Professor: Hetze gegen alles russische ist „ein Warnzeichen“
Konzerte mit Werken von Tschaikowski und Mussorgsky werden abgesagt, russische Künstler werden von westlichen Bühnen verbannt und Straftaten gegen russischstämmige Menschen nehmen zu. Der derzeitige Trend, alles Russische zu annullieren, sei gefährlich, meinte Gary Saul Morson. Denn es handele sich um die gleiche Denkweise wie in der totalitären Sowjetunion, was zu noch größerem Schaden führen könne, so der Professor der Northwestern University, der sich seit Jahrzehnten mit russischer Literatur und russischem Denken beschäftigt.
„Wenn man anfängt zu denken, wir müssten aufhören, Tschaikowski zu hören, weil Präsident [Wladimir] Putin in der Ukraine schreckliche Dinge tut, sollte dies ein Warnzeichen sein“, sagte Morson am 26. März in der Sendung „The Nation Speaks“ von NTD mit Cindy Drukier.
Russland-Sanktionen gehen übers Maß hinaus
Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar verhängten die Vereinigten Staaten und viele andere westliche Länder weitreichende und strenge wirtschaftliche und diplomatische Sanktionen gegen Russland und einige seiner Oligarchen. Auch viele multinationale Unternehmen stellten ihre Dienste in Russland ein.
Diese Maßnahmen beschränken sich jedoch nicht nur auf die Entscheidungsträger in der russischen Regierung, sondern greifen gegen alles, was mit Russland assoziiert wird: Anfang März sagte Kanada Konzerte des 20-jährigen russischen Pianisten Alexander Malofejew ab. In den USA und in der EU wurden Konzerte russischer Musik-Größen gestrichen und Ballettaufführung mit russischen Ballettkompanien abgesagt. Vorlesungen über Dostojewski und Bulgakow an Universitäten sorgten für Auseinandersetzungen und FDP-Innenexperte Stephan Thomae bezeichnete einen prorussischen Autokorso durch Berlin als „makaber und geschmacklos“.
Die Absage aller russischen Veranstaltungen sei eine weitere Form von „Cancel Culture“, ist Morson überzeugt. Dadurch werde alles in gut und schlecht aufgeteilt – es gebe keine Grauzone. Auf Russland bezogen, sei alles, was mit der russischen Regierung assoziiert werde, schlecht.
„Wenn es lebende Russen sind, wie dieser Pianist, dann müssen sie ja schlecht sein. Wenn wir schon über den Pianisten sprechen, wie ist es mit der Musik, die dieser Pianist spielt? Wie steht es um die verstorbenen Russen? Als seien Tschaikowski und Puschkin verantwortlich für Putin!“
Selbst Russlands Präsident Wladimir Putin ging auf „Cancel Culture“ ein. Der Westen versuche „ein tausend Jahre altes Land“ zu annullieren, sagte Putin in einer im russischen Staatsfernsehen übertragenen Sitzung am 25. März.
Er erwähnte die „fortschreitende Diskriminierung von allem, was mit Russland zu tun hat, von diesem Trend, der sich in einer Reihe westlicher Staaten mit voller Duldung und manchmal mit Ermutigung westlicher Eliten entfaltet“. Die sprichwörtliche „Ausradierungskultur“ sei zu einer Ausradierung der Kultur geworden, führte der russische Präsident aus.
„Moralische Klarheit“ verleitet zu bösen Taten
Die Aufteilung in „gut und schlecht“ sei eine sehr vereinfachte Art zu denken. Genau diese Aufteilung sei es, die zum Hass gegen bestimmte Ethnien führe, erklärte Professor Morson.
„Das Gefühl der moralischen Klarheit verleitet die Menschen zu der Annahme, dass es keine Grenzen gibt und dass sie umso moralischer sind, je extravaganter sie sind. Das ist das Problem mit dieser Art von Denken“. Diese Denkweise lasse keine weitere Diskussion zu. Unter dem Deckmantel der „moralischen Klarheit“ könnten deshalb schlimme Dinge getan werden, was in der Sowjetunion zur Ermordung von Millionen von Menschen führte, so der Slawist.
