Unter vier Augen mit Selenskyj: Soll Scholz in Moskau vermitteln?

Scholz spricht mit Selenskyj in Frankfurt – unter vier Augen. In Ramstein verspricht zuvor Pistorius die Lieferung von Haubitzen und Luftabwehrraketen. Für Selenskyj alles nicht genug. Er will Putin „zum Frieden zwingen“. Und Melnyk hat auch noch einen Vorschlag. Ein wahrlich „Busy Friday“.
Selenskyj bei einem Treffen mit Bundeskanzler Scholz.
Selenskyj bei einem Treffen mit Bundeskanzler Scholz in Frankfurt am Main.Foto: Boris Roessler/dpa Pool/dpa
Von 8. September 2024

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„Busy Friday“ heißt ein Song des deutschen Jazzmusikers Christoph Spendel. Der 6. September war so ein Tag: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) führte am Nachmittag in Frankfurt ein Vier-Augen-Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Beide Seiten verlautbarten dazu wortkarg nur offizielle Statements.

Aus dem ukrainischen Präsidialamt war zu erfahren, Selenskyj habe den Kanzler über die aktuelle Lage an der Front unterrichtet. Auch über eine zweite Runde der Schweizer Friedenskonferenz vom Juni dieses Jahres sei gesprochen worden. Dies bestätigte der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit.

Berlin liefert Haubitzen, Stand 1993

Selenskyj hatte zuvor auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz erstmals an einem Treffen der „Ukraine-Kontaktgruppe“ teilgenommen. Diese setzt sich aus Vertretern von 57 Nationen zusammen.

Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) besuchte Ramstein und versprach unter anderem die Lieferung von zwölf schweren Panzerhaubitzen vom Typ PzH 2000.

Das von den deutschen Firmen Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall in den neunziger Jahren entwickelte Artilleriegeschütz gilt als modern und hat je nach Geschossart eine Reichweite von 40 bis 56 Kilometer.

Die amerikanische Haubitze M109A7 erreicht seit vier Jahren hingegen 70 Kilometer. Der Vorteil der PzH 2000 liegt jedoch in ihrer hohen Mobilität auf dem Gefechtsfeld. Nur: Die Ukraine führt selten Gefechte mit hoher Mobilität.

Selenskyj beschwert sich

Laut des amerikanischen „Wall Street Journal“ vom 6. September „rügte Selenskyj westliche Verbündete, weil sie bei der Lieferung von Luftverteidigungssystemen zu langsam“ seien. Auch hinsichtlich des umstrittenen Einsatzes von westlichen Langstreckenwaffen auf russischem Territorium sind sich vor allem Washington und Kiew weiterhin uneinig.

Selenskyj drückte darüber seine Enttäuschung vor dem Gremium in Ramstein aus. Die Nachrichtenagentur „Reuters“ zitiert Selenskyj mit den Worten: „Wir müssen über diese Langstreckenkapazitäten nicht nur auf dem Territorium der Ukraine verfügen, sondern auch für das russische Territorium. Damit Russland motiviert wird, nach Frieden zu streben.“

Keine Waffen für Angriff auf Russland

Vor der Presse erteilte indes auch Pistorius der Ukraine erneut eine Absage für die Lieferung von Langstreckenraketen, um diese für Ziele auf russischem Boden einzusetzen.

Diesem Thema vor allem galt wohl ein gesondertes Gespräch, das Selenskyj mit dem amerikanischen Verteidigungsminister Lloyd Austin sowie mit Pistorius führte. Auch der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umerov nahm an dem Gespräch teil. Er unterrichtete sich bereits zwei Tage zuvor im Bundesverteidigungsministerium (BMVg) in Berlin über die deutsche Auffassung.

Pistorius hielt dem Lamento von Selenskyj vor der Presse entgegen, dass Deutschland bereits zahlreiche Luftverteidigungssysteme geliefert habe und noch liefern werde, darunter drei Flugabwehrsysteme vom Typ „Patriot“.

Dieses kann bis zu fünf Ziele gleichzeitig bekämpfen. Jedoch beträgt seine Reichweite lediglich 68 Kilometer, was den Ukrainern für ihre Gegenangriffspläne auf Russland nicht ausreicht.

Gleiches gilt für die 24 IRIS-T-Systeme, die Deutschland liefern will. Sie verfügen über eine effektive Reichweite von 40 Kilometern und bekämpfen Flugzeuge, Hubschrauber und Marschflugkörper. Sieben IRIS-T sind in der Ukraine schon im Einsatz. Dazu kommen noch Stinger-Raketen und „Gepard“-Panzer mit Flugabwehrkanonen. Kanonen!

