Zahl der „Bürgergeld“-Empfänger in Weiterbildungen stagniert
Weniger Menschen bilden sich weiter: Die Zahl von „Bürgergeld“-Empfängern (vor 2023: „Hartz IV“) in geförderten beruflichen Weiterbildungen ist im ersten Corona-Jahr 2020 gesunken und stagniert seither. Das geht aus einer Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion hervor, wie das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) berichtet.
2019 hatten noch insgesamt 135.279 Menschen eine Weiterbildung angetreten. 2020, im ersten Corona-Jahr, waren es nur noch 98.802, im zweiten Corona-Jahr 2021 genau 100.123 Personen. Mittlerweile zeichnet sich ab, dass auch 2022 das Vor-Corona-Niveau nicht erreicht werden dürfte: Von Januar bis Oktober 2022 starteten 80.334 Leistungsberechtigte eine Weiterbildung.
Im August 2022 bekamen rund 5,4 Millionen Menschen Arbeitslosengeld II, das sogenannte „Hartz IV“. Seit 1. Januar 2023 beziehen die Betroffenen „Bürgergeld“, das nach einem Tauziehen und unter Schließung von Kompromissen von der Ampelregierung eingeführt worden war. Damit werden Menschen finanziell unterstützt, die grundsätzlich noch arbeiten können, aber bedürftig sind, keine Arbeit finden oder von der Arbeit allein ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten können.
Arbeitslose und benachteiligte Gruppen
Nicht nur bei den ehemaligen Hartz-IV-Empfängern und aktuellen „Bürgergeldlern“ geht die Weiterbildungsquote zurück, auch bei Arbeitslosengeldempfängern zeichnet sich die gleiche Tendenz ab: Es werden weniger, die sich weiterbilden. So lag die Anzahl der Personen, die eine Weiterbildung begannen, im Jahr 2019 noch bei 133.470. Im ersten Corona-Jahr sank der Wert auf 122.051. Auch 2021 wurde ein weiterer Rückgang auf 110.793 verzeichnet. Zwischen Januar und Oktober 2022 wurden nur 83.904 gezählt.
„Die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass diese benachteiligten Gruppen in den letzten Jahren noch weiter abgehängt wurden“, sagte die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, Jessica Tatti, zu dieser Entwicklung. Sie warnte vor der Tendenz, dass die Betroffenen durchs Raster fallen würden. Die Bundestagsabgeordnete forderte eine bessere Finanzierung für Weiterbildungsprogramme, um das Potenzial hiesiger Fachkräfte zu fördern: „Minister Heil muss endlich handeln: Es braucht mehr und gezielt Geld für die Aus- und Weiterbildung, anstatt völlig einseitig auf das Abwerben von billigen Fachkräften aus dem Ausland zu setzen.“
Das Bundesarbeitsministerium verwies auf bereits verabschiedete beziehungsweise noch geplante Maßnahmen. So würden unter anderem Geringqualifizierte mit der Initiative „Zukunftsstarter“ bis Ende 2025 unterstützt werden. Junge Erwachsene im Alter von 25 bis 35 Jahren bekämen hier die geförderte Möglichkeit, einen Berufsabschluss im zweiten Anlauf zu erwerben.
Finanzielle Weiterbildungsanreize beim Bürgergeld
Mit Inkrafttreten des Bürgergeldgesetzes am 1. Januar 2023 wurden auch finanzielle Anreize gesetzt, um mehr Menschen von Weiterbildungsmaßnahmen zu überzeugen: das Weiterbildungsgeld und ein Bürgergeld-Bonus. Zu den Neuerungen gehört auch, dass künftig der „Vermittlungsvorrang“ entfällt. Zuvor stand das Annehmen eines Jobs vor der Weiterbildung eines Arbeitslosen. Stattdessen wurde ein monatliches Weiterbildungsgeld eingeführt, um Anreize für eine Berufsausbildung zu schaffen. Das sind monatlich 150 Euro extra, wenn eine „abschlussbezogene Weiterbildungsmaßnahme“ besucht wird, also zum Beispiel eine Berufsausbildung oder eine Umschulung. Die Zahlung dieser Weiterbildungsprämie wurde entfristet.
Mit dem Bürgergeld-Bonus ist ein zusätzlicher Anreiz geplant, sich zu qualifizieren: Pro Monat soll es 75 Euro extra für alle geben, die eine Weiterbildung von mindestens acht Wochen Länge besuchen. Dieser Bonus greift bei beruflichen Qualifizierungen ohne Abschluss. Voraussichtlich wird es den Bürgergeld-Bonus ab dem 1. Juli 2023 geben.
Zudem will Arbeitsminister Hubertus Heil das Qualifizierungschancengesetz ergänzen, um dem Fachkräftemangel weiter entgegenzuwirken. Mit dem Gesetz, welches 2019 eingeführt wurde, werden Weiterbildungsmaßnahmen für Arbeitnehmer gefördert, die sich für andere Bereiche qualifizieren wollen. Künftig soll es unter anderem auch eine bezahlte Bildungszeit geben. Mit diesen Maßnahmen soll dem seit Jahren zunehmenden Fachkräftemangel entgegengewirkt werden.
Linken-Politikern Jessica Tatti kritisiert dazu, dass Arbeitslose in dem Gesetz „überhaupt nicht vorkommen“ würden und bemängelt: „Weder Arbeitgeber noch die Politik erkennen deren riesiges Potential gegen den Fachkräftemangel.“
Mehr als eine halbe Million Fachkräfte fehlen
Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) fehlten allein zwischen Juli 2021 und Juli 2022 in Deutschland über alle Berufe hinweg mehr als eine halbe Million Fachkräfte, nämlich genau 537.923. Stark betroffen seien Bereiche wie Sozialarbeit, Pädagogik, Alten- und Krankenpflege.
Als eine mögliche Lösung für das Problem des Fachkräftemangels gilt die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte. Kritiker befürchten negative Auswirkungen in Sachen Integration und auf die Arbeitsbedingungen in Deutschland: Die Möglichkeit, das inländische Fachkräftepotenzial zu heben, würde ignoriert. Befürworter einer verstärkten Zuwanderung von Fachkräften argumentieren, dass insbesondere in Branchen wie der IT, in denen das Problem besonders ausgeprägt ist, qualifizierte Zuwanderer dazu beitragen, den Bedarf an Fachkräften zu decken.
Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, hatte die Bundesregierung Ende November formuliert, was noch im Frühsommer 2023 beschlossen beziehungsweise als Gesetz verabschiedet werden soll: Die Voraussetzungen, die ausländische Arbeitskräfte nachweisen müssen, sollen gesenkt werden. Auch, indem Einreisewillige sogar dann eine Einreise- und Aufenthaltserlaubnis erhalten können, wenn sie den Nachweis ihrer beruflichen Qualifikation zunächst nicht oder nur teilweise erbringen können.
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