Ukraine-Stellvertreterkrieg in Afrika – Bundeswehr zieht ab

Bis zum kommenden Wochenende müssen die letzten deutschen Soldaten den Niger verlassen haben. Seit 2016 unterhielt die Bundeswehr dort einen Stützpunkt für Lufttransport am Flughafen der Hauptstadt Niamey. Im Juli vergangenen Jahres hat sich das Militär an die Macht geputscht. Seither sind westliche Staaten unerwünscht und russische Söldner willkommen. Welche Konsequenzen hat diese Entwicklung für Deutschland?
Titelbild
Niger als Teil der Sahelzone, durch die die Migrationsrouten Afrikas führen.Foto: Dimitrios Karamitros/iStock
Von 28. August 2024

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Die ursprünglich 1.500 französischen Soldaten sind schon längst außer Landes. Mithilfe eines Blitzbesuches von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius im Dezember vergangenen Jahres gelang es jedoch, die Präsenz der Bundeswehr im Niger zunächst weiter aufrechtzuerhalten.

Auch im Mai dieses Jahres gab es noch mal Nachverhandlungen über die Stationierung deutscher Soldaten im Niger. Der Aufenthalt wurde bis zum 31. August verlängert. Doch jetzt ist Schluss.

Soldaten waren rechtlich nicht mehr geschützt

Alle weiteren Verhandlungen mit den Generälen in dem zentralafrikanischen Staat scheiterten an deren Unwillen, der Bundeswehr Schutzrechte zu gewähren, wie etwa Immunität. Für Auslandseinsätze werden grundsätzlich mit dem Einsatzland Absprachen getroffen, die die Soldaten bei der Ausübung ihrer Aufgaben von der Gerichtsbarkeit des Einsatzstaates ausnehmen und damit auch vor willkürlicher strafrechtlicher Verfolgung schützen.

„Bei der Entscheidung über die Zukunft des deutschen Lufttransportstützpunktes hatte die Sicherheit der deutschen Soldatinnen und Soldaten oberste Priorität“, verlautbarte das Bundesverteidigungsministerium. Gleichzeitig fehlte „die Zeit zur Aushandlung eines neuen Statusabkommens“, hieß es. Dazu lägen die Positionen zu weit auseinander.

Der Abzug der etwa hundert Bundeswehrkräfte aus Niger kommt einem Rauswurf gleich, denn die deutsche Botschaft in Niamey war zu weiteren Verhandlungen bereit. Doch alle Angebote, wie etwa die Fortsetzung eines Ausbildungsprogramms für Offiziere der nigrischen Armee in Deutschland, führten nicht zu einem Sinneswandel der neuen Machthaber in Niamey.

Seit dem Militärputsch am 26. Juli 2023 wendet sich das Land gemeinsam mit seinen Nachbarstaaten Mali und Burkina Faso in Richtung Moskau. Dort fordert niemand die Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen.

Hintergrund: Zuerst Mali

Um die derzeitige Lage zu verstehen, bedarf es eines kurzen Rückblicks. Der Niger zählt zu den Staaten der Sahelzone, die zwischen der Sahara im Norden und den afrikanischen Tropen im Süden liegt. Sie bildet die wichtigste Transitregion für Migranten aus dem südlichen Afrika nach Europa.

Seit der Beseitigung des libyschen Diktators Muammar Al-Gaddafi im Jahr 2011 und dem darauffolgenden Zusammenbruch Libyens haben islamistische Extremisten die gesamte Sahel-Zone unterwandert und versuchen seither, Basen zu errichten, um den afrikanischen Kontinent zu destabilisieren.

Von diesen Extremisten ermutigt, begann 2012 das Nomadenvolk der Tuareg im Norden Malis einen Aufstand gegen die Zentralregierung. Die Tuareg wollten einen eigenen Staat gründen und verbündeten sich deshalb zunächst mit mehreren islamistischen Gruppen, darunter „Al-Qaida im Islamischen Maghreb“ (AQIM).

Als diese ein Kalifat ausrufen wollten, spalteten sich die Tuareg von den Islamisten wieder ab. Jedoch erst durch das Eingreifen französischer Truppen im Jahr 2013 konnte in Mali eine relative Ruhe hergestellt werden. Weil der Druck der islamistischen Terrorgruppen mit ständigen Überfällen und Anschlägen jedoch anhielt, beschlossen die Vereinten Nationen 2013 eine UN-Friedensmission für Mali, woran sich die Bundeswehr bis Ende 2023 beteiligte.

Die von der internationalen Staatengemeinschaft geplante Stabilität kam in Mali nicht zustande. Im Gegenteil, die Sicherheitslage verschlechterte sich stetig. In den Jahren 2020 und 2021 kam es deshalb in Mali zu politischen Turbulenzen und das malische Militär übernahm die Macht.

Dieses wandte sich von den westlichen UN-Mächten ab und entschied sich für eine verstärkte Zusammenarbeit mit Russland. Moskau schickte die Söldner-Truppe „Wagner“, die vor einem Jahr bezeichnenderweise in „Afrika Korps“ umbenannt wurde.

