Trump-Fälle und mehr: Der Oberste US-Gerichtshof steht vor wegweisenden Entscheidungen (Teil 1)
Der US-Präsident hat in seiner Rede zur Lage der Nation am 7. März 2024 eine seltene Drohung an den Obersten Gerichtshof gerichtet. Joe Biden warnte die Richter des Supreme Courts, dass ihr Abtreibungsurteil aus dem Jahr 2022 sich jetzt in politischen Gegenreaktionen bemerkbar machen könnte.
„Bei allem Respekt, verehrte Richter, Frauen sind nicht ohne Wahlrecht oder politische Macht“, sagte Biden.
Damit verstärkte der Präsident den zunehmenden Druck auf das Gericht, der mit jeder Woche zunimmt, in der die Wahlen näher rücken und die Liste der Fälle, die mit Donald Trump zusammenhängen, länger wird.
Die Richter befassen sich mit zwei wichtigen Berufungsanträgen des ehemaligen Präsidenten, welcher der voraussichtliche Kandidat der Republikaner ist und in Umfragen vor Biden liegt.
Auch ehemalige Berater von Trump sind mit mehreren Anklagen konfrontiert, sodass einige von ihnen vor den Obersten Gerichtshofs ziehen könnten, so wie es der ehemalige Handelsberater des Weißen Hauses, Peter Navarro, am 15. März getan hat.
Navarro wurde von einem Bundesgericht in Washington, D.C., wegen Missachtung des Kongresses schuldig gesprochen. Der Oberste Gerichtshof lehnte jedoch die Verhandlung seines Falles ab, sodass dieser als erster Trump-Berater ins Gefängnis musste.
„Dies ist sicherlich ein aufregendes Jahr für das Gericht“, sagte John Malcolm, Vizepräsident der konservativen Denkfabrik Heritage Foundation, gegenüber der Epoch Times.
„Mehrere Richter, vorwiegend der Oberste Richter [John Roberts], haben sich besorgt gezeigt über die öffentliche Wahrnehmung der Legitimität des Gerichts. Es wird also interessant sein zu sehen, wie die Richter reagieren, vor allem in einem wichtigen Wahljahr.“
„Es steht viel auf dem Spiel“
Für den Supreme Court geht es im Jahr 2024 um viel, da das Gericht zunehmend an Vertrauen verliert und Rufe nach Reformen lauter werden. Zudem stehen dieses Jahr mehrere Fälle mit Trump-Bezug an sowie Prozesse, die das Potenzial haben, wegweisende Präzedenzfälle zu werden.
Ein Gerichtsurteil hat sich bereits auf den Verlauf der 2024-er Präsidentschaftskampagne ausgewirkt.
Im März lehnten die Richter einen Versuch von Bundesstaaten ab, der dazu hätte führen können, dass Millionen von Trump-Anhängern ihren bevorzugten Kandidaten nicht auf dem Wahlzettel gesehen hätten.
Das bahnbrechende Urteil in der Rechtssache „Trump v. Anderson“ schloss die Möglichkeit aus, dass Staaten wie Colorado Kandidaten, die für ein Bundesamt kandidieren, vom Stimmzettel streichen können.
Während der mündlichen Verhandlung wies Richterin Amy Coney Barrett darauf hin, dass „viel auf dem Spiel steht“. Der Fall wurde als die einflussreichste Wahlrechtsfrage des Gerichts seit dem Urteil „Bush v. Gore“, welches George W. Bush den Wahlsieg ermöglichte, im Jahr 2000 bezeichnet.
Die Mehrheitsentscheidung im Fall „Trump v. Anderson“ wurde jedoch dafür kritisiert, dass es ihr an Klarheit darüber mangelte, wie der Kongress handeln sollte. In der Entscheidung wurde die Rolle des Kongresses bei der Durchsetzung des 14. Verfassungszusatzes betont.
Die Staaten, die Trump vom Stimmzettel verbannen wollten, bezogen sich auf die Aufstandsklausel des 14. Verfassungszusatzes aus dem Jahr 1868. Danach ist es einem ehemaligen Amtsträger, der an einer Rebellion teilgenommen hat, untersagt, ein weiteres Amt zu bekleiden.
Die scharfe Kritik zeigt, dass die Richter, egal, wie einig sie sich sind, auch weiterhin genau beobachtet werden – vor allem, wenn es um den ehemaligen Präsidenten geht.
Trumps Antrag auf Immunität vor Strafverfolgung, der für den 25. April zur mündlichen Verhandlung angesetzt ist, könnte sich sowohl auf seinen Prozess um den mutmaßlichen Missbrauch geheimer Regierungsdokumente als auch das Schweigegeldverfahren auswirken.
Frage der Gewaltenteilung
Trumps Antrag auf Berufung, ebenso wie die von Navarro, hinterfragt die Gewaltenteilung als auch die Befugnisse der Legislative und der Judikative, die Exekutive zu kontrollieren.
