Verbot der Demonstration gegen Corona-Politik in Berlin: Schutz vor Infektionen – oder vor Kritik?
Am Tag nach der Verbotsverfügung des Berliner Senats gegen die für Samstag (29.8.) geplante Demonstration von Gegnern der Regierungspolitik in der Corona-Krise beginnt nun das gespannte Warten auf die Entscheidungen der Gerichte. Die Initiative „Querdenken 711“ kündigte noch am gestrigen Mittwoch Einspruch beim Berliner Verwaltungsgericht an und will notfalls auch vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Dass angekündigte Gegenproteste gegen die Kundgebung stattfinden dürfen, gießt zusätzlich Öl ins Feuer.
„Kein generelles Demonstrationsverbot“
Aus der Senatsverwaltung hieß es gegenüber der „Welt“: „Es gibt kein generelles Demonstrationsverbot, die Versammlungsfreiheit wurde nicht aufgehoben.“ Auch Innensenator Andreas Geisel versicherte, das Verbot stelle „keine Entscheidung gegen die Versammlungsfreiheit, sondern eine Entscheidung für den Infektionsschutz“ dar. Auch den Vorwurf politischer Voreingenommenheit wies er zurück:
Der Senat misst nicht mit zweierlei Maß. Es wird im Einzelfall entschieden. Es gibt nicht links erlauben, rechts verbieten. Das ist Unsinn.“
Genau dies wird von Kritikern der Entscheidung explizit angezweifelt. Es mag einen Erfahrungswert darstellen, dass auf Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen häufig die sogenannten AHA-Vorkehrungen (Abstand, Hygiene, Alltagsmasken) vernachlässigt werden. Unter Verweis auf die Situation am 1. August, als die erste Berliner Großkundgebung von Gegnern der Corona-Maßnahmen stattfand, ging der Berliner Senat davon aus, dass sich ein gleiches Bild auch am kommenden Samstag zeigen werde.
Kritiker der Corona-Politik hätten sich Aufforderungen der Polizei widersetzt
Allerdings, so heißt es, hätten Verstöße gegen AHA-Maßnahmen keinen Grund dargestellt, dem rot-rot-grünen Senat ideologisch vermeintlich genehmere Kundgebungen wie solche für „Black Lives Matter“ oder den „Klimaschutz“ zu behindern. Dort, so legen Bilder nahe, die in sozialen Medien gepostet wurden, mag die Anzahl der um Abstand und Maskentragen bemühten Teilnehmer zwar höher gewesen sein, aber keinesfalls hätten alle die Vorgaben beachtet. Die Polizei sei dennoch nicht eingeschritten.
Möglicherweise werden die Höchstgerichte jetzt zu entscheiden haben, ob es ungeachtet der Verhaltensweise von Teilnehmern der Kundgebung vom 1. August dennoch als gelinderes Mittel geboten gewesen wäre, den Veranstaltern beispielsweise die Vorlage eines Hygienekonzeptes aufzuerlegen – und die Darlegung von Maßnahmen, wie sie diese durchsetzen wollten.
Insgesamt sind bis Mittwoch zehn größere und kleinere Demonstrationen und Kundgebungen von verschiedenen Anmeldern für Freitag, Samstag und Sonntag untersagt worden. Betroffen waren ausschließlich solche von Gegnern der Corona-Politik, Gegenveranstaltungen blieben zugelassen. Ein Senatssprecher erklärte, man gehe grundsätzlich davon aus, dass sich Demonstrationsteilnehmer an Pandemievorschriften halten. Im Fall der „Querdenken“-Demonstrationen sei dies jedoch nicht mehr möglich gewesen, da am 1. August die Vorsichtsmaßnahmen auch auf mehrmalige Aufforderung durch die Polizei nicht berücksichtigt worden wären.
Geisel beschimpft Kundgebungs-Teilnehmer
Was insbesondere für Kritik sorgte, war eine pathetischer Kommentar, den Geisel seinen Erklärungen nachschob und der von Gegnern der Entscheidung nicht nur als Überschreitung des Mäßigungsgebots, sondern auch als konkludentes Eingeständnis der Voreingenommenheit aufgefasst wird. Geisel äußerte:
Ich bin nicht bereit, ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird.“
Sachsen-Anhalts AfD-Chef Martin Reichardt meint in einem Statement dazu:
Damit ist klar, bei dem ausgesprochenen Verbot der Demonstration geht es nicht um den Infektionsschutz, sondern um die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Deutschland.“
In einem YouTube-Video hat der Rechtsanwalt der Organisatoren der verbotenen Großkundgebung, Ralf Ludwig, angekündigt, gegen die Verbote vorgehen zu wollen. Er erklärt, es habe mit der Berliner Polizei im Vorfeld Koordinierungsgespräche gegeben, die telefonisch geführt worden seien und die in einer „angenehmen und kooperativen Atmosphäre“ verlaufen wären. Es sei dabei über alle Einzelheiten der Durchführung und die Teilnehmerzahl gesprochen worden, es habe zudem auch einvernehmliche Anpassungen gegeben, um Corona-Bedenken entgegenzuwirken.
