Was bedeutet das AKW-Aus für den Wirtschaftsstandort Deutschland?

Mit dem Aus für die Atomkraft in Deutschland wird für die Grünen ein Gründungsmythos wahr. Gut sechs Prozent der Stromproduktion fallen dafür weg. Und wohl der Traum von günstiger, klimafreundlicher Energie für den Wirtschaftsstandort. Jedenfalls vorerst.
Am 15. April sollen die drei verbliebenen Kernkraftwerke in Deutschland endgültig vom Netz gehen.
Am 15. April sollen die drei verbliebenen Kernkraftwerke in Deutschland endgültig abgeschaltet werden. Nicht alle früheren Befürworter sind sich noch sicher, ob die Entscheidung richtig war.Foto: Sina Schuldt/dpa
Von 12. April 2023

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Spricht Bundeskanzler Olaf Scholz noch einmal ein Machtwort? Oder kommt das große Heulen und Zähneklappern zu spät?

Fast zwölf Jahre Zeit hatten Parteien, Industrieverbände und Verbraucher, um das Aus für die Atomkraft in Deutschland zu verhindern. Doch erst wenige Tage vor dem finalen Abschalttermin der letzten drei aktiven Meiler werden die mahnenden Stimmen lauter.

FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki beispielsweise bezeichnete es im Gespräch mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe als einen „dramatischen Irrtum“, die „weltweit modernsten und sichersten Atomkraftwerke“ vom Netz zu nehmen.

Dieser Irrtum werde „für uns noch schmerzhafte ökonomische und ökologische Konsequenzen haben“, prophezeite der stellvertretende Bundestagsvizepräsident nach Informationen des „Handelsblatts“.

Kapazität für gut neun Millionen Haushalte fällt weg

Für den Strommarkt bedeutet das laut „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) den Verlust von rund 6,4 Prozent der Produktionskapazität. Dafür hatten die drei verbliebenen AKWs im Jahr 2022 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 34,7 Terawattstunden Bruttostrom beigesteuert. „Das reicht aus, um 9,4 Millionen Haushalte mit je 3 Personen (bei 3.500 kWh jährlichem Verbrauch) ein Jahr lang mit Strom zu versorgen“, schrieb das „Bayerische Landwirtschaftliche Wochenblatt“  (BLW) unter Verweis auf Berechnungen der CDU-nahen Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT).

2021 habe der Kernenergie-Anteil bei sechs laufenden Kernkraftwerken noch rund zwölf Prozent betragen, vor 20 Jahren etwa ein Drittel. Jetzt also null.

„Erneuerbare“ Energien sollen’s richten

Wie aber sollen die fehlenden 35 Terawattstunden ausgeglichen oder – bei steigendem Strombedarf beispielsweise durch Elektroautos und Wärmepumpen – übertroffen werden? Kurzfristig ist das völlig unklar. Mittel- und langfristig soll es nach den Vorstellungen der rot-grün-gelben Ampelregierung möglichst durch „erneuerbare“ Energiequellen klappen.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sieht jedenfalls keinen Grund zur Sorge: „Die Energieversorgungssicherheit in Deutschland wurde in diesem schwierigen Winter gewährleistet und wird auch weiter gewährleistet sein“, versprach er zuletzt nach Informationen des „Deutschlandfunks“. „Wir haben die Lage im Griff durch die hohen Füllstände in den Gasspeichern und die neuen Flüssiggasterminals an den norddeutschen Küsten und nicht zuletzt durch mehr erneuerbare Energien.“ Diese sollen bis zum Jahr 2030 einen Anteil von 80 Prozent ausmachen.

Ein Kernkraftwerk = 280, 835 oder 3.250 Windkraftanlagen?

Wie das BLW berichtet, bräuchte man rechnerisch mindestens 280 neue 5-MW-Windkrafträder, um die elektrische Nettoleistung eines einzigen deutschen 1.400-MW-AKWs zu erzeugen. Da allerdings der Wind nicht stetig auf „Volllast“ wehe, sei nach Berechnungen der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) eine Zahl von 1.300 bis 3.250 Windkraftanlagen realistischer.

„Ein Megawatt installierte Windkraft ist […] nicht mit einem Megawatt Kohle- oder Kernkraft zu vergleichen“, gab der ehemalige Hamburger Umweltsenator Prof. Fritz Vahrenholt kürzlich in einem Epoch-Times-Gastartikel zu bedenken. „Bei identischer Anlagengröße liefert Wind über das Jahr gerechnet nur etwa ein Viertel des Stroms eines Kohle- oder Kernkraftwerk. An etwa 140 Tagen fallen Windkraftwerke in Deutschland als Stromlieferant völlig aus. Ihre Stromerzeugung liegt dann zwischen null und 10 Prozent.“

Ungeachtet der Ausbeute benötigen Windkraftanlagen oder -parks Fläche. Das Onlinemagazin „Cleanthinking“ geht davon aus, dass weniger als 835 Windkrafträder auf einer Fläche von 3,34 Quadratkilometern als Ersatz eines AKWs genügen würden. Die MIT geht von weit mehr Flächenverbrauch aus: Bei einem angenommenen Bedarf von 1.250 Windrädern für ein AKW müssten rund 100 Quadratkilometer geopfert werden, schreibt das BLW.