In der Rechtssache „Trump v. Anderson“ vermied es das Gericht, sich mit den Einzelheiten des mutmaßlichen Fehlverhaltens des Ex-Präsidenten im Rahmen des Aufruhrs im Kapitol am 6. Januar zu befassen, und es wird wahrscheinlich versuchen, dies auch beim Berufungsantrag für Immunität zu tun.
Die Entscheidung des Gerichts in einem anderen Prozess könnte jedoch Auswirkungen auf Trumps Anklage in der US-Hauptstadt wegen mutmaßlichem Wahlbetrugs haben.
Der Oberste Gerichtshof wird am 16. April einen Fall verhandeln, der die Anklage gegen Hunderte, die im Zusammenhang mit dem 6. Januar beschuldigt werden, rückgängig machen könnte.
Wenn das Gericht zugunsten der Angeklagten entscheidet, wie einige Rechtsexperten vorhersagen, könnte dies Trump im Washington-Prozess zum großen Teil entlasten, da er auf Grundlage desselben Bundesgesetzes angeklagt wurde. Es könnte auch eine Überprüfung der Vorgehensweise der Richter in den 6.-Januar-Fällen provozieren.
Die Entscheidung des Gerichts zu Trumps Immunitätsantrag könnte in ähnlicher Weise die Anklage entweder umstoßen oder bestätigen – was je nach Ergebnis wahrscheinlich Gegenreaktionen auf beiden Seiten auslösen wird.
Weitere brisante Fälle
Neben den Trump-Prozessen befasst sich das Gericht auch mit mehreren wichtigen Fällen aus dem Bereich des Verwaltungsrechts. Dazu gehört auch die mögliche Aufhebung der jahrzehntealten Chevron-Doktrin, die den Behörden bei der Auslegung vager Formulierungen in Vorschriften Vorrang einräumt.
Die Aufhebung der Klausel würde die Macht des Verwaltungsstaates erheblich einschränken. Ohne „Chevron“ wäre es leichter, jede behördliche Entscheidung, zum Beispiel über Emissions-Grenzwerte, vor Gericht anzufechten.
Der Oberste Gerichtshof wird auch über eine Vielzahl an Fällen zur Verfassungsmäßigkeit der Waffengesetze in den Bundesstaaten entscheiden. Es wird erwartet, dass diese Entscheidungen erhebliche Auswirkungen in den Bundesstaaten nach sich ziehen werden.
Die Richter haben auch Argumente über die Verfassungsmäßigkeit von zwei Gesetzen in Texas und Florida zur Regulierung von sozialen Medien gehört. Sollte das Gericht die Gesetze der Bundesstaaten bestätigen, würden sie als Präzedenzfälle die Landschaft der Online-Äußerungen in den USA drastisch verändern. Solche sozialen Netzwerke dürften dann nicht beliebig Nutzerbeiträge nach eigenem Ermessen zensieren, sondern müssten sich beim Moderieren von Inhalten an die jeweiligen Vorgaben des Bundesstaates halten.
„Das sind Fälle, die die Gewaltenteilung und wichtige verfassungsmäßige Rechte berühren und darüber hinaus brisante Themen betreffen, die jetzt und in Zukunft große Auswirkungen auf die Rechtsprechung haben werden“, sagte Malcolm von der Heritage Foundation gegenüber der Epoch Times.
Das Ansehen des Gerichts
Bei solch umstrittenen Themen scheint es unvermeidlich, dass die Entscheidungen der Richter große Teile der amerikanischen Öffentlichkeit verärgern werden. Die Richter könnten bei ihren Entscheidungen auch abwägen, wie sie die öffentliche Meinung in diesem Jahr, in dem so viel auf dem Spiel steht, beeinflussen werden.
Die Rechtsprofessorin Barbara McQuade von der University of Michigan sagte der Epoch Times, sie könne sich vorstellen, dass Richter Roberts im Fall „Trump v. Anderson“ Druck verspürte, „die Glaubwürdigkeit des Gerichtshofs als unabhängige und unpolitische Institution aufrechtzuerhalten“.
Sie sagte, „eine 9:0-Entscheidung würde dem Land weit mehr Vertrauen geben als eine 6:3-Entscheidung“.
Die von Trump nominierte Richterin Barrett betonte die Bedeutung der Einstimmigkeit der Richterschaft und der Wortwahl des Gerichts. In ihrer Stellungnahme in der Rechtssache „Trump v. Anderson“ schien sie ihre konservativen Kollegen für mangelnde Zurückhaltung in ihren Stellungnahmen zu kritisieren.
„Meiner Meinung nach ist dies nicht der richtige Zeitpunkt, um Meinungsverschiedenheiten zu betonen“, schrieb sie. „Der Gerichtshof hat eine politisch brisante Frage in der turbulenten Zeit der Präsidentschaftswahlen entschieden. Besonders unter diesen Umständen sollten die Worte des Gerichtshofs die geladene Stimmung im Land beruhigen und nicht weiter anheizen. Momentan sind unsere Differenzen weit weniger wichtig als unsere Einstimmigkeit: Alle neun Richter sind sich über den Ausgang dieses Falles einig. Das ist die Botschaft, die die Amerikaner mit nach Hause nehmen sollten.“
„So was habe ich noch nie erlebt“
Richterin Barretts Verhalten zeichnete sich dadurch aus, dass sie dem Gericht als Instanz durch das einstimmige Urteil mehr Gewicht verleihen wollte, anstatt sich auf rechtliche Argumente zu konzentrieren.
