Aus Gewissensgründen: Whistleblower steckte ungeschwärzte RKI-Files durch

Bislang lagen nur die teilweise geschwärzten RKI-Protokolle von Januar 2020 bis April 2021 vor. Nun hat ein Whistleblower aus dem Robert Koch-Institut sämtliche Protokolle bis Sommer 2023 geleakt – sogar in einer komplett lesbaren Fassung. Die freie Journalistin Aya Velázquez sieht darin einen Meilenstein zur Corona-Aufarbeitung.
Pressekonferenz zur Veröffentlichung der vollständig ungeschwärzten RKI-Files und des Zusatzmaterials am 23. Juli 2024 in Berlin. Von links: Prof. Stefan Homburg, Aya Velázquez, Bastian Barucker. Foto: Bildschirmfoto/X
Pressekonferenz zur Veröffentlichung der vollständig ungeschwärzten RKI-Files und des Zusatzmaterials am 23. Juli 2024 in Berlin. Von links: Prof. Stefan Homburg, Aya Velázquez, Bastian Barucker.Foto: Bildschirmfoto/X
Von und 23. Juli 2024

Ein Rechercheteam um die freie Journalistin Aya Velázquez hat am 23. Juli 2024 eine vollständig lesbare Fassung der Protokolle des RKI-Krisenstabs aus der Zeit von Januar 2020 bis Juni 2023 nebst Zusatzmaterial auf einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt. Auf dem Podium standen ihr der Finanzexperte Prof. Stefan Homburg und der freie Journalist Bastian Barucker zur Seite.

Bisher lagen die RKI-Dokumente nur teilweise geschwärzt und bis April 2021 vor. Nun sind weitere rund 1.500 Seiten dazugekommen. Die Namen sämtlicher Beteiligten sind damit kein Geheimnis mehr.

Schweigen aus Gewissensgründen gebrochen

Velázquez hatte die Dateien nach eigenen Angaben von einer Whistleblowerin oder einem Whistleblower zugespielt bekommen. Es handele sich um eine ehemalige Mitarbeiterin oder einen ehemaligen Mitarbeiter des Robert Koch-Instituts (RKI), der/dem sein Gewissen keine Ruhe gelassen habe: Wissenschaftliche Prinzipien seien „ein Stück weit verraten“ worden, das Institut sei politischen Weisungen „vorauseilend entgegengekommen“, so der Beweggrund der Person nach Schilderung von Velázquez.

Jedes Medium, das sich nicht lächerlich machen wolle, müsse jetzt schon aus diesem Grund über den Leak berichten, gab Velázquez zu bedenken. „Das Schöne ist, dass wir nun die Entscheidungen der Bundesregierung und auch die wissenschaftlichen Empfehlungen des RKI auf ihre wissenschaftliche Grundlage hin überprüfen können.“ Dazu werde insbesondere das Zusatzmaterial gute Dienste leisten: Es enthalte mit zehn Gigabyte noch weit mehr Daten als die Protokolle.

Die freie Journalistin Aya Velázquez auf der Pressekonferenz zur Veröffentlichung der vollständig ungeschwärzten RKI-Files am 23. Juli 2024 in Berlin. Foto: Bildschirmfoto/X

Die freie Journalistin Aya Velázquez auf der Pressekonferenz zur Veröffentlichung der vollständig ungeschwärzten RKI-Files am 23. Juli 2024 in Berlin. Foto: Bildschirmfoto/X

Velázquez‘ Kollege Barucker argumentierte ähnlich: Es sei an der Zeit, dass die Presse ihren Job mache und die Öffentlichkeit endlich aufkläre. Alles andere wäre für ihn „ein Verrat an den Kindern und Jugendlichen dieses Landes“, die bekanntermaßen am stärksten unter der Coronapolitik gelitten hätten. Bislang seien skeptische Stimmen zu diesem Thema ja weitgehend aus dem Debattenraum entfernt worden, kritisierte der Journalist.

Wandel in Haltung des RKI erkennbar

Velázquez betonte, sie selbst habe über die Chronik der Protokolle festgestellt, dass etwa 20 Prozent der Mitarbeiter des RKI der Coronapolitik anfangs noch durchaus kritisch gegenübergestanden hätten. Im Lauf der Zeit aber hätten sie wohl gelernt, „wie der Hase läuft“. Das soziale Klima am RKI sei wohl immer meinungsfeindlicher geworden. Sei man dort zu Beginn noch stärker „wissenschaftlichen Standards gefolgt“, so habe man sich später selbst in die politische Perspektive „hinein eskaliert“.

