Was, wenn heute ein neuer Bundestag gewählt würde?
Wie würde der Bundestag aussehen, wenn es bis zur Neuwahl 2025 nicht noch ein gutes Jahr dauern würde, sondern sofort abgestimmt werden dürfte? Zunächst einmal deutlich kleiner.
Nach der jüngsten Wahlrechtsreform dürften maximal 630 Abgeordnete im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes Platz nehmen. Dieses Mal allein bestimmt durch den Anteil der Zweitstimmen, die auf die Kandidaten der Parteilisten rekurrieren. Überhang- oder Ausgleichsmandate wegen „zu viel“ gewonnener Direktmandate per Erststimme wird es nicht mehr geben. Das hatten SPD, Grüne und die FDP bereits Mitte März 2023 gegen den Widerstand von CDU, CSU und Linken durchgesetzt.
De damals noch ganz kurzfristig eingearbeitete Wegfall der „Grundmandatsklausel“ war vom Bundesverfassungsgericht Ende Juli 2024 allerdings als verfassungswidrig verboten worden. Damit dürfen Parteien auch 2025 in kompletter Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen, falls sie drei Direktmandate gewinnen – auch wenn ihre Partei die Fünf-Prozent-Hürde per Zweitstimme nicht überspringt. Das könnte der traditionell im Osten starken Linken erneut den Einzug in den Bundestag sichern. Ein Blick auf die Erhebungen zur Sonntagsfrage zeigt allerdings: Die Stimmung kippt.
Linke und SPD verlieren, BSW im Aufwind
Nach den jüngsten Meinungsumfragen von INSA und Forsa wären bundesweit derzeit maximal drei Prozent (Forsa) der Zweitstimmen für die Linken drin, 2021 hatten sie noch 4,9 Prozent erreicht.
Mit dem neuen Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) schickt sich seit Januar 2024 zudem eine neue Partei an, zum Liebling jener Wähler zu avancieren, die sich politisch links verorten. Im Bundestag knapste das BSW der Linken durch Mandatswechsel schon zehn ihrer ursprünglich 38 Sitze ab.
Auch bei den Landtagswahlen in Sachsen (11,8 Prozent) und Thüringen (15,8 Prozent) wurde das BSW am vergangenen Wochenende auf Anhieb jeweils drittstärkste Kraft und hat gute Chancen, ein Wörtchen bei der Koalitionsbildung mitzureden. „Geräubert“ wurde dabei erneut vor allem im Lager der früheren Linken-Wähler.
Schon bei der EU-Wahl am 9. April hatte die Wagenknecht-Partei aus dem Stand sechs der 96 Sitze deutscher Abgeordneter gewonnen. Zur Bundestagswahl 2025 könnte sich die aktuell zehnköpfige BSW-Gruppe zur 70 Personen starken Fraktion aufschwingen.
SPD fast halbiert – Abgeordnete wollen Kurskorrektur
Die Kanzlerpartei SPD holte bei der Bundestagswahl 2021 mehr als ein Viertel der Stimmen, nämlich 25,7 Prozent. Das genügte für 207 der zurzeit noch 733 Sitze im Bundestag.
Mit Stand 2. September 2024 verlor sie in der Wählergunst beinahe die Hälfte: INSA sieht die SPD derzeit bei 15 Prozent, Forsa sogar nur bei 14. Nach Berechnungen des „Handelsblatts“ könnte das nur noch 105 Plätze für sozialdemokratische Abgeordnete bedeuten. Einer aktuellen Forsa-Umfrage zufolge hätte Scholz wohl keine Chance mehr auf eine zweite Legislatur als Regierungschef.
SPD-Urgestein Ralf Stegner hält ein „einfaches ‚Weiter-so‘“ laut „Handelsblatt“ für „lebensgefährlich“. Tim Klüssendorf, der Sprecher des linken Flügels der SPD-Bundestagsfraktion, sehe ebenfalls dringenden Justierungsbedarf: „Durchhalteparolen“ hälfen nicht mehr weiter. Es müsse „grundsätzlich über den Kurs der SPD bis zur Bundestagswahl diskutiert“ werden, so der Lübecker MdB.
