Warum vorzeitige Neuwahlen höchstwahrscheinlich nicht kommen werden

Selbst wenn Finanzminister Christian Lindner und seine FDP sich noch dazu durchringen würden, die Ampelregierung zu verlassen: Neuwahlen wären danach noch lange nicht in Sicht. Denn diese müsste der Kanzler selbst in die Wege leiten. Und danach sieht es derzeit ganz und gar nicht aus.
Eigentlich müsste jeder arbeiten wollen, meint der Kanzler.
Allein Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, Archivfoto) hat es in der Hand, Neuwahlen im Bund auf den Weg zu bringen. Das Szenario erscheint beim Stand der Dinge allerdings sehr unwahrscheinlich.Foto: Christophe Gateau/dpa
Von 6. November 2024

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Wird sich Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) in den nächsten Tagen mit minimalen Zugeständnissen seiner Ampelpartner zufriedengeben? Oder nutzt er den Streit um sein Wirtschaftswendepapier, um sich und seine FDP doch aus dem Bündnis mit SPD und Grünen zu lösen? Und wie könnte es dann weitergehen?

Um es gleich vorwegzunehmen: Die Neuwahl eines neuen Bundestags wäre entgegen einem weitverbreiteten Irrtum rein rechtlich nicht automatisch zwingend. Denn die aktuell 733 Parlamentarier wurden am 26. September 2021 allesamt für vier Jahre ins Amt gewählt. Nach Angaben der „Tagesschau“ dürfen sie bleiben, bis die Legislatur in elf Monaten regulär vorüber ist – es sei denn, der Bundespräsidenten löst das Parlament vorzeitig auf.

Ein Bruch des Koalitionsvertrages wäre von daher grundsätzlich nicht das Problem der Legislative, sondern zunächst einmal das der Exekutive: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) müsste eine Lösung finden, um fortan ohne den sicheren Rückhalt der FDP-Abgeordneten regieren zu können.

Minderheitsregierung? Ein mühsames Geschäft

Als erste Option stünde dem Kanzler dazu der Versuch frei, mit einer Minderheitsregierung weiterzumachen, also allein mit den Stimmen der SPD und der Grünen. Um neue Gesetze durchzudrücken, müsste sich Rot-Grün dann jedes Mal neue Stimmen aus den Reihen der Opposition besorgen.

Dass dies mehr oder weniger gut sogar jahrelang funktionieren könnte, belegen die vergangenen vier Jahre in Thüringen: Bodo Ramelows Minderheitsregierung aus Linken, Sozialdemokraten und Grünen hält seit März 2020 bis heute durch.

Ein ähnliches Konstrukt im Bund wäre zwar ebenfalls ein mühsames und vor allem langsames Geschäft. Dass aber Scholz, Habeck und Co. ihre Posten freiwillig räumen könnten, um den Staffelstab der Macht an die schon lauernde Union weiterzureichen, erscheint eher unwahrscheinlich.

SPD-Cochefin Saskia Esken erteilte den Rufen nach einer vorgezogenen Neuwahl im Bund jedenfalls am vergangenen Montag eine Absage. Man sei „bereit, mit der Situation – so wie sie sich entwickelt – umzugehen“, so Esken vor der Presse. Ihre Partei habe sich „darauf auch gut vorbereitet“.

Rot-Schwarz? Derzeit nahezu ausgeschlossen

Womit wir zu Option Nummer zwei kommen: Der Kanzler und seine verbliebenen Grünen könnten sich gleich selbst eine neue Mitstreiterpartei aussuchen, um die entstandenen Lücken in der Ministerriege füllen und wieder genug Abgeordnete hinter sich versammeln zu können.

Doch auch das erscheint unwahrscheinlich. Denn nach einem hypothetischen Abgang der FDP müsste die neue Partnerfraktion mindestens 43 Abgeordnete stark sein, um gemeinsam mit SPD und Grünen auf jene 367 Sitze im Bundestag zu kommen, die aktuell zur Mehrheit benötigt werden.

Grundsätzlich infrage dafür käme allein die Union mit ihren 196 Parlamentariern, zumal bekanntlich weder SPD noch Grüne etwas mit der 76 Sitze starken AfD zu tun haben wollen. Bei einer Neuauflage eines rot-schwarzen Bündnisses wären allerdings die Grünen überflüssig. Zudem hatte Unionsfraktionschef Friedrich Merz erst am vergangenen Montag während der Bundesvorstandssitzung seiner Partei klargestellt, dass er als Juniorpartner der SPD nicht zur Verfügung stehen werde. Er verlangt wie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder oder CDU-General Carsten Linnemann Neuwahlen.

Vertrauensfrage oder Rücktritt durch den Kanzler – abwegig

Um tatsächlich Neuwahlen auszulösen, bliebe nur die Möglichkeit, dass Olaf Scholz persönlich die Vertrauensfrage stellen würde. Gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes müssten die Abgeordneten nach einem solchen Kanzlerantrag mindestens 48 Stunden verstreichen lassen, bevor sie zur Abstimmung schreiten dürfen.