Dass es den RKI-Leuten gar nicht so recht war, stets die Beschlüsse der Politik nach außen vertreten zu müssen, geht unter anderem aus einer Protokollstelle vom 10. September 2021, Seite 6, hervor. Dort heißt es: „Die Weisungsbefugnis des Ministers bei technischen Dokumenten des RKI wird derzeit […] rechtlich geprüft. Aktuelle Einschätzung der RKI-Leitung ist, dass die Empfehlungen durch das RKI in der Rolle einer Bundesbehörde ausgesprochen werden, und einer ministeriellen Weisung zur Ergänzung dieser Empfehlung nachgekommen werden muss, da das BMG die Fachaufsicht über das RKI hat und sich als Institut nicht auf Freiheit der Wissenschaft berufen kann. Die wissenschaftliche Unabhängigkeit des RKI von der Politik ist insofern eingeschränkt“ (Hervorhebung: Epoch Times).

Dass dem so war, untermauerte Prof. Homburg unter anderem mit einem Eintrag vom 29. Oktober 2021, nach dem der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) allen Menschen eine Booster-Impfung nahegelegt habe, obwohl dies von der Ständigen Impfkommission (STIKO) gar nicht empfohlen worden war.

RKI-Files vom 29. Oktober 2021: BMG-Chef Jens Spahn empfiehlt allen die Booster-Impfung, obwohl diese von der STIKO nicht empfohlen wurde. Trotz mangelnder Daten plädierte er auch für die doppelte Impfung von Genesenen. Foto: Grafik/RKI

RKI-Files vom 29. Oktober 2021: BMG-Chef Jens Spahn empfiehlt allen die Booster-Impfung, obwohl diese von der STIKO nicht empfohlen wurde. Trotz mangelnder Daten plädierte er auch für die doppelte Impfung von Genesenen. Foto: Grafik/RKI

„Pandemie der Ungeimpften“ fachlich falsch

Wenig später, am 5. November 2021, hatte das RKI vermerkt, dass von einer „Pandemie der Ungeimpften“ fachlich nicht die Rede sein könne, da die Gesamtbevölkerung zum Geschehen beitrage. Dem Minister aber wollte man bei seinen entsprechenden Aussagen wohl nicht in die Parade fahren.

Auch andere Prominente aus Politik, Wissenschaft und Medien setzten die „Ungeimpften“ im Herbst und Winter 2021/22 unter einen Ausgrenzungsdruck, der beispiellos in der Geschichte der Bundesrepublik gewesen ist.

RKI-Files vom 5. November 2021: Das RKI vermerkt, dass von einer „Pandemie der Ungeimpften“ fachlich nicht die Rede sein könne. Foto: Grafik/RKI

RKI-Files vom 5. November 2021: Das RKI vermerkt, dass von einer „Pandemie der Ungeimpften“ fachlich nicht die Rede sein könne. Foto: Grafik/RKI

Dass das BMG auch unter Karl Lauterbach gerne Alleingänge vollzog, lässt sich für Homburg etwa aus einem Passus vom 6. April 2022 entnehmen. Damals hatte das RKI von Lauterbachs eigenmächtiger Kehrtwende zum Thema Quarantäne und Isolation erfahren.

Ein Jahr später zeigte sich das RKI offensichtlich sehr überrascht, dass Lauterbach die Pandemie Anfang April 2023 für beendet erklärt hatte. Das sei eigentlich gar nicht abseits der WHO möglich.

RKI-Files vom 26. April 2023: Ratlosigkeit beim RKI ob der Erklärung Lauterbachs, dass die Pandemie beendet sei. Foto: Grafik/RKI 2021

RKI-Files vom 26. April 2023: Ratlosigkeit beim RKI ob der Erklärung Lauterbachs, dass die Pandemie beendet sei. Foto: Grafik/RKI

Homburg: „Man hat die Leute nach meiner Lesart ins Messer laufen lassen“

Am schlimmsten finde er allerdings einen Eintrag vom 19. März 2021, sagte Homburg. Damals, kaum elf Wochen nach Impfstart, habe das RKI bereits gewusst, dass AstraZeneca mehrere Fälle von Sinusvenenthrombose erzeugt habe. Trotzdem seien in den folgenden Wochen Zeitungsartikel erschienen, nach denen sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD), Kanzlerin Angela Merkel (CDU), ihr späterer Nachfolger Olaf Scholz (SPD) und Gesundheitsminister Jens Spahn mit AstraZeneca hätten impfen lassen.

