US-Geheimdienste: Krieg Israel gegen Hisbollah so „wahrscheinlich wie noch nie“

US-Geheimdienste sind sich sicher: Kommt es nicht bald zu einem Waffenstillstandsabkommen in Gaza, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein groß angelegter Konflikt zwischen Israel und der vom Iran ferngesteuerten schiitischen Hisbollah-Miliz im Libanon ausbricht, „so hoch wie noch nie“. Das berichtete am 28. Juni die von London aus tätige Pressebeobachtungsstelle Middle East Monitor (MEMO). US-Streitkräfte und die Bundeswehr bereiten inzwischen die Evakuierung von eigenen Staatsbürgern vor.
Titelbild
Das libanesische Dorf Aita al-Shaab nach anhaltenden Kämpfen zwischen israelischen Truppen und Hisbollah-Kämpfern am 29. Juni 2024.Foto: AFP via Getty Images
Von 1. Juli 2024

Noch am vergangenen Freitag, 28. Juni, verlängerte der Bundestag drei Auslandseinsätze der Bundeswehr: die beiden Einsätze auf dem Balkan (KAFOR und EUFOR Althea) sowie die Beteiligung mit der Bundesmarine an der UN-Mission UNIFIL (United Nations Interim Force in Lebanon). Aufgabe der insgesamt 10.147 „Blauhelmsoldaten“ aus 49 Ländern ist es seit 1978, die Lage an der Südgrenze des Libanon zu Israel „zu beobachten“, Grenzverletzungen zu dokumentieren, gegebenenfalls Konfliktparteien auseinanderzuhalten.

Diese UN-Mission wurde damals für „Interim-Kräfte“ gebildet. Sie sollten nur kurzzeitig zur Friedenssicherung im Süden Libanons stationiert werden. Doch sie kamen, um zu bleiben. Inzwischen stellt UNIFIL einen der ältesten und längsten UN-Einsätze dar.

Bundeswehr bleibt Auslandsarmee

Die Bundeswehr beteiligt sich seit 2006 an diesem UN-Einsatz, jedoch hauptsächlich von der Seeseite des Mittelmeeres aus. Eine Fregatte der deutschen Marine kreuzt dabei ständig im Mittelmeer mit dem Auftrag, Waffenschmuggel an die pro-iranische Hisbollah-Miliz von der Seeseite aus zu unterbinden. Im Libanon selbst sind nur 40 deutsche Soldaten im UN-Hauptquartier Naqoura stationiert.

Grund: Die Bundesregierung möchte das Risiko für deutsche Soldaten gering halten, denn die Lage vor Ort kann rasch eskalieren und dann befinden sich die UNO-Blauhelme zwischen den Fronten, so wie am 15. Oktober vergangenen Jahres, als im UN-Hauptquartier Naqoura ein Geschoss einschlug.

Aber auch libanesische Marinesoldaten werden von der Bundeswehr ausgebildet sowie Bedienungseinheiten für von Deutschland gelieferte Radarstationen entlang der Küste. Eine weitere „Unterstützungsgruppe“ hält sich in Zypern bereit.

Die Mittelmeerinsel dient ohnehin der gesamten NATO als Flugzeugträger, auch wenn Zypern kein Mitglied der NATO ist. Großbritannien etwa unterhält zwei große Militärstützpunkte auf Zypern, wovon auch die Bundeswehr profitiert: im Fall der Fälle.

Evakuierung auf Zypern vorbereitet

Unmittelbar nach dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel im vergangenen Jahr wurden tausend Soldaten der Luftlandebrigade 1 aus dem Saarland binnen weniger Tage nach Zypern verlegt. Dieser Kampfverband ist auf militärische Evakuierungen spezialisiert.

Beim überhasteten Abzug aus Afghanistan Ende August 2021 waren diese „Saarländer“ sowie Fallschirmjäger aus Seedorf bei Bremen in Kabul eingesetzt, ebenso wie im Februar 2023 bei der Evakuierung Deutscher aus dem Sudan.

Im November 2023 wurde die Truppe auf Zypern wieder stark reduziert, weil kaum Deutsche aus Israel evakuiert werden wollten. Dies ändert sich dieser Tage erneut. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bezeichnete vergangene Woche die Lage an der Grenze zwischen dem Libanon und Israel bei ihrem Besuch in der Region als „brandgefährlich“.

„Zurück in die Steinzeit“

Seit dem 7. Oktober 2023 gab es laut ACLED, einer unter anderem von den USA und der EU finanzierten Beobachtungsstelle für bewaffnete Konflikte, mehr als 7.400 militärische Zwischenfälle an der Grenze zwischen dem Libanon und Israel.

Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant drohte vor Kurzem, sein Land sei in der Lage, den gesamten Libanon „zurück in die Steinzeit“ zu schicken. Palästinensische Flüchtlinge im Libanon drohen im Gegenzug, bei einem israelischen Angriff „aufzustehen und sich der Hisbollah“ anzuschließen.

