US-Bürger ermordet: USA wollen Hamas vor Gericht stellen

Mit der jüngsten Geiselermordung, unter ihnen ein Amerikaner, hat die Hamas die US-Justiz herausgefordert. Die USA haben angekündigt, die Verantwortlichen des Hamas-Terrors vor Gericht zu stellen. Die Verhandlungen über einen Waffenstillstand sind damit festgefahren, ein Ende des Gaza-Krieges nicht in Sicht.
Titelbild
Angehörige und Freunde nehmen am 1. September 2024 auf dem Friedhof von Aschkelon im Süden Israels an der Beerdigung von Alexander Lobanow teil, dessen Leichnam zu den sechs aus dem Gazastreifen geborgenen Geiseln gehörte.Foto: Menahem Kahan /AFP via Getty Images
Von 5. September 2024

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„Das Justizministerium beschuldigt Hamas-Führer des Terrorismus und untersucht die Ermordung des US-Bürgers Hersh Goldberg-Polin in Gaza in der vergangenen Woche“, titelte am 3. September die „Washington Post“.

Alle großen amerikanischen Zeitungen brachten sinngemäß diese Überraschungsmeldung. Die Hamas war demzufolge in der Nacht vom 31. August auf 1. September mit der Ermordung von sechs Geiseln, darunter der 23-jährige amerikanische Staatsbürger Goldberg-Polin, zu weit gegangen.

Die israelische Armee hatte am vergangenen Sonntagmorgen die Leichen in einem Hamas-Tunnel unter der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens aufgefunden. Laut Angaben der israelischen Armee seien die Geiseln beim Annähern von israelischen Soldaten kurz vor der Befreiung umgebracht worden.

Ein von der Hamas veröffentlichtes Propagandavideo, in dem eine der getöteten Geiseln zuvor eine Botschaft an ihre Familie sprach, bestätigt diese Annahme.

Strafanzeige der US-Justiz

Der ermordete Hersh Goldberg-Polin ist auch in Deutschland bekannt. Er war ein prominenter Fußballfan von Werder Bremen. Der SV Werder Bremen äußerte sich entsprechend bestürzt auf seiner Webseite. Seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 wurden im Weserstadion in Bremen bei Fußballspielen immer wieder Aufforderungen eingeblendet, die Geiseln freizulassen.

Auch Fotos von Geiseln wurden auf dem Stadionbildschirm gezeigt, darunter das von Goldberg-Polin. Nun veröffentlichte am Dienstag das US-Justizministerium eine Strafanzeige gegen mehrere hochrangige Hamas-Führer. „Diese Anklage ist der erste Schritt des Justizministeriums, Personen für den Angriff in Israel zur Verantwortung zu ziehen“, erklärte der US-TV-Sender CNN.

Sechs Hamas-Führer, darunter drei, die bereits von Israel getötet wurden, wird Terrorismus, Ermordung von US-Bürgern und „der Einsatz von Massenvernichtungswaffen mit Todesfolge“ vorgeworfen. Das US-Dokument wirft den Hamas-Führern eine Vielzahl von Verbrechen vor und beschreibt detailliert den Aufstieg der Gruppe sowie ihre Unterstützung durch den Iran.

Die israelische Tageszeitung „Jerusalem Post“ bezeichnete am 4. September die Anklageschrift als „historisches Dokument“ für „die Sache der Gerechtigkeit“.

Heikel: Angeklagt ist auch Yahya Sinwar

Er wurde nach der Tötung von Ismail Haniyeh am 31. Juli in Teheran durch den israelischen Geheimdienst neuer Hamas-Führer in Gaza. Sinwar ist derjenige, der über Zwischenmänner mit der israelischen Regierung über einen Waffenstillstand verhandelt. Er soll einer der Planer des Anschlags vom 7. Oktober 2023 gewesen sein.

Das amerikanische Justizministerium bezieht sich in seiner Anklage jedoch nicht nur sehr detailliert auf jüngste Verbrechen der Hamas, sondern hat offenbar zahlreiche Vorwürfe „über mehrere Jahrzehnte“ gegen die Angeklagten gesammelt und legt diese nun vor.