Nun stehe für ihn die Frage im Raum, warum das RKI die Politiker nicht gewarnt habe. Homburg vermutet, dass man allerseits Kritik gefürchtet habe, weil bereits umfangreiche Lieferverträge abgeschlossen worden seien. „Man hat die Leute nach meiner Lesart ins Messer laufen lassen“, so Homburg. Erst viel später, im Januar 2023, habe das ZDF über den Fall eines Rechtsanwalts berichtet, der infolge einer AstraZeneca-Spritze eine Sinusvenenthrombose erlitten hatte.

RKI-Files vom 19. März 2021: Fälle von Sinusvenenthrombose waren dem RKI bekannt - trotzdem wurde der Stoff noch lange verwendet. Foto: Grafik/RKI

RKI-Files vom 19. März 2021: Fälle von Sinusvenenthrombose waren dem RKI bekannt – trotzdem wurde der Stoff noch lange verwendet. Foto: Grafik/RKI

Homburg spricht von „Täuschung der Öffentlichkeit“

Homburg geht nach Datenlage davon aus, dass man insgesamt von einer „Täuschung der Öffentlichkeit“ sprechen könne. Er sieht insbesondere den ehemaligen RKI-Chef Prof. Lothar Wieler in der Verantwortung. Wieler hätte seiner Einschätzung nach remonstrieren müssen, wenn ihm eine Weisung aus dem BMG wissenschaftlich nicht korrekt vorgekommen sei. Falls er zu einer Straftat aufgefordert worden sein sollte, hätte Wieler das ablehnen müssen. Ihm persönlich seien Wieler und sein Vize Lars Schaade allerdings immer „sehr willfährig“ vorgekommen.

Im Gespräch mit der Epoch Times wurde Homburg noch deutlicher. Es gebe zwar immer wieder Politikversagen. „Aber etwas von dieser Dimension, also dass Behörden im Grunde die Öffentlichkeit über Jahre bewusst täuschen, und zwar auf Geheiß der Politik, ist mir nicht bekannt – und ich beschäftige mich seit 30, 40 Jahren sehr intensiv mit Politik“, so Homburg. Er hatte auf seinem YouTube-Kanal bereits vor einem Monat ein Video über die damals noch teilweise geschwärzten RKI-Protokolle veröffentlicht.

Schwere Vorwürfe gegen RKI und PEI

Ein wichtiger Befund aus den RKI-Files sei, dass sowohl das RKI als auch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) vor Gericht bewusst falsch ausgesagt hätten, als es beispielsweise um den Übertragungsschutz von Bundeswehrsoldaten gegangen sei. „Insofern könnte man jetzt wegen uneidlicher Aussage sie vor Gericht anklagen und könnte sich dabei auf diese Protokolle stützen“, meinte Homburg. Das sei ein neuer Aspekt, der vor dem 23. Juli nicht so klar gewesen sei.

Der Journalist Bastian Barucker, privat als Vorstandsvorsitzender eines Kindergartens aktiv, kam vorwiegend auf das Leid von Kindern und Jugendlichen zu sprechen. Ende Februar 2020 habe das RKI wegen der Chinareise eines Mitarbeiters bereits gewusst, dass Kinder eine COVID-19-Erkrankung ohne größere Komplikationen überstehen würden und auch keine wichtigen Glieder in Transmissionsketten seien.

Schulschließungen auf Wunsch der Politik

Zunächst habe man beim RKI auch auf Schulschließungen verzichten wollen, doch im Protokoll vom 12. März 2020 stehe, dass Charité-Chefvirologe Christian Drosten sich für Schulschließungen ausgesprochen habe – allerdings nur für den Fall einer Influenza. Tags darauf habe Jens Spahn trotzdem eine Aufnahme von Schulschließungen in den Corona-Diskurs angeregt und zwei Wochen später auch durchgesetzt. „Da wusste man aber schon längst im RKI, dass das nicht richtig ist“, so Barucker im Gespräch mit der Epoch Times.

