Werden die Christdemokraten in Zukunft bedeutungslos?
Seit Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949 ist die CDU die dominierende Kraft in Deutschland. In 52 von 74 Jahren stellte sie gemeinsam mit der CSU den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin. Seit der letzten Bundestagswahl muss die Partei nun die harte Oppositionsbank drücken.
Die jetzige Ampelregierung ist allerdings recht schnell ins Taumeln geraten. Ende August veröffentlichte der „Deutschlandtrend“ der ARD eine niederschmetternde Umfrage: Nur noch 19 Prozent der Befragten sind mit der Arbeit von SPD, Grünen und FDP zufrieden.
Für CDU und CSU müssten das eigentlich gute Nachrichten sein: Als Oppositionspartei müsste sie von den schlechten Werten der Ampel profitieren. Das macht sie aber nicht. In Umfragen kommt die Partei nicht wirklich nach vorn. Stattdessen erlebt die AfD einen Höhenflug.
Noch liegt die CDU zusammen mit der CSU mit Zustimmungswerten zwischen 25 und 29 Prozent vor allen anderen Parteien. Schaut man sich die internationalen Schwesterparteien an, dann sind das Spitzenwerte. Die Frage ist aber, wie lange noch?
Zu viel Platz in der Mitte gelassen
Jüngst ist ein Buch des Politikwissenschaftlers Thomas Biebricher von der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt erschienen. Unter dem Titel „Mitte/Rechts“ hat Biebricher zur Krise des Konservativismus geforscht. Für den Politikwissenschaftler ist klar, dass es kein „politisches Naturgesetz“ ist, dass es in einem Land gemäßigte konservative Parteien mit Volksparteiansprüchen gibt. Europaweit sind sie im Moment mächtig unter Druck geraten oder kommen nicht mehr vor.
Als Beispiel benennt Biebricher die Democrazia Cristiana. Die Christdemokraten aus Italien stellten ein halbes Jahrhundert fast immer den Ministerpräsidenten. Das Ende dann in den 1990er-Jahren: Von einem Korruptionsskandal erholte sich die Partei nie wieder und wurde aufgelöst. Heute dominieren in Italien nationalistische Parteien wie die Lega und Fratelli d’Italia um Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.
Ein zweites Beispiel ist Frankreich. Dort haben sich die traditionell konservativen Kräfte so sehr marginalisiert, dass sie gegenüber den nationalistischen Kräften im Land ins Hintertreffen geraten sind. Von 2007 bis 2012 war Nicolas Sarkozy französischer Staatspräsident – der letzte Konservative im Amt. Heute stehen die Republikaner, die Nachfolgepartei von Sarkozys UMP, in Umfragen bei etwa zehn Prozent, während sich die Nationalistin Marine Le Pen realistische Hoffnungen machen kann, die nächste Präsidentschaftswahl zu gewinnen.
Gerade Frankreich sollte der Union ein warnendes Beispiel sein, schreibt der Heisenberg-Professor für Politikwissenschaft, Thomas Biebricher, in seinem Buch. Die gemäßigten Konservativen in Frankreich hätten sich unter Sarkozy zu weit nach rechts bewegt und damit Platz in der Mitte gelassen. Die französischen Republikaner seien so von rechts und der Mitte „in die Zange genommen“ worden. Der CDU empfiehlt der Politikwissenschaftler, diese französische Entwicklung im Blick zu behalten.
Auf der Suche nach einem neuen Feindbild
Mitsamt ihrem Vorsitzenden Friedrich Merz steht die CDU in der Kritik, sich zu wenig an konstruktiver Oppositionsarbeit zu beteiligen. Stattdessen setze sie zu sehr auf kulturkämpferische Themen und falle mit rechtspopulistischen Äußerungen auf. Für Biebricher der falsche Weg.
Die Krise der Konservativen hält in Deutschland laut Biebricher schon länger an. Die Jahre 1989 und 1990 seien eine „wichtige Zäsur“ gewesen. Der Konservativismus in Deutschland lebe stark von mächtigen Feindbildern, an denen er sich abarbeiten kann. Mit dem Zusammenbruch des Kommunismus sei plötzlich ein Feindbild verschwunden gewesen. Man suchte krampfhaft nach neuen, verlor aber die einende Klammer, die heterogene Mitte-Rechts-Parteien wie die Union bis dahin zusammengehalten habe.
In jüngster Vergangenheit versuche die Union, so Biebricher, die sogenannte Wokeness als Feindbild aufzubauen: Gendern, Veganismus und queere Themen. Dieses Feindbild würde augenblicklich in vielen Bereichen gesucht und gefunden. Die Gefahr dabei sei aber, dass man dieses Feindbild im Moment mit der radikalen Rechten gemeinsam habe.
Die Mitte nicht verlassen
Angesichts der in Biebrichers Buch aufgeworfenen Thesen stellt man sich die Frage, ob der CDU am Ende ein ähnliches Schicksal drohe wie einigen ihrer Schwesterparteien in den europäischen Nachbarländern?