Als Grundlage für das Handeln der amerikanischen Justiz wird genannt, dass sich am 7. Oktober „mindestens 43 amerikanische Staatsbürger unter den Ermordeten“ befanden und mindestens zehn Amerikaner „als Geiseln genommen wurden beziehungsweise vermisst werden“, betonten laut Pressemeldungen die Staatsanwälte.

Die Anklage sei ursprünglich bereits am 1. Februar 2024 erstellt worden. Sie sei aber unter Verschluss gehalten worden, „für den Fall, dass das Justizministerium die Möglichkeit hätte, einen der Angeklagten zu verhaften“, erklärte am 3. September ein Justizangehöriger gegenüber CNN.

Sinneswandel im Weißen Haus

In Wahrheit dürfte die US-Regierung unter Präsident Joe Biden die Veröffentlichung der Anklage zurückgehalten haben, um die Verhandlungen um einen Waffenstillstand mit der Hamas nicht zu belasten. Die jüngste Geiselermordung führte nun offenbar zu einem Sinneswandel im Weißen Haus. Der Generalstaatsanwalt Merrick Garland gab der Presse bekannt, dass der „Mord an Goldberg-Polin“ akribisch untersucht werde.

Mitte August noch gab sich US-Präsident Joe Biden optimistisch, dass eine Übereinkunft mit der Hamas zustande kommen könnte. Dafür schickte er eigens seinen Außenminister Antony Blinken in die Region. Mit der nun erhobenen Anklage gegen die Hamas-Führung, zumal gegen ihren Chef Sinwar, dürfte eine von den USA unterstützte Verhandlungslösung für ein Ende des Krieges in Gaza noch schwieriger, vielleicht sogar unmöglich werden.

Nun, da Sinwar weiß, dass er persönlich für die Gräueltaten der Hamas haftbar gemacht wird, dürfte sich seine Bereitschaft erhöht haben, bis zu einem bitteren Untergang in seinem Tunnel in Gaza auszuharren, als Zugeständnisse zu machen.

Kein Widerstand, sondern Mord

Die Anklageschrift der US-Justiz gegen die Hamas-Führung sendet zudem eine weitere wichtige Botschaft. Darin heißt es, bei den Taten der Hamas handele es sich nicht um „Widerstand“, sondern um „Mord“. Diese Formulierung dürfte dem NATO-Mitglied und Hamas-Freund Türkei schwer aufstoßen, sprach doch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan seit dem 7. Oktober 2023 stets von „legitimem Widerstand der Palästinenser“ gegen Israel.

Aber sie ist auch eine Botschaft an die Hamas-Unterstützer in den USA, die kurz nach dem brutalen Hamas-Überfall in zahlreichen Protesten vor allem an Universitäten stets den gerechtfertigten „Widerstand“ der Palästinenser betonten.

Während bald der Jahrestag des Verbrechens am 7. Oktober ansteht, dürfte diese Justizanklage die zahlreichen Hamas-Sympathisanten in den USA erneut mobilisieren und lautstark auf die Straße treiben. Möglicherweise kostet sie die Demokraten im November bei der Präsidentschaftswahl auch Stimmen.

Chance auf Waffenstillstand vertan?

David Friedman, ehemaliger US-Botschafter in Israel unter Präsident Donald Trump, äußerte sich am 4. September gegenüber dem Onlinenachrichtendienst „Jewish News Syndicate“ (JNS) über die Hamas: „Ich bin nicht optimistisch, dass sie jemals einen Deal machen werden.“

Unter Israelis gehen inzwischen die Meinungen über das weitere Vorgehen der Armee und Regierung im Gazastreifen weit auseinander. Laut einer am 4. September veröffentlichten Meinungsumfrage von JNS finden 69 Prozent der israelischen Opposition, dass Premier Netanjahu die Verantwortung für die jüngste Hinrichtung der Geiseln trage. 94 Prozent der Regierungsanhänger hingegen stehen hinter Netanjahus harte Haltung gegenüber der Hamas.