Sind Waffensysteme der Bundeswehr noch zeitgemäß?

Doch die Frage muss tatsächlich gestellt werden, ob diese Luftabwehrwaffen noch zeitgemäß sind und ob die Ukraine nicht andere Systeme bräuchte, die allerdings nur die USA liefern könnten.

Denn: Inzwischen wird der Luftkampf weitgehend mit diversen Drohnensystemen ausgetragen, worauf die Bundeswehr noch gar nicht richtig vorbereitet ist. Die deutsche Rüstungsindustrie wurde von dem Drohnenboom der jüngsten Kriege komplett überrascht.

Das zeigt sich alleine daran, dass ein technisch bei Weitem geringer entwickeltes Land wie die Türkei zu einem der Hauptdrohnenproduzenten und Verkäufer aufgestiegen ist. Und gegen die im Iran entwickelten Drohnen vom Typ „Shahed 136“, die 2.500 Kilometer weit fliegen kann, verfügt die Bundeswehr über keine ausreichende Verteidigung, wie der Stellvertretende Chef der Luftwaffe, Generalleutnant Lutz Kohlhaus (Dreisternegeneral) am 23. Juli zugab.

Die Bundeswehr ist noch ganz darauf ausgerichtet, Panzerschlachten zu führen: mit modernster Panzertechnik zwar, aber auch mit Panzergrenadieren, Artillerie, Infanterie, Fallschirmjägern. Für solche Kämpfe ist die ukrainische Armee aber gar nicht ausgebildet – und braucht wahrscheinlich diese „historische“ Kampfführung auch nicht. Denn:

Iran liefert Raketen an Russland

Amerikanische Medien berichteten am 6. September, die amerikanische Regierung habe einen Tag vor dem Ramstein-Treffen die Botschafter der Ukraine-Kontaktgruppe in Washington darüber informiert, dass der Iran ballistische Kurzstreckenraketen mit einer Reichweite von 500 bis 1.000 Kilometer an Russland geschickt habe.

Die Raketenstellungen dafür befinden sich somit außerhalb jeglicher Reichweite von Flugabwehrsystemen, die der Ukraine bislang vom Westen zur Verfügung gestellt wurde. Möglicherweise vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass Selenskyj nun alternative Möglichkeiten auslotet.

Melnyk: Berlin könnte vermitteln

Etwa einen Vorstoß auf diplomatischer Ebene. Die Ukraine ist schon lange mit allen möglichen Staaten im Gespräch, ihren Einfluss auf Russland für Verhandlungen geltend zu machen: mit China, Indien, Brasilien und Ungarn. Und plötzlich auch mit dem viel gescholtenen Deutschland.

Ausgerechnet der ehemalige ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, meldete sich zeitgleich zu den Ramstein-Gesprächen zu Wort.

Er, der 2022 Bundeskanzler Scholz als „Leberwurst“ bezeichnet und auch sonst die gesamte Regierung einmal durchbeleidigt hatte, bevor er aus Berlin abberufen wurde, schlägt nun vor, Scholz solle eine „diplomatische Vermittlung“ mit Moskau versuchen.

In einem Interview mit der „Berliner Zeitung“, das am 6. September veröffentlicht wurde, äußerte Melnyk, der nun ukrainischer Botschafter in Brasilien ist: „Ganz persönlich glaube ich, dass Bundeskanzler Olaf Scholz kreativ werden und die bestehenden diplomatischen Kanäle Deutschlands nutzen könnte, um auszuloten, ob Gespräche mit Putin sinnvoll wären.“

Melnyk verwies in dem Interview darauf, dass Deutschland immerhin noch eine „bestehende Botschaft in Moskau“ unterhalte. Und die Ukrainer würden den Deutschen vertrauen, sagte er.

Es ist davon auszugehen, dass Melnyks Äußerungen in einer deutschen Hauptstadtzeitung als Vorbereitung für die Öffentlichkeit gedacht waren. Denn genau ein solches Thema eignet sich ideal für ein Vier-Augen-Gespräch. Worüber sonst hätten die beiden Staatschefs Scholz und Selenskyj derart geheim reden sollen?

Über den Autor:

Tom Goeller ist Journalist, Amerikanist und Politologe. Als Korrespondent hat er in Washington, DC. und in Berlin gearbeitet, unter anderem für die amerikanische Hauptstadtzeitung „The Washington Times“. Seit April 2024 schreibt er unter anderem für die Epoch Times.

 

 



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