Doch ganz gleich, wie eine Parlamentsmehrheit entscheiden würde – dem Kanzler stünde es nach Angaben des POLYAS-Wahllexikons immer noch vollkommen frei, wie er darauf reagiert: Weitermachen wie bisher oder weiter neue Koalitionen suchen, zurücktreten oder den Bundespräsidenten anrufen. Mehr Optionen gebe es nicht.

Den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD) könnte der Kanzler laut POLYAS-Wahllexikon übrigens mit zwei ganz unterschiedlichen Zielen anrufen. Scholz dürfte ihn entweder tatsächlich um eine Auflösung des Bundestags mit anschließender Neuwahl bitten oder aber den sogenannten „Gesetzgebungsnotstand“ gemäß Artikel 81 GG beantragen, um eine Blockade von dringlichen Gesetzesvorhaben zu verhindern.

Im ersten Fall hätte Bundespräsident Frank-Walter-Steinmeier (SPD) 21 Tage Zeit, um die Auflösung des Bundestags zu beschließen und Neuwahlen in die Wege zu leiten. Diese müssten nach Angaben der „Tagesschau“ innerhalb von 60 Tagen stattfinden.

Im zweiten Fall eines mutmaßlichen Gesetzgebungsnotstands – also der Unmöglichkeit, von Regierungsseite noch dringliche Gesetze verabschieden lassen zu können – müsste Steinmeier zunächst die Zustimmung des Bundesrats einholen. Erst dann dürfte er den Notstand erklären. Falls der Bundestag danach immer noch nicht einlenken würde, würde für die Verabschiedung des Gesetzes die Zustimmung der Länderkammer genügen.

Nach Angaben von „Juraforum.de“ dürfen allerdings „Gesetze, die die Finanzen betreffen (also zum Beispiel das Haushaltsgesetz), nicht durch den Gesetzgebungsnotstand erlassen werden“. Es würde Scholz also nichts nützen, diesen Weg zu gehen, um den Bundeshaushalt 2025 in trockene Tücher zu bekommen.

Eine Vertrauensfrage durch den Kanzler gilt ebenso wie sein Rücktritt derzeit als äußerst unwahrscheinlich. Denn Scholz betonte trotz der Krisenstimmung immer wieder, dass er die Legislatur unbedingt zu Ende führen wolle. Bei seiner Sommerpressekonferenz im Juli hatte Scholz sogar eine zweite Amtszeit angekündigt:

 Ich werde als Kanzler antreten, um erneut Kanzler zu werden.“

Erst am Montag mahnte er nach Informationen des „Tagesspiegel“ seine Koalitionspartner, gemeinsam „in ernsten Zeiten die Herausforderungen [zu] bewältigen, vor denen wir stehen“. Keine Spur von Amtsmüdigkeit also beim Kanzler.

Aktuell nur noch 30 Prozent Ampelwähler vorhanden

Der Grund für das Beharren auf dem Status quo liegt schon wegen des Absturzes aller drei Ampelparteien in der Wählergunst auf der Hand: Nach der jüngsten Befragung von 1.202 wahlberechtigten Bürgern durch das Meinungsforschungsinstitut INSA hätten sich mit Stand 1. November 2024 lediglich 16,0 Prozent für die SPD entschieden. Die Grünen kämen auf 10,0 Prozent, die FDP wäre mit 4,0 Prozent gar nicht mehr im Reichstagsgebäude vertreten. Allein die Union bekäme mit 32,0 Prozent mehr Stimmen als alle Ampelparteien zusammen. Selbst die AfD läge mit ihren derzeit 18,0 Prozent noch vor den Sozialdemokraten.

Doch – rein hypothetisch – gesetzt den Fall, dass der Kanzler doch noch erfolglos die Vertrauensfrage stellen sollte, hätte der Bundestag gemäß Artikel 68 GG das Recht, danach seiner drohenden Auflösung zuvorzukommen, indem er selbst mehrheitlich einen neuen Kanzler wählt. Auch bei einem Rücktritt von Scholz müsste der Bundestag einen neuen Kanzler wählen. Neuwahlen wären nicht nötig.

Konstruktives Misstrauensvotum wäre auf AfD angewiesen

Auch wenn es in Deutschland also grundsätzlich allein in der Macht des Kanzlers liegt, vorzeitige Neuwahlen anzustoßen, existiert nach Angaben der „Wirtschaftswoche“ dennoch ein Schlupfloch, das auch dem Parlament eine gewisse Macht verleiht: das sogenannte „konstruktive Misstrauensvotum“.

Dafür müsste sich unter den MdB’s eine Mehrheit dafür entscheiden, den Kanzler abzuberufen – und zugleich einen neuen Regierungschef zu wählen. Rein rechnerisch wäre das aktuell nur möglich, wenn sich dafür CDU, CSU und FDP mit der AfD zusammenschließen würden. Diese Möglichkeit scheidet allerdings wegen der „Brandmauer“ aus.

Ohne die AfD stünden der Union (196 Sitze), den Linken (28), dem BSW (10) und den acht fraktionslosen Abgeordneten selbst in einem hypothetischen Verbund mit einer abtrünnigen FDP (91) nur 333 Sitze zur Verfügung. Das wären 34 Sitze zu wenig für den Kanzlersturz. Ganz zu schweigen von einer Galionsfigur, die als neuer Kanzler all die oppositionellen Kräfte hinter sich vereinigen könnte.



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