Am 1. September hatte Arnon Bar-David, der Vorsitzende von Israels größter Gewerkschaft Histadrut, einen Generalstreik ausgerufen, um die Regierung zu zwingen, um jeden Preis einen Geiseldeal mit der Hamas zu akzeptieren. Am gleichen Tag protestierten laut Presseangaben 200.000 Israelis in Tel Aviv für eine sofortige Waffenruhe in Gaza im Tausch für die noch lebenden Geiseln; ihre Zahl wird auf etwa 110 Personen geschätzt, darunter Kleinkinder. Der öffentliche Druck auf Premier Netanjahu wächst im eigenen Land zusehends.

Vorschlag für ein Abkommen

Laut „Jerusalem Post“ lagen für ein Abkommen zwischen der israelischen Regierung und der Hamas bis zur jüngsten Ermordung von Geiseln folgende Vorschläge auf dem Verhandlungstisch: Israel entlässt in einem ersten Schritt Hunderte Hamas-Mitglieder aus seinen Gefängnissen, zieht seine Streitkräfte weitgehend aus dem Gazastreifen ab und akzeptiert einen sechswöchigen Waffenstillstand.

Im Gegenzug würde die Hamas 18 bis 30 Geiseln freilassen. Zu einem späteren, unbestimmten Zeitpunkt würde die Hamas die restlichen Geiseln freilassen. Dafür verlange die Hamas als Gegenleistung weitere Freilassungen von Hamas-Mitgliedern aus israelischen Gefängnissen und die Fortsetzung des Waffenstillstands.

Das Verhandlungsziel der Hamas sei darauf ausgerichtet, dass Israel alle seine Streitkräfte aus dem Gazastreifen abzieht. Diese Verhandlungslösung würde der Hamas-Führung Straffreiheit und erneuten Handlungsspielraum gewähren.

„Die USA vergessen nicht“

Bisher waren auch die USA daran interessiert, dass sich Netanjahu zu Konzessionen bereit erklärt, die zur Freilassung der Geiseln führen. Nach wie vor befinden sich unter ihnen auch Amerikaner. Aufgrund der Mordanklageerhebung gegen die Hamas-Führung könnte indes der Druck aus Washington von Netanjahu genommen worden sein.

Die Hamas-Führer wurden bisher nie für ihre Bombenanschläge und andere Verbrechen zur Rechenschaft gezogen. Sie erhalten vielmehr seit rund zwanzig Jahren militärische und politische Unterstützung seitens der Türkei, Katar und Iran.

Jetzt ermordeten sie sechs Geiseln und gingen offenbar erneut davon aus, dass diese Untat keine Konsequenzen nach sich ziehen würde. Dieses Mal könnte sich die Hamas-Führung verkalkuliert haben. Die USA haben nun offen erklärt, dass sie die Hamas für die Planung, Unterstützung und Durchführung des Massakers vom 7. Oktober verantwortlich machen und dass dabei mehr als 40 amerikanische Staatsbürger ermordet wurden.

Die „Jerusalem Post“ glaubt, die „Hamas könnte jetzt lernen, was Osama bin Laden und Abu Bakr al-Baghdadi, Anführer von Al-Qaida und ISIS [im Irak], in der Vergangenheit lernen mussten. Sie dachten, sie könnten Tausende ermorden und ungestraft davonkommen. Doch die USA vergessen nicht. Beide wurden aufgespürt und getötet.“

Präsident Biden erklärte am 1. September vor der Presse in Washington: „Täuschen Sie sich nicht! Die Hamas-Führer werden für diese Verbrechen bezahlen.“

Über den Autor:

Tom Goeller ist Journalist, Amerikanist und Politologe. Als Korrespondent hat er in Washington, D.C., und in Berlin gearbeitet, unter anderem für die amerikanische Hauptstadtzeitung „The Washington Times“. Seit April 2024 schreibt er unter anderem für die Epoch Times.



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