Es habe seit Beginn der Corona-Maßnahmen hunderte Kundgebungen in anderen Bundesländern gegeben. Der Versammlungsbescheid für den 1. August habe zudem keine expliziten Hinweise auf ein Abstandsgebot enthalten, es sei auch nicht bekannt, dass Personen zu Unrecht keine Schutzmaske getragen hätten. Man wäre zu jeder Zeit bereit gewesen, allfällige Anordnungen als Veranstalter unter den Teilnehmern durchzusetzen. Auch wenn viele Teilnehmer Gebote bezüglich Abstand oder Maske für unnötig hielten, sei man bereit, diese einzuhalten.
Organisatoren: Gespräche mit Berlins Polizei „sehr kooperativ“
Da sich auch die Polizei um eine tragfähige Lösung bemüht habe, um die Demonstration zu ermöglichen, gehe er von einer politisch motivierten Entscheidung aus, erklärte Ludwig.
Ähnlich äußerte sich der Initiator der geplanten Kundgebung von „Querdenken 711“, Michael Ballweg. Es gehe dem Innensenator „nicht um infektionsschutzrechtliche Befürchtungen, die seine eigene Polizeibehörde nicht teilt, sondern ausschließlich um die Gesinnung der Teilnehmer“. Immerhin habe man mit der Polizei „die Problematik der Hygienekonzepte gut und kooperativ miteinander abgestimmt“.
Der Publizist Boris Reitschuster wirft der politischen Führung des Landes ein Messen mit zweierlei Maß vor: Erst vor einer Woche habe Bundeskanzlerin Angela Merkel Weißrusslands Regierung öffentlich gemaßregelt und von dieser gefordert, das Demonstrationsrecht zu respektieren. Bei Protestkundgebungen in Weißrussland seien allerdings weder Schutzmasken getragen noch Abstandsvorschriften beachtet worden. Zudem habe die Polizei sich selbst bezüglich offizieller Angaben über die Teilnehmerzahl an der Kundgebung vom 1. August widersprochen:
Gleichzeitig steht in der Begründung, am 1. August seien laut Polizei 30.000 Teilnehmer bei der Anti-Corona-Maßnahme gewesen. Bisher behaupteten die Behörden und viele Medien wie etwa der ARD-Faktenfinder, es seien nur 20.000 gewesen.“
In mehreren öffentlich-rechtlichen Medien war zuvor auch die Rede von 17.000 Teilnehmern gewesen. Aus den Reihen der Veranstalter und der Teilnehmer selbst waren deutlich höhere Zahlen kolportiert worden – bis hin zur objektiv unrealistischen Zahl von bis zu eine Million.
Corona-Kritiker wollen dennoch anreisen
Die Veranstalter hatten für Samstagnachmittag eine Kundgebung für 22.000 Teilnehmer angemeldet. Das nunmehrige Gezerre um ein Verbot könnte, so argwöhnen Social-Media-Nutzer, auch einen Demobilisierungseffekt beabsichtigen.
Die Unsicherheit darüber, ob die Kundgebung stattfinden könne, und die Möglichkeit, dass erst am späten Freitagabend oder gar am Samstagvormittag eine Aufhebung des Verbots durch ein Höchstgericht ausgesprochen werden könnte, lasse vermuten, dass viele potenzielle Teilnehmer, vor allem aus anderen Bundesländern, gar nicht den Weg nach Berlin antreten würden. Dies hätte zur Folge, dass die Teilnehmerzahl hinter den Erwartungen zurückbleiben würde und Gegner der Corona-Kritiker dies als Beweis dafür bemühen könnten, dass der Rückhalt für diese in der Bevölkerung gering sei.