In einem Interview mit „Panorama“ Ende August hat der langjährige CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder diese Frage klar verneint. Die CDU sei keine klassische konservative Partei. „Wir machen Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes, wir haben auch liberale und christlich-soziale Wurzeln, wir sind nicht verengt im Konservativen wie manche dieser Parteien, die dann auch verschwunden sind.“, so Kauder.
Er appelliert aber an seine Partei, in der Mitte zu bleiben. „Wir müssen wieder stärker das Christlich-Soziale nach vorn kehren. […] Wenn wir sprechen, dann muss deutlich werden, dass da Christdemokraten sprechen und keine Populisten.“
Gelinge das nicht, wäre das für die CDU mittelfristig ein ernstes Problem. „Darauf zu spekulieren, dass eine Annäherung an die AfD im Wahlkampf der CDU nützen könne, halte ich für total verfehlt. Meiner Erfahrung nach wählen die Leute dann das Original.“
Was Kauder im Interview sagt, ist genau das Narrativ, was immer wieder landauf, landab gebetsmühlenartig vorgetragen wird: Nur nicht die Themen der AfD ansprechen. Das macht die Partei stark.
CDU wirkt wie gelähmt
Themen, die die AfD im Moment anspricht, sind Themen, die viele Menschen im Land bewegen. Spricht man diese nicht an, überlässt man sie der AfD. Genau das ist das Problem der Union. Professor Andreas Rödder, der gerade als Chef der Fachkommission „Wertefundament und Grundlagen“ intensiv am Grundsatzprogramm der CDU mitarbeitet, brachte es in einem Interview mit der „Berliner Zeitung“ im Juli auf den Punkt: Seiner Partei falle es schwer, eine eigene Agenda zu setzen. „Sie ist auch gelähmt von der Defensive gegenüber der Beurteilung durch grüne Milieus.“
Die CDU in der Nach-Merkel-Ära sei nach wie vor gespalten. CDU-Chef Friedrich Merz müsse momentan die stark auseinanderstrebenden Flügel zusammenbringen. „Wenn er sagt, die Grünen seien der Hauptgegner in der Bundesregierung, sagt eine stellvertretende Parteivorsitzende, die Grünen seien unser Partner“, beschreibt er die Lage in der Partei.
Das Schielen eines Parteiflügels auf die Grünen hält der Historiker für völlig verkehrt. Die grüne Partei sei die „ideologische Triebfeder“ dieser Regierung. „Sie ist nicht der Magnet, an den sich die Union anziehen lassen sollte“, so Rödder.
Seiner Partei empfiehlt Rödder, zu Themen, die AfD-Wähler interessieren, eigene Antworten zu entwickeln. „Wenn die Union keine Themen aufgreifen soll, nur weil sie die AfD betreibt, dann würde das ja bedeuten, der AfD die vollständige Hoheit über die Agenda der Politik zu übertragen – und die Themen liegen zu lassen, die einen zunehmenden Teil der Bevölkerung umtreiben. Das kann doch nicht wirklich ernst gemeint sein.“
Parteichef Merz habe gegenwärtig die schwierige Aufgabe, die Partei zu einen und zugleich eine neue Richtung zu geben.
Kapitulation und Ignoranz ist keine Lösung
Wer Biebrichs Buch liest, kommt schnell zu dem Schluss, dass vielleicht keine großen Visionen gefordert sind, sondern auch dröge wirkende Themen wie Wirtschaft, Steuern und Finanzen ein Mittel sein könnten, den Abstieg und gleichzeitig auch die von Biebrich immer wieder benannte Gefahr der „Selbstradikalisierung“ abzuwenden.
Das mag auf den ersten Blick ganz logisch klingen, verkennt aber einen wichtigen Punkt: Andreas Rödder weist in seinem Interview darauf hin, dass die Union die „Kulturkämpfe“, die in Deutschland nicht zu übersehen sind, nicht begonnen hat. Sie seien Teil einer „grünen Hegemonie“, also dem Anspruch, die Deutungshoheit über bestimmte Themen zu erhalten und keine zweite Meinung neben der eigenen zuzulassen. „Kapitulation durch Ignoranz ist sicher keine Lösung. Ich bin dafür, die Gegenreaktion darauf nicht den Radikalen und Extremen zu überlassen, sondern durch eine rechte Mitte demokratisch zu integrieren.“, empfiehlt Rödder.
Noch steht die CDU im europaweiten Vergleich gut da. Um zukünftig aber wieder auf die Erfolgsspur zu kommen, bedarf es einer Entscheidung im inzwischen offen geführten Richtungsstreit. Das Selbstbekenntnis „Partei der Mitte“ zu sein, reicht nicht aus, da dieser Anspruch mit Inhalten gefüllt werden muss. Eine CDU, die sich in einer unbestimmten Mitte positioniert, macht sich auf Dauer selbst überflüssig.
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