem Iran.

Die Muslim-Bruderschaft wird zweifellos eine wichtige Rolle in Ägyptens Zukunft spielen. Unter dem Mubarak-Regime ließ sie sich nicht erfolgreich unterdrücken und eine Fortsetzung dieses Vorgehens würde im Gegensatz zum Geist der Freiheit und Demokratie stehen, der die Revolution vorantrieb.

Es ist wichtig festzustellen, dass die Muslim-Bruderschaft die Revolution nicht anführte. Dies war im Großen und Ganzen eine weltliche Revolution, die versuchte, die gleiche Art von Freiheiten und wirtschaftlichen Möglichkeiten, die der Westen genießt, nutzen zu können.

Darüber hinaus führte die ägyptische Revolution nicht durch die Anwendung der gewaltsamen Methoden der islamistischen Extremisten, sondern aufgrund von friedlichen Protesten auf der Straße zum Erfolg. Die neue ägyptische Regierung und vor allem das ägyptische Militär werden jetzt nicht die Hoffnung ihrer Bürger auf eine bessere Zukunft gefährden, indem sie der Bruderschaft erlauben, die Revolution für sich zu vereinnahmen.

Vielmehr tragen eine stärkere Führungsrolle in dieser Region und eine Verbesserung der wirtschaftlichen Entwicklung im Inland dazu bei, dass die neue Regierung die Bruderschaft vereinnahmt, anstatt sie zu unterdrücken und zu verdrängen. Wenn die neue ägyptische Regierung ihrem Volk gegenüber mehr Verantwortung tragen soll, dann muss sie sich gegenüber der Bruderschaft klar abgrenzen. Sie muss darauf hinweisen, dass ihre Teilnahme an der nationalen Politik willkommen ist, dass sie sich aber auch als politische Partei und nicht als Sekte der islamistischen Revolutionäre zu verstehen und an die Regeln der Politik zu halten hat.

Außerdem sollte die ägyptische Regierung die Bruderschaft an der Umsetzung wichtiger sozialer und wirtschaftlicher Entwicklungsprogramme teilhaben lassen, da sie in diesen beiden Bereichen Popularität genießt.

Eine größere politische Rolle für die Muslim-Bruderschaft wird zu einer größeren Verantwortung für die Gemeinschaft führen und aus dieser Verantwortung ergeben sich dann auch Rechenschaftspflicht sowie die Bereitschaft zur Mäßigung und zu Kompromissen. Somit wird die Einbeziehung der Muslim-Bruderschaft zu einem wichtigen Bestandteil bei der Schaffung einer Beziehung zwischen Religion und Staat. Sie kann einzigartig auf die ägyptische Gesellschaft angepasst werden, und zwar noch unter den wachsamen Augen des Militärs.

Die Versöhnung zwischen Hamas und Fatah ist der erste Hinweis auf die Möglichkeit eines stärkeren, einflussreicheren Ägyptens nach Mubarak. Ein Konflikt, den die Mubarak-Regierung jahrelang schlichten wollte, wurde von der neuen ägyptischen Regierung in weniger als drei Monaten beendet.

Unter Mubaraks Herrschaft verstärkte das Fehlen einer einflussreichen arabischen Führung indirekt die gewaltsamen Konflikte zwischen Israel und der Hisbollah sowie zwischen Israel und der Hamas. Bereits während der Verhandlungen über die Vereinigung von Hamas und Fatah erklärte die Hamas ihre Bereitschaft, Mahmoud Abbas Verhandlungen mit Israel zu ermöglichen. Dabei ging es um einen palästinensischen Staat im Westjordanland und im Gazastreifen. Die Hamas versprach auch im Sinne des Versöhnungsabkommens, keine Gewalt anzuwenden.

Das gespannte Verhältnis der Regierung Mubarak mit der Hamas, dem Ableger der Bruderschaft im Gaza, verhinderte, dass Ägypten die Stellung der Hamas wirksam einschränken oder in den israelisch-palästinensischen Auseinandersetzungen vermitteln konnte.

