Abschiedstournee oder letzte Trumpfkarte?
In neun Tagen werden die Bürger in jenen Teilen der Ukraine, die unter der Kontrolle der Regierung stehen, in einer Stichwahl entscheiden, wer künftig als Präsident die Geschicke des Landes lenken wird. Für den Amtsinhaber Petro Poroschenko ist die Lage beinahe hoffnungslos. Kaum eine Umfrage im Land weist für ihn einen Rückstand von weniger als 30 Prozent auf den Sieger des ersten Wahlgangs aus, den Kabarettisten Wolodymyr Selenski.
Auch hat bis dato keiner der ausgeschiedenen Kandidaten, nicht einmal jene der nationalen Rechten, für die Stichwahl eine Empfehlung zu Gunsten Poroschenkos ausgesprochen. Zu groß ist die Furcht, damit ein totes Pferd zu reiten und sich damit selbst zu schaden. Mittlerweile soll Poroschenko sogar im nationalgesinnten Westen der Ukraine hinter Selenski zurückliegen.
Poroschenko, dessen Zustimmungswerte vor einem Jahr sogar in den einstelligen Bereich gesunken waren, führte bereits im Vorfeld der anstehenden Stichwahl einen Kampf, den er nicht gewinnen kann. Mag es im Wege einer Gesamtbetrachtung der Entwicklung seit dem Umsturz auf dem Kiewer Maidan durchaus Argumente dafür geben, das Glas als halbvoll zu betrachten, herrscht in weiten Teilen der Bevölkerung der Eindruck vor, es sei halbleer.
Bevölkerung sieht Poroschenko als Sinnbild für vergebene Chancen
Krieg, steigende Lebenshaltungskosten, Armut, Unsicherheit über die künftige Wirtschaftsentwicklung und eine nach wie vor grassierende Korruption lassen das Land weit hinter den Hoffnungen zurückbleiben, die viele mit der sogenannten „Revolution der Würde“ verbunden hatten. Und der erste gewählte Präsident nach dem Umsturz, Petro Poroschenko, wird als Person eben mit all dem verbunden, was seither geschehen oder nicht geschehen ist.
Insbesondere, was den Kampf gegen die Korruption anbelangt, will Poroschenko Vorwürfe der Untätigkeit nicht auf sich sitzen lassen. Im Juni des Vorjahres erläuterte er in einem Gastkommentar für die „Washington Post“, dass die breite Unterstützung im Parlament für die Errichtung eines eigenen Anti-Korruptions-Gerichtshofs Ausdruck der Entschlossenheit in der Politik sei, diesem Übel entschlossen den Kampf anzusagen. Es werde nicht der letzte Schritt sein.
Kritik an einem angeblich zu wenig entschlossenen Vorgehen käme, so der Präsident, von „Populisten“, die selbst kein Interesse an der Korruptionsbekämpfung hätten, und Oligarchen, die sich gemeinsam mit ihrem Vermögen in den Westen abgesetzt hätten und die Ersten wären, die sich bei einer Rückkehr in die Ukraine vor diesem Gericht verantworten müssten.
Beamte und Politiker müssten zudem ab sofort eine vollständige Erklärung über ihr Vermögen abgeben, was eine Regelung darstelle, die so streng bislang noch in keinem Land gelte. Man habe umfassende illegale Bereicherungsstrukturen zerschlagen, die sich um Mehrwertsteuererstattungen gerankt hätten. Und es sei gelungen, insgesamt 1,5 Milliarden US-Dollar an gestohlenen Vermögenswerten aus Übersee zurückzuholen. Die größte Bank des Landes, die zuvor 5,5 Milliarden US-Dollar gewaschen hätte, sei nationalisiert worden und Energieriese Naftohas sei mittlerweile vom Empfänger von Subventionen in Höhe von drei Prozent des Budgets zum Nettozahler geworden.
Oberster Gerichtshof kippt Gesetz gegen die Korruption
Jüngst hat der Oberste Gerichtshof jedoch, wie ukrainische Medien berichten, das Antikorruptionsgesetz aus dem Jahr 2015 gekippt, weil dieses die Unschuldsvermutung verletze. Auf Grund dieser Entscheidung mussten 65 Ermittlungsverfahren vor dem Antikorruptionsgericht eingestellt werden. Auch für Poroschenko selbst ist dies ein herber Rückschlag.
Bezüglich der wirtschaftlichen Engpässe macht der Amtsinhaber auch Russlands hybride Kriegsführung im Donbass verantwortlich. Neben 10 000 Menschenleben habe der Krieg im Osten des Landes zwei Millionen Menschen zur Flucht gezwungen und einen wirtschaftlichen Verlust von etwa 100 Milliarden US-Dollar bewirkt. Während Moskau den Konflikt als Bürgerkrieg betrachtet, den die Maidan-Regierung in Kiew durch feindselige Akte gegen die russischsprachige Bevölkerung im Osten selbst provoziert habe, sieht man in Kiew den russischen Geheimdienst und russische Armeekreise hinter den Separatisten. Moskau versuche auf diese Weise, zu verhindern, dass die Ukraine von ihrer Hinwendung zum Westen profitiere.
Was das heutige Treffen mit Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel anbelangt, weist Regierungssprecher Steffen Seibert Spekulationen zurück, die deutsche Regierungschefin würde sich auf diese Weise in den Wahlkampf einmischen und versuchen, Poroschenko noch einmal einen möglichen Vorteil zu verschaffen. Im Rahmen des Treffens wollten Merkel und Poroschenko die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen zum Konflikt in der Ostukraine, die Situation derzeit von Russland festgehaltener Seeleute und die grundsätzliche Situation an der Straße von Kertsch erörtern.
Nur wenige Stunden später besucht Poroschenko dann in Paris Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron. Dieser will allerdings bereits zuvor auch Poroschenkos Herausforderer Selenski zu einem Gespräch treffen. Dass Merkel diesen nicht empfängt, wird ihr vielfach als Parteinahme zugunsten Poroschenkos ausgelegt.
„Wahl zwischen mir und Putin“
Das Umfeld des Präsidenten versucht die Termine mit den beiden westeuropäischen Staatschefs ebenfalls als „öffentliche Demonstration der Unterstützung für die Politik des Präsidenten“ darzustellen, so etwa Oleh Belokolos vom „Maidan für auswärtige Angelegenheiten“ laut „Spiegel“.
Außerdem setzt Poroschenko in der letzten Phase des Wahlkampfes mehr denn je auf die antirussische Karte, indem er auf Plakaten suggeriert, die bevorstehende Wahl zwischen ihm und Selenski wäre tatsächlich eine zwischen ihm und Russlands Präsidenten Wladimir Putin.
Tatsächlich wäre der Kreml nicht unglücklich, den Politneuling künftig an der Spitze des Nachbarstaates zu sehen. Immerhin hat der russischsprachig aufgewachsene und in Russland als Fernsehstar beliebte Selenski erklärt, den Krieg im Donbass durch Dialog beenden zu wollen. Allerdings ist es Selenskis erklärtes Ziel, nicht nur die volle Kontrolle über den Donbass wiederzuerlangen, sondern auch jene über die Krim.
Dies will er jedoch nicht mit militärischen Mitteln erreichen. Sein Konzept lautet, die Ukraine so erfolgreich zu machen, dass die Bürger der Halbinsel früher oder später von sich aus eine Zugehörigkeit zur Ukraine jener zur Russischen Föderation vorzögen. (Mit Material der dpa)
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