Die ehemalige Bundesstaatsanwältin Neama Rahmani sagte gegenüber der Epoch Times, dass die Aussage von Richterin Barrett etwas war, was sie in ihrer mehr als 20-jährigen Laufbahn noch nie erlebt habe.
Die Richterin veröffentlichte ihre Zustimmung nicht lange nach einer öffentlichen Diskussion, die sie mit ihrer Kollegin Sonia Sotomayor über die Frage geführt hatte, „wie man auf angemessene Weise anderer Meinung sein kann“. Richterin Barrett betonte, dass es am Gericht häufig einstimmige Entscheidungen gebe, während Richterin Sotomayor hervorhob, wie wichtig es sei, den Kollegen keine bösen Absichten zu unterstellen.
Die Worte von Richterin Sotomayor und ihrer progressiven Kollegen in ihrer Stellungnahme zu dem Fall „Trump v. Anderson“ hingegen waren wenig kameradschaftlich. Die Richter warfen den anderen Richtern in Anspielung auf Trump vor, zu versuchen, „alle mutmaßlichen Aufrührer vor künftigen Anfechtungen ihrer Ämter auf Bundesebene zu schützen“.
Es war nicht das erste Mal, dass sich die progressiven Richter mit recht drastischen Worten gegen ihre Kollegen gewandt hatten. Als das Gericht im Jahr 2023 die „affirmative Action“ (positive Diskriminierung) abschaffte, schrieb die von Biden ernannte Richterin Ketanji Brown Jackson eine Gegenstellungnahme, in der sie der Mehrheit der Richter in Anspielung auf die Französische Revolution eine „sollen-sie-Kuchen-essen“-Selbstvergessenheit vorwarf.
Positive Diskriminierung bezeichnet politische Maßnahmen, die der angeblichen Diskriminierung bestimmter sozialer Gruppen durch gezielte Vorteilsgewährung entgegenwirken sollen. Kritiker hingegen beklagen, die Diskriminierung eines Teils der Bevölkerung werde lediglich durch die Diskriminierung der restlichen Bevölkerung ersetzt.
Druck nimmt zu
Die Nominierung von Richterin Jackson wurde von einer Diskussion über positive Diskriminierung begleitet. Biden führte ihre Ernennung ausdrücklich auf ihre Rasse und ihr Geschlecht zurück – beides wesentliche Bestandteile der identitätspolitischen Debatten im Rahmen ihrer Bestätigung.
Ihre Nominierung folgte auf die von Richterin Barrett. Dies war ein wunder Punkt für die Demokraten, die gerade eine progressive Legende, die ehemalige Richterin Ruth Bader Ginsburg, verloren hatten, nachdem sie im September 2020 verstorben war. Die Demokraten warfen den Republikanern Heuchelei vor, nachdem diese die Nominierung des damaligen Richters Merrick Garland für den Supreme Court vor den Präsidentschaftswahlen 2016 abgelehnt hatten.
Damals ging man auch davon aus, dass Richterin Barrett eine konservative Mehrheit festigen würde, die das Aufheben von „Roe v. Wade“, welches Abtreibung in den USA im Jahr 1973 legalisierte, wahrscheinlicher machen würde. Dies bewahrheitete sich, als sie sich der 6:3-Entscheidung im Fall „Dobbs v. Jackson Women’s Health“ anschloss. Das Kippen des Abtreibungsrechts im Juni 2022 war eine der umstrittensten Entscheidungen der jüngeren US-Geschichte.
Die Fakten in diesem und anderen Fällen zeigen, dass die Richter ein Interesse daran haben, kontroverse Entscheidungen zu vermeiden. Der „New York Times“ zufolge hatte Richterin Barrett gegen eine Anhörung in der Rechtssache Dobbs gestimmt und Richter Samuel Alito gesagt, es sei noch nicht an der Zeit, da sie erst seit drei Monaten dem Gericht angehöre.
Richter Brett Kavanaugh hatte vorgeschlagen, die Bekanntgabe der Entscheidung des Supreme Court über die Anhörung von Dobbs hinauszuzögern, während Richter Roberts laut der „Times“ besorgt war, dass es so aussehen könnte, als ob das Gericht auf einen neuen Richter gewartet hätte, um „Roe v. Wade“ infrage zu stellen.
Richterin Ginsburg selbst meinte im Jahr 2012, Roe habe der Nation das Abtreibungsrecht zu schnell aufgezwungen. Aber nach einem halben Jahrhundert hatte die Entscheidung Wirkung gezeigt, da die Mehrheit der Amerikaner den Präzedenzfall zumindest dem Namen nach unterstützte.
Teil 2: Schwindendes Vertrauen: Der Oberste US-Gerichtshof steht vor wegweisenden Entscheidungen
Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „Supreme Court Faces ‘High Stakes’ Decisions on Trump-Related Cases“. (deutsche Bearbeitung nh)
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