Während sich Ägypten gegenüber der Hamas und seine Grenze zum Gazastreifen öffnet, was in Israel für Aufregung sorgen kann, möchte Ägypten weiterhin für Stabilität und Sicherheit entlang seiner Grenzen, vor allem mit Israel, sorgen, während es die Hamas von Syrien und Iran distanziert.

In der Tat könnte Ägypten wohl kaum seine eigenen nationalen Sicherheitsinteressen schützen, wenn es so verrückt wäre, den Schmuggel von Waffen an die Hamas über die neue offene Grenze zu ermöglichen. Ein neuer Flächenbrand zwischen Israel und Hamas würde Ägyptens neue politische Initiative ernsthaft untergraben. Darüber hinaus wäre es nach der Öffnung des Grenzübergangs Rafah zwischen dem Gazastreifen und Ägypten leichter, internationalen Druck auf Israel wegen seiner Blockade des Gazastreifens auszuüben und gleichzeitig die ägyptische Kontrolle über den Streifen zu verbessern.

In der Tat könnte Ägypten aus einer besseren Position heraus den Einfluss der Hamas erfolgreich einschränken, den Abschuss von Raketen nach Israel beenden und auch die Freilassung des gefangenen israelischen Unteroffiziers Gilad Shalit bewirken.

Ägypten könnte aufgrund seiner wieder aufgenommenen Verbindungen zum Iran durchaus auch für eine Verbesserung der diplomatischen Beziehungen zu diesem Land sorgen. So äußerte sich Omar Moussa, der Generalsekretär der Arabischen Liga und einer der führenden Kandidaten für die Präsidentschaft Ägyptens, kürzlich gegenüber der Washington Post: „Der Iran ist nicht der natürliche Feind der Araber und sollte es auch nicht werden. Auf der Grundlage von friedlichen und weniger angespannten Beziehungen mit dem Iran haben wir viel zu gewinnen.“

Ägypten muss nicht Irans Feind sein, aber es ist ein natürlicher Konkurrent. Wenn Ägypten die Führungsrolle in der arabischen Welt wahrnehmen möchte, sollte es zum Dialog fähig sein und Einfluss auf die Nationen der gesamten Region, von Israel bis zum Iran, ausüben können. So wie Ägypten von seinen aufkeimenden Beziehungen mit der Hamas und den Muslimbrüdern profitieren kann, bieten auch Gespräche zwischen Ägypten und Iran eine Chance, Irans nukleare Absichten besser einschätzen zu können. Ägypten wäre dann sogar in einer besseren Position als die Türkei, um bei Teherans Konflikten mit dem Westen zu vermitteln.

Kein anderes Land hat bessere Möglichkeiten als Ägypten, Irans Einfluss zum Wohle der gesamten Region einzuschränken. Es könnte den Iran auch am deutlichsten vor den möglicherweise katastrophalen Folgen einer Fortsetzung der existentiellen Bedrohung Israels warnen.

Was die Vereinigten Staaten und Israel schließlich weiterhin beunruhigt, ist die Frage, wie sich diese neuen Initiativen auswirken werden und wie Ägyptens nächster Schritt aussehen könnte.

Sicherlich wird das neue Ägypten Zeit brauchen, um seine neue Position in der Region zu entwickeln. Anstatt jedoch Ägyptens neues Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit als Bedrohung zu empfinden, sollten die Regierungsvertreter in Washington und Jerusalem in der neuen ägyptischen Führungsrolle eine wichtige Möglichkeit erkennen, die Beziehungen mit der arabischen Welt zu verbessern. Denn so ließen sich diese Ziele viel leichter erreichen.

Eine Ausgabe dieses Artikels wurde im Jerusalem Post Magazine veröffentlicht. Alon Ben-Meir ist Professor für internationale Beziehungen am Center for Global Affairs an der New York University.

Artikel auf Englisch: Egypt’s Newfound Assertiveness Holds Promise

 

 



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