2022 sorgte die Windkraft im anlagenübersäten Deutschland erst für 24,1 Prozent der elektrischen Energie. Insgesamt, so das Statistische Bundesamt, waren 2022 rund 46,3 Prozent des deutschen Stroms mit „Erneuerbaren“ erzeugt worden, also mit Wind, Sonne, Biogas und Wasserkraft.

Kohle und Gas für die Grundlast – trotz CO₂

Aber es gibt ja auch noch Kohle und Gas. Die passen nicht so gut zu den CO₂-„Klimazielen“ der Regierung, können dafür aber ohne größere Bauinvestitionen in bestehenden Kraftwerken genutzt werden.

Da die einst relativ günstigen russischen Importe seit dem 1. Januar 2023 offiziell passé sind und der eigene Bergbau schon vor Jahren eingestellt wurde, müssen die nötigen Mengen über andere Wege nach Deutschland kommen. Weniger günstig. Und dank des Transports über Weltmeere und Kontinente auch weniger umweltfreundlich. Und vor allem weniger CO₂-freundlich.

Letzter Gründungsmythos der Grünen

Doch Strom aus Kernkraft ist, obschon nahezu vollkommen CO₂-frei, schon seit Gründung der Grünen im Jahr 1980 ein No-Go: Die Parole „Atomkraft nein Danke!“ markiert den letzten noch verbliebenen Gründungsmythos der Partei, in der Umweltschutz und Pazifismus de facto längst keine Rolle mehr spielen. Und den will man offenbar nicht aufgeben.

Es gehe dem grünen Koalitionspartner vor allem um die „Befriedigung einer Klientel, die die ideologischen Kämpfe ihrer Jugend endlich gewinnen“ wolle, meint auch FDP-Urgestein Wolfgang Kubicki: „Wer auf Kohlekraft setzt, während weltweit CO₂-arme Atomkraftwerke geplant und gebaut werden, darf sich weder auf die Vernunft noch auf die Wissenschaft berufen.“

Preisrichtung unklar

Verbraucher und Industrie müssen also zumindest mit weiter steigenden Preisen für die grüne „Klimawende“ rechnen. Dabei sind die Kosten hierzulande im internationalen Vergleich schon seit Jahren extrem hoch. Bundestagsvizepräsidentin Göring-Eckardt sieht das AKW-Aus dagegen als Chance für sinkende Strompreise.

CDU-Wirtschaftsrat sieht „große Gefahr“ für Standort Deutschland

„Die Abschaltung der Kernkraftwerke am kommenden Samstag ist eine große Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland“, warnte dagegen Astrid Hamker vom Berufsverband Wirtschaftsrat der CDU. Eben jener CDU, die unter Kanzlerin Angela Merkel im Juni 2011 den Anti-Atomkurs Deutschlands besiegelt hatte.

Es sei „eine ökonomisch unkluge Entscheidung, […] bei hohen Inflationsraten das Angebot auf dem Energiemarkt zu verknappen“, kritisierte Hamker nun im RND-Gespräch. Ihre Forderung: „So lange die Wirtschaft unter hohen Teuerungsraten leidet, müssen alle Kraftwerke ans Netz“. Andernfalls drohten steigende Strompreise, der Verlust von „sicheren Industriearbeitsplätzen“ und infolgedessen „die weitere Abwanderung von Know-how“, mahnte Hamker.

Unterdessen würden andere europäische Länder „kerntechnische Anlagen zubauen“, um ihre eigene Produktion anzukurbeln. In der Tat nutzen andere europäische Länder wie Frankreich, die Slowakei oder Belgien schon jetzt hauptsächlich Kernkraft als Grundlage ihres Energiemixes.

„Bundesverband Erneuerbare Energie“ optimistisch

Nach Einschätzung von Simone Peter, der grünen Ex-Parteivorsitzenden, früheren Umweltministerin des Saarlandes und heutigen Präsidentin des „Bundesverbands Erneuerbare Energie“ gibt es kein Problem mit der Versorgungssicherheit. Bis 2030, so Peter auf RND-Anfrage, werde man „80 Prozent erneuerbare Energien in der Stromversorgung […] bei gleichzeitiger Erfüllung des Kohleausstiegs“ erreichen.

Sie glaubt daran, dass „100 Prozent Erneuerbare in Strom, Wärme und Mobilität“ bis spätestens 2045 in Deutschland realisierbar seien, sofern die Bundesregierung „klaren Kurs“ halte: „Der Ausstieg bedingt auf breitester Front die Nutzung aller erneuerbaren Technologien“, zitiert das RND Peter.

Einen anderen Vorschlag unterbreitete nach Informationen des WDR Michael Kruse, der energiepolitische Sprecher der FDP: „Erst die Kohle vom Netz, dann die Kernkraftwerke“ – das sei die bessere Reihenfolge.

Eine Ära geht zu Ende

Am kommenden Samstag endet nach rund 66 Jahren die Ära des Atomstroms in Deutschland: Nach dem Willen der Bundesregierung werden die drei letzten Strom produzierenden Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim und Emsland abgeschaltet.

Ursprünglich war bereits das Aus zum 31. Dezember 2022 beschlossene Sache – doch Kanzler Scholz hatte das Datum angesichts der Mangellage infolge des Ukraine-Kriegs per „Richtlinienkompetenz“ noch einmal dreieinhalb Monate hinausgeschoben. Seine SPD hatte den Ausstiegswunsch von Bundeskanzlerin Merkel mitgetragen, nach dem diese unter dem Eindruck der Tsunami-Katastrophe im japanischen Fukushima eine 180-Grad-Wende vollzogen hatte.



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