20.000 Euro pro Migrant: EU-Mitgliedstaaten werden bei Nichtübernahme zur Kasse gebeten

Wer seinen Flüchtlingsanteil aus EU-Frontländern wie Italien nicht übernimmt, soll dafür aufkommen müssen – und zwar mit 20.000 Euro pro Migrant. Auf diese und andere EU-Asylbestimmungen einigten sich die Innenminister der 27 EU-Mitgliedstaaten am 8. Juni in Luxemburg.
Titelbild
Zwei Soldaten der Küstenwache beobachten das Anlegen eines Fischerboots mit 600 Migranten an Bord im Hafen von Catania am 12. April 2023 in Catania, Italien.Foto: Fabrizio Villa/Getty Images
Von 9. Juni 2023

Die EU hat sich auf verschärfte Reformen ihrer Migrations- und Asylgesetze geeinigt. Mitgliedsländer, die sich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, sollen mit 20.000 Euro pro Kopf zur Kasse gebeten werden.

Die mehrheitliche Einigung der 27 Mitgliedstaaten bezeichnete die schwedische Einwanderungsministerin Maria Malmer Stenergard nach jahrelangen Streitigkeiten als „historisch“. Sie hatte die Verhandlungen am 8. Juni bei einem Innenministertreffen in Luxemburg geleitet, die 12 Stunden andauerten.

„Ich hätte nicht geglaubt, dass ich hier sitzen und dies sagen würde […], aber wir haben allgemeine Ansätze zur Verordnung über die Verwaltung von Asyl und Migration und zur Verordnung über das Asylverfahren angenommen“, verkündigte Stenergard, wie aus einer schwedischen „Tageszeitung“ hervorgeht.

Freikauf-Regel: 20.000 Euro pro Migrant

Einer der Hauptstreitpunkte bestand darin, dass EU-Länder sich gegenüber Grenzländern solidarisch zeigen sollten, in denen viele Flüchtlinge und Migranten gleichzeitig ankommen. Der Vorschlag sieht vor, dass 30.000 Migranten, die sich beispielsweise in Italien, Griechenland oder Malta aufhalten, in andere Mitgliedstaaten überstellt werden sollten, die dann das Asylverfahren übernehmen. Die Verteilung sollte auf der Grundlage des jeweiligen BIP und der Bevölkerungszahl der EU-Länder erfolgen.

Eine Einigung zu diesem Punkt sei aber erst erzielt worden, nachdem die Idee der „Zwangsumsiedelung“ verworfen wurde. Stattdessen beschlossen die Mitgliedstaaten, dass jedes Land, das nicht in der Lage sei, Migranten aufzunehmen, einen finanziellen Beitrag von 20.000 Euro pro Migrant leisten soll.

Die Zahlungen werden in einen gemeinsamen EU-Fonds fließen, der von der EU-Kommission verwaltet wird. Mit dem Geld sollen Projekte finanziert werden, die die Ursachen der Migration bekämpfen sollen, so EU-Beamte.

Ferner werde mit der erzielten Einigung nun erstmals eine Möglichkeit geschaffen, Asylverfahren direkt an Europas Außengrenzen abzuhandeln. Auf diese Weise könnten Menschen mit geringen Aufnahmechancen gar nicht erst in die EU gelangen. Dafür sollen Asylzentren in Grenznähe errichtet werden. Wer keinen Asylgrund hat, muss abgewiesen werden. Alle anderen werden in den normalen Asylprozess überführt.

Migrationsministerin Stenergard betonte, dass die EU den Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen in die EU kommen, auf diese Weise signalisiert, dass sie nach einem Schnellverfahren zurückkehren müssen. „Ich denke, dies wird die Zahl der Ankünfte verringern und ist eine Möglichkeit, den schrecklichen Flüchtlingsschmuggel zu bekämpfen“, sagt Frau Malmer Stenergard laut der schwedischen „Tageszeitung“.

Nancy Faeser für Ausnahmen bei Grenzverfahren

Die Bundesregierung hatte sich in den Verhandlungen nachdrücklich dafür eingesetzt, dass Familien mit Kindern von den sogenannten Grenzverfahren ausgenommen werden. Um den Durchbruch zu ermöglichen, musste sie allerdings akzeptieren, dass dies doch möglich sein könnte.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser bezeichnete das Übereinkommen letztlich als „historischen Erfolg – für die Europäische Union, für eine neue, solidarische Migrationspolitik und für den Schutz von Menschenrechten“. Nach der Entscheidung teilte sie allerdings mit, dass sich die Bundesregierung gemeinsam mit Portugal, Irland und Luxemburg weiter für Ausnahmen einsetzen wird.

Bundeskanzler Olaf Scholz hatte in Rom vor einem Treffen mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni Italien seine Unterstützung zugesichert. Italien dürfe mit der Bewältigung der ankommenden Migranten nicht allein gelassen werden, sagte Scholz in einem Interview mit einem italienischen Medium. „Italien, Griechenland und die anderen Mittelmeerländer stehen vor einer großen Herausforderung, da die Zahl der Menschen, die an ihren Grenzen ankommen, steigt“, so Scholz.

Deutscher Landkreistag lobt Grenzverfahren

Der Deutsche Landkreistag hat die Einigung der EU-Länder auf Asylverfahren an Europas Außengrenzen gelobt. „Die gestrigen Ergebnisse zeigen, dass eine Reform des europäischen Asylrechts möglich ist. Daran hat auch Deutschland entscheidenden Anteil. Das ist gut so“, erklärte Landkreistagspräsident Reinhard Sager am Freitag.

Die Landkreise würden erwarten, dass die gefundene Linie bei den weiteren Verhandlungen auf europäischer Ebene durchgehalten wird. „Neben den aus unserer Sicht wichtigen Grenzverfahren muss auch die gerechtere Verteilung der Flüchtlinge in der EU dringend umgesetzt werden“, betonte Sager.

Diese Maßnahmen seien nötig, um die Zuwanderung zu steuern und die irreguläre Einwanderung zu begrenzen. „Das brauchen die Landkreise vor dem Hintergrund, dass die Kapazitäten für die Aufnahme, aber auch und vor allem für die Integration neu ankommender Menschen ausgeschöpft sind.“

Am Ende nur noch Polen und Ungarn dagegen

Bei der Sitzung am Donnerstag wollten zunächst Polen, Ungarn, Griechenland, Italien und Österreich mit Nein abstimmen, wie aus einem Bericht einer schwedischen Tageszeitung hervorgeht. Italien habe dabei den Plänen der Asylreform zunächst besonders skeptisch gegenübergestanden.

Deshalb seien die Verhandlungen mehrmals vertagt worden. Am Ende hatten nur noch Polen und Ungarn dagegen gestimmt und Bulgarien, Malta, Litauen und die Slowakei enthielten sich. Für eine Einigung reichte die Zustimmung von 55 Prozent der Mitgliedstaaten, also von mindestens 15 EU-Ländern, wenn diese insgesamt 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.

Für das endgültige Ergebnis müssen die EU-Mitgliedstaaten noch mit dem Europaparlament verhandeln. Diplomaten zufolge werde sich dieser Schritt aber als sehr schwierig gestalten, da die Positionen „meilenweit“ auseinanderliegen würden. Die Bundesregierung drängt auf einen Abschluss der Asylreform bis zur Europawahl im Juni 2024.



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