Da es im Rahmen gemeinsamer Operationen der malischen Armee mit Angehörigen dieser russischen Kräfte wiederholt zu schweren Menschenrechtsverletzungen kam, sah die Bundesregierung „keine Möglichkeit mehr, die Zusammenarbeit mit der malischen Armee fortzusetzen“, wie das Bundesverteidigungsministerium mitteilte. Deutschland zog aus Mali ab und nutzte dafür überwiegend den Luftwaffenstützpunkt im nigrischen Niamey.

Steigende Abneigung gegen den Westen

Um nicht russischen Söldnern den Kampf gegen Islamisten alleine zu überlassen und um zur Stabilität der Sahel-Region weiterhin beizutragen, hob die Europäische Union im März 2023 rasch eine „Partnerschaftsmission“ im Niger aus der Taufe.

Die Bundeswehr beabsichtigte, die nigrischen Streitkräfte beim Aufbau von militärischen Fähigkeiten zu unterstützen. Doch auch im Niger entschloss sich im Juli 2023 das Militär, dem malischen Beispiel zu folgen.

Die Abneigung gegenüber dem Westen, insbesondere gegen Frankreich und die USA, hat in der Region drastisch zugenommen und betrifft damit auch Deutschland. Obwohl Deutschland traditionell weder Konfliktlinien in afrikanischen Ländern hat noch – zumindest in der Sahelzone – durch koloniale Vergangenheit belastet wäre, scheint der Druck des neuen russischen Verbündeten auf die Sahelstaaten so groß zu sein, dass nun auch die Bundeswehr gehen muss.

Russlands Taktik gegen die Ukraine in Afrika

Anders als die europäischen Staaten, die ihre Militärhilfe häufig an politische und moralische Bedingungen knüpfen, verfolgt Russland in Afrika eher eine Strategie des Gewährenlassens der Machthaber. Moskau stellt Nahrungsmittel, Waffen und Söldner im Anti-Terror-Kampf bereit und verlangt dafür lediglich, dass die Zusammenarbeit mit den westlichen Unterstützern der Ukraine auf ein Minimum beschränkt wird.

Insofern findet in Afrika eine Stellvertreterauseinandersetzung aufgrund des Krieges in der Ukraine statt, von dem deutsche Interessen immer deutlicher sichtbar betroffen sind.

Russland hat erfolgreich dazu beigetragen, dass die Friedensmissionen in Mali und Niger für die Westmächte beendet wurden. Deren jahrelanges Scheitern allerdings haben die UN-Truppen unter der Führung Frankreichs selbst zu verantworten.

Das ZDF berichtete am 22. Mai dieses Jahres, dass „die Flüchtlingszahlen in die EU über Russland und Belarus zuletzt deutlich angestiegen“ seien und stellte die Frage: „Ist das saisonbedingt oder steckt ‚hybride Kriegsführung‘ dahinter?“

Zahlreiche britische Tageszeitungen hatten sich zuvor mit der gleichen Frage befasst und gaben eine Antwort: Die britische Tageszeitung „The Telegraph“ etwa titelte bereits am 29. Februar 2024 reißerisch: „So flutet Putin den Westen mit Migranten aus Afrika.“

Aus Afrika Wahlen in Europa beeinflussen

Das Washingtoner „Institute for the Study of War“ (ISW) veröffentlichte am 9. Mai dazu eine seriöse Studie, die indes zum gleichen Ergebnis kam: Russland nutze „wahrscheinlich Stellungen im Norden Nigers, um über die Migrantenrouten durch die Sahara die irregulären Migrationsströme nach Europa zu erhöhen“.

Das ISW berief sich zudem auf die EU-Grenzschutzbehörde, die bereits Anfang 2024 gewarnt habe, „dass der russische Präsident Wladimir Putin versuchen werde, größere Flüchtlingsströme aus Afrika nach Europa zu lenken, um Europa zu destabilisieren, Wahlen zu beeinflussen und die Unterstützung für die Ukraine zu untergraben“.

Das ISW weiter: „Russland hat Flüchtlingskrisen in Europa wiederholt und systematisch zu einer Waffe gemacht. Die russische und die weißrussische Regierung überschwemmen seit 2021 die Grenzen Finnlands, Litauens und Polens mit Flüchtlingen.“

Der Kreml schüre zudem „anhaltende Instabilität in den Regionen, in denen er präsent ist“. Dazu zähle „auch die Sahelzone“. Denn Russland sei „mittlerweile entlang vieler Migrationsrouten durch die Sahara militärisch präsent, was seine Möglichkeiten zur Lenkung der Massenmigration erhöht“.

Diese Annahme klingt insofern plausibel, als die nigrische Militärregierung im November 2023 den „Flüchtlingsdeal mit der EU“, wie die Süddeutsche Zeitung schrieb, aufkündigte. Direkt danach konnten die EU-Behörden einen drastischen Anstieg von Migranten aus Afrika feststellen.

Über den Autor:

Tom Goeller ist Journalist, Amerikanist und Politologe. Als Korrespondent hat er in Washington, D.C., und in Berlin gearbeitet, unter anderem für die amerikanische Hauptstadtzeitung „The Washington Times“. Seit April 2024 schreibt er unter anderem für die Epoch Times.



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