Unterdessen rufen Anhänger der „Querdenken“-Bewegung, AfD-Politiker und weitere Nutzer der sozialen Medien dazu auf, ungeachtet der Verbotsverfügung am Samstag nach Berlin anzureisen. Während einige zu „Spaziergängen“ und „touristischen Besuchen“ aufrufen, macht auch die Ankündigung einer „Demonstration gegen das Verbot“ der Anti-Corona-Demonstrationen die Runde. In einigen Fällen sind Aufrufe, nach Berlin zu kommen, auch mit Gewaltandrohungen verbunden.
Polizei: „Berlin ist auf alle Eventualitäten vorbereitet“
Auf Befürchtungen, es könne am Wochenende auch zu gewalttätigen Ausschreitungen kommen, heißt es aus der Berliner Polizei, man sei auf alle möglichen Szenarien vorbereitet – auf eine Aufhebung des Verbots ebenso wie auf Versuche, sich entgegen der Verfügung zu versammeln. In diesem Fall werde man „Verstöße und Straftaten gegen das Versammlungsgesetz […] verfolgen und konsequent ahnden“.
Staatsrechtler verteidigen unterdessen die Entscheidung des Berliner Senats. Im „Cicero“ nahm Albert Rudolf Christian Graf von Pestalozza, emeritierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Freien Universität Berlin, zu der Verbotsverfügung Stellung.
Grundsätzlich seien körperliche Unversehrtheit, Leben und Gesundheit ebenso grundrechtlich geschützt wie die Versammlungsfreiheit. Die Problematik bestehe in der Prognoseentscheidung, die durch die Behörde zu treffen gewesen wäre.
„Je wahrscheinlicher es ist, dass ein Risiko sich realisiert – in dem Fall also, dass es zu Ansteckungen kommt –, umso eher muss vorbeugend gehandelt werden“, erklärt Pestalozza. „Denn wenn nicht gehandelt wird, kommt es mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zu Infektionen. Und dann ist es zu spät. Man wird also sagen: Wenn die Gesundheit mit einiger Wahrscheinlichkeit auf dem Spiel steht, dann ist das ein hinreichender Grund, diese konkrete Versammlung zu verbieten.“
Staatsrechtler: „Veranstalter haben Teilnehmer nicht unter Kontrolle“
Die Behörde habe auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Wahrscheinlichkeit, sich unter freiem Himmel mit Corona zu infizieren, gering sei, „nicht einfach nur ins Blaue hinein gemutmaßt“, sondern wissenschaftliche Erkenntnisse und Daten des Robert-Koch-Instituts bemüht. Außerdem sei es „offensichtlich, dass ein Infektionsrisiko besteht, wenn so viele Menschen auf engem Raum derart nahe beieinander sind“.
Da der Veranstalter am 1. August die Einhaltung von Schutzmaßnahmen nicht gewährleisten konnte, und nun eine noch höhere Teilnehmerzahl angekündigt sei, müsse „aufgrund vorangegangener Erfahrung davon ausgegangen werden, dass der Veranstalter eine derart große Menge nicht unter Kontrolle hat“.
Die von Kritikern als exzessiv wahrgenommene politische Kritik, die Innensenator Geisel der Begründung nachgeschoben habe, werde nach seiner Einschätzung den Verfügungsbescheid selbst nicht belasten:
Die Sprache, die der Senator hier verwendet, ist eine sehr politische. Aber diese Sprache taucht im Bescheid der Versammlungsbehörde ja nicht auf.“
Kissler (NZZ): „Zweifel an der Verfassungstreue des rot-rot-grünen Berliner Senats“
Bezüglich Geisels Formulierungen hätte sich der Staatsrechtler „mehr Zurückhaltung gewünscht, wenn man glaubt, den Bescheid der Versammlungsbehörde mit Kommentaren garnieren zu müssen. Man hätte es auch überhaupt nicht zu kommentieren brauchen.“
Allerdings müsse auf der obersten Ebene der Politik in dieser Hinsicht weniger Zurückhaltung geübt werden als auf der reinen Behördenebene. Deshalb sehe er nicht, dass Geisels Kommentierung juristische Implikationen haben könnte: „Worauf es ankommt, ist die Begründung der Versammlungsbehörde. Und die ist nicht reißerisch formuliert. Die Ausschmückungen des Dienstherrn spielen da vor Gericht keine Rolle.“
Deutliche Kritik kam hingegen von Alexander Kissler in der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ):
„Viel zu leicht und oft wird Skandal gerufen. Geisels Worte aber sind skandalös. Sie wecken Zweifel an der Verfassungstreue des rot-rot-grünen Berliner Senats. Und sie nähren den Verdacht, der Kampf gegen die Pandemie werde missbraucht, um missliebige Meinungen zum Schweigen zu bringen.“
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