Möglicherweise hat die Hisbollah-Miliz eines ihrer Ziele bereits erreicht: eine Ablenkung Israels weg von der ausschließlichen Bekämpfung der Hamas im Gazastreifen. Denn bereits am 23. Juni gab der israelische Premier Benjamin Netanyahu laut dem arabischen Nachrichtensender „Al-Jazeera“ bekannt, dass Israel seine Operationen in Rafah „herunterschrauben“ würde, um sich wieder auf den Libanon konzentrieren zu können.

Waffenstillstand oder Krieg

Der Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah bekräftigt seit Oktober 2023 in Reden und Onlinebotschaften, er sei nur dann bereit, Angriffe auf Israel einzustellen, wenn Netanyahu einem Waffenstillstand in Gaza zustimme.

Die libanesische Hisbollah-Kennerin Dr. Amal Abdo Saad-Ghorayeb ist überzeugt, dass Nasrallahs Aussagen ernst zu nehmen seien. Sie glaube ihm, dass er mit der Hisbollah nicht tatenlos zusehen werde, sollte die Hamas von Israel ausgelöscht werden. „Hier gibt es ein strategisches Ziel: Die Hisbollah wird die Hamas nicht alleinlassen“, sagte sie auf „Al-Jazeera“.

Grundsätzlich dürfte Israel keine Sorge vor einem Zwei-Fronten-Krieg hegen. Diesen ist das kleine Land seit seiner Gründung gewohnt. Allerdings stellt sich die Frage, zu welchem Preis. Zumindest rhetorisch droht die Hisbollah-Führung mit schrecklichen Szenarien, bis hin zu einem regionalen „Weltkrieg“.

So wurde das EU-Land Zypern von Nasrallah schon mal vorsorglich gemahnt, sich aus einem künftigen Krieg mit Israel herauszuhalten. Denn nicht nur NATO-Mitglieder sind häufig zu Gast auf der Insel. Auch Israel hat bisher zyprisches Gebiet für militärische Ausbildung genutzt. Aber natürlich richtet sich die Drohung der Hisbollah an Zypern damit an die gesamte EU, also auch an Deutschland und die Bundeswehr.

Skorpion soll nicht stechen

Seth Krummrich, pensionierter Oberst einer Spezialeinheit der US-Armee, der jahrzehntelang im Nahen Osten operativ tätig war, äußerte am 22. Juni in der amerikanischen Hauptstadtzeitung „The Hill“ Zweifel daran, dass ein Waffenstillstand in Gaza die Spannungen mit der Hisbollah tatsächlich beilegen würde.

Er schätzt vielmehr, dass die Situation inzwischen zu einem größeren Problem eskaliert sei, „das ohne einen Regimewechsel im Iran und einen etablierten, vermittelten Frieden nicht gelöst werden“ könne. „Es ist, als würde man einen Skorpion bitten, nicht zu stechen“, sagte er über die Hisbollah.

Silberstreifen in Teheran

Aus diplomatischen Kreisen in Washington und Berlin gibt es Äußerungen und Anzeichen dafür, dass sich sowohl die Hisbollah als auch ihre Hintermänner in Teheran bewusst sind, dass eine Eskalation der Konfrontation mit Israel sowohl für den Libanon als auch für den Iran riskant und sogar verheerend sein könnte.

Offenbar laufen parallel zu den Katjuscha-Raketenangriffen der Hisbollah auf Israel Geheimverhandlungen über französische Diplomaten. Angestrebt werde „ein gesichtswahrender Ausstieg“ der Hisbollah aus dem Konflikt.

Aus Teheran gibt es überraschende Anzeichen dafür, dass dieses Hintergrundgeschachere mittelfristig Erfolg zeitigen und die Einschätzung von Krummrich wahr werden könnte. Grund ist das bekannt gewordene Ergebnis der Präsidentenwahl im Iran am vergangenen Freitag.

Laut vorläufigen amtlichen Ergebnissen erhielt der Reformer Masud Pezeshkian 42,5 Prozent der Stimmen. Dies wurde am Samstag im Staatsfernsehen bekannt gegeben. Damit liegt Pezeshkian beinahe vier Prozent vor dem Zweitplatzierten, dem bekannten Hardliner alter Schule Said Jalili.

Da keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erzielte, kommt es am 5. Juli zwischen beiden zur Stichwahl. Sollte Pezeshkian diese Wahl gewinnen und von den Hardlinern in Teheran nicht gewaltsam beseitigt werden, könnte auch die Kriegsgefahr für den Libanon deutlich gesenkt werden.

Plötzlich wird an einer Präsidentennachwahl in Teheran für alle Welt deutlich, wer im Nahen Osten die Kriegsstrippen bei der Hamas und der Hisbollah wirklich zieht.

Über den Autor:

Tom Goeller ist Journalist, Amerikanist und Politologe. Als Korrespondent hat er in Washington, D.C. und in Berlin gearbeitet, unter anderem für die amerikanische Hauptstadtzeitung „The Washington Times“. Seit April 2024 schreibt er unter anderem für die Epoch Times.



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