Ob die von Arbeitsminister Hubertus Heil angekündigte Nullrunde beim Bürgergeld Nicht-Sozialdemokraten überzeugen wird oder ob der Partei damit noch mehr Stammwähler von der Fahne gehen werden, steht in den Sternen.
Grüne verlieren rund 4 Prozentpunkte, FDP wäre wohl aus dem Spiel
Die Grünen kämen laut Forsa auf 11 Prozent, nach der INSA-Befragung auf 10,5 Prozent. Ein Minus von etwa 4 Prozent im Vergleich zur Wahl 2021. Auch in Sachsen mussten sie zuletzt Verluste in derselben Größenordnung hinnehmen (minus 3,5 Prozent).
Der Trend zeigt also auch hier abwärts – und das Heizungsgesetz hat bisher nicht einmal seine volle Wirkkraft entfaltet, ganz zu schweigen von künftigen Gaspreiserhöhungen und anderen Plänen des Wirtschaftsministers Robert Habeck. Mit wie derzeit 117 Sitzen können die Grünen damit nicht mehr rechnen: Lediglich 77 Sitze gibt das aktuelle INSA-Bild noch her: 40 weniger als aktuell.
Auch die FDP müsste mit 5 Prozent (Forsa) beziehungsweise 4,5 Prozent (INSA) um ihre bislang 91 Sitze im Plenarsaal bangen. Die Liberalen waren schon bei beiden jüngsten Landtagswahlen aus dem Parlament geflogen.
Union bekäme 36 Plätze mehr – AfD würde zur stärksten Opposition
Bei der Union ging es seit der Wahl 2021 dagegen wieder bergauf. Statt wie damals 24,2 Prozent und 196 Sitzen würden es CDU und CSU zusammen heute auf Werte zwischen 31,5 Prozent (INSA) und 32 Prozent (Forsa) bringen. Laut INSA-Berechnungen genug für 232 Plätze im Parlament. Neben der Tagespolitik treibt ihre Anhänger wohl am meisten die Frage um, ob Friedrich Merz oder vielleicht doch Markus Söder im September oder Oktober als Kanzlerkandidat vorgestellt wird.
Die AfD gehört neben der Union und dem BSW ebenfalls zu Parteien, die sich auf mehr Plätze im Bundestag freuen können. Hatte es 2021 noch zu 10,4 Prozent und damit 77 Sitzen gereicht, könnte die blaue Partei Stand heute irgendwo zwischen 17 (Forsa) und 19 Prozent (INSA) landen.
Mit 140 Sitzen gemäß INSA-Umfrage würde die AfD ihre Sitze fast verdoppeln und zur zweitgrößten Partei werden. Sie wäre zugleich Oppositionskraft Nummer eins.
In diesem Szenario wäre ein Wiederaufleben der gar nicht mehr so großen „GroKo“ zwischen Union und SPD am naheliegendsten: 343 Sitze würden für eine Mehrheit von 28 Abgeordneten reichen. An der Seite der Grünen würden dem mutmaßlichen Kanzler Merz derzeit noch genau sechs Sitze zur Mehrheit fehlen. Die Option hält er sich allerdings offen.
Ob die Unionsbasis sich auf Bundesebene auch auf eine Partnerschaft mit dem BSW einlassen würde, erscheint heute fraglich. Parteichef Merz hatte den CDU-Landesverbänden in Sachsen und Thüringen allerdings bereits grünes Licht für eine solche Verbindung auf Landesebene gegeben.
Noch ein gutes Jahr warten
Die Bundeswahlleitung hatte den Termin für die Wahl des 21. Deutschen Bundestags auf den 28. September 2025 terminiert.
Zuvor stehen mit Brandenburg am 22. September 2024 und mit Hamburg am 2. März 2025 noch zwei Landtags- beziehungsweise Bürgerschaftswahlen an. Im Herbst 2025 wählt auch Nordrhein-Westfalen einen neuen Landtag. Der genaue Termin steht bislang nicht fest.
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