Für ihn stelle sich nun die Frage, ob das Kindeswohl wirklich bei allen politischen Entscheidungen vorrangig berücksichtigt worden sei, wie es gesetzlich eigentlich Pflicht gewesen wäre.

Velázquez: „Kompromisslose und ehrliche Aufarbeitung kann beginnen“

„Die RKI-Protokolle beweisen: Unsere Corona-Politik basierte nicht auf rationalen, wissenschaftlichen Abwägungen“, zog Velázquez schon vor der Pressekonferenz ein Fazit ihrer bisherigen Recherchearbeit auf ihrem X-Kanal. „Zahlreiche politische Entscheidungen, wie 2G, die einrichtungsbezogene und geplante allgemeine Impfpflicht, oder die Impfung von Kindern, waren rein politische Entscheidungen, für die das RKI als weisungsgebundene Behörde eine vermeintlich wissenschaftliche Legitimation lieferte.“ Und weiter:

Mit dem vollständig entschwärzten Datensatz aller RKI-Krisenstab-Protokolle kann nun eine kompromisslose und ehrliche Aufarbeitung der Coronapolitik in Deutschland beginnen.“

Velázquez betonte, sie selbst habe es bis jetzt nicht geschafft, das gesamte, umfangreiche Material zu untersuchen. Deshalb bat sie die anwesenden Journalisten, selbst in den Protokollen und auch im Zusatzmaterial weiter nach Widersprüchen zwischen wissenschaftlicher Expertise und politischem Handeln zu forschen. Auch die interessierte Öffentlichkeit könne gerne behilflich sein, meinte Barucker.

Die Frage, warum auch in den durchgesteckten Files drei Protokolle aus dem Januar und dem Mai 2020 fehlten, erklärte Velázquez damit, dass es an diesen Tagen wahrscheinlich gar keine Sitzungen gegeben habe. Interessenkonflikte seien jedenfalls aus ihrer Sicht zu diesem frühen Zeitpunkt nicht zu erwarten gewesen. Zuvor hatte das „Multipolar-Magazin“ sich über die Fehlenden Files gewundert. Nach Recherchen von Stefan Homburg war der 9. Mai 2020 ein einmaliger Feiertag in Berlin gewesen.

Die Pressekonferenz des Velázquez-Teams ist auf dem X-Kanal von Bastian Barucker zu sehen.

Die jetzt vollständig vorhandenen und einsehbaren „RKI-Files“ nebst Zusatzmaterial stehen auf der Website RKI-Transparenzbericht.de zum Herunterladen bereit.

„Multipolar-Magazin“ öffnete die Tür

Schon im März 2024 hatten erste Fassungen der RKI-Protokolle für Aufregung gesorgt. Das „Multipolar-Magazin“ hatte sie frei geklagt und publiziert – allerdings nur jene Papiere, die aus der Zeit vom 14. Januar 2020 bis zum 30. April 2021 stammten. Mehr wollten die Behörden nicht herausrücken.

Obwohl diese ersten Dokumente noch größtenteils geschwärzt waren, ließen sie doch bereits Rückschlüsse auf die Zusammenarbeit zwischen dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) und dem ihm untergeordneten RKI zu. Schon damals zeichnete sich ab: Sämtliche Corona-Verordnungen – Maskenpflichten, Lockdowns, sogar der immense Druck zum Impfen – schienen weit weniger auf wissenschaftlich-medizinischen Erkenntnissen des Robert Koch-Instituts (RKI) als vielmehr auf dem politischen Willen der Bundes- und Landesregierungen zu basieren.

BMG-Chef Prof. Karl Lauterbach (SPD) versprach Ende März 2024, eine noch weiter entschwärzte Version aus jener Zeit veröffentlichen zu lassen, in der er selbst noch nicht an der Spitze des Ministeriums stand. Auch diese „RKI-Files“ brachten weitere Einzelheiten zu den Ungereimtheiten ans Tageslicht, die die Coronapolitik insbesondere unter Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Gesundheitsminister Jens Spahn bestimmt hatten. Nun liegen die Protokolle auch für jene Zeit vor, in der Karl Lauterbach die politische Verantwortung trug.



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