Dazu zitierte er den verstorbenen russischen Schriftsteller und Dissidenten Alexander Solschenizyn. „Der Strich, der das Gute vom Bösen trennt, durchkreuzt das Herz eines jeden Menschen“, schrieb der Nobelpreisträger in seinem Werk „Der Archipel Gulag“. Die Menschen müssten anerkennen, dass jede Person sowohl Gutes als auch Böses tun kann. Wenn Menschen denken, sie seien moralisch völlig rein, dann seien sie am anfälligsten dafür, Böses zu tun.
„Cancel Culture“ war im Kalten Krieg tabu
Im weiteren Verlauf des Gesprächs ging Morson auf den Fachbereich slawische Sprachen und Literatur an seiner Universität ein. Dieser sei ebenfalls der „Cancel Culture“ zum Opfer gefallen. So befand sich jahrelang ein Foto des Kremls auf seiner Homepage, an dem sich einige nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine Anstoß genommen hätten. Sein Fachbereich habe daraufhin das Foto ausgetauscht. „Das klingt so lächerlich“, so der Professor.
Diese Annullierung sei eine primitive Art zu denken. Dass Menschen mit akademischem Hintergrund dies tun, Personen, die angeblich Gelehrte seien, „ist sehr entmutigend“, meinte der Slawist nach einem tiefen Seufzer.
Selbst während des Kalten Krieges, als die Sowjetunion als ein Todfeind wahrgenommen wurde, sei so etwas nicht vorgekommen. Ganz im Gegenteil: Die russische Sprache und Kultur florierten in den USA, ergänzte Morson, der zu dieser Zeit sein Russischstudium begann.
Denn damals lautete die Devise: Genau, weil die UdSSR ein Todfeind ist, sollten die Amerikaner mehr und nicht weniger über die russische Kultur wissen. Zudem hoffte man, dass hohe Kunst und Literatur, die weltweit als solche anerkannt werden, die Menschen zusammenbringen würden.
Studenten toleranter als Professoren und Journalisten
Im Interview brach Morson außerdem eine Lanze für die Studenten. Sie seien nicht die Initiatoren der Cancel-Culture-Bewegung, so der Akademiker, sondern würden nur das wiederholen, was Journalisten und Professoren sagten.
„Sofern niemand sie absichtlich aufhetzt, neigen sie dazu, viel aufgeschlossener und toleranter zu sein als ihre Lehrmeister, die ihnen sagen, was zu tun ist. Ich habe in Studenten viel mehr Vertrauen als andere Personen, weil ich mit ihnen oft zu tun habe.“
Selbst wenn sie Meinungen ausdrücken, die engstirnig seien, würden sie nicht danach handeln. Sie würden sich zudem andere Meinungen anhören, was Professoren und politische Führer nicht tun würden, so der Slawist. Menschen in Führungspositionen würden ihm zufolge sogar Öl ins Feuer gießen.
Vor einem Monat schrieb Morson bereits einen Artikel zu der Tendenz, alle Andersdenkenden unter dem Deckmantel der „Wissenschaft“ zu unterdrücken und sie dazu zu zwingen, ihre Meinung zu ändern.
„Politiker behaupten, sie würden ‚nur der Wissenschaft folgen‘, während unterstützende Massenmedien Menschen, die das hinterfragen, als Feinde der Wissenschaft von ihren Plattformen verbannen. Die Pseudowissenschaft hatte es noch nie so gut“, heißt es in dem Artikel.
Auf die Frage, was jeder Einzelne gegen den Hass tun könne, ist die Antwort für den Professor ganz klar: Vernünftig bleiben. Nur so könne man anderen Menschen seinen Standpunkt erklären und sie dazu motivieren, selbst zu denken, anstatt mit dem Strom zu schwimmen. „Einige Menschen werden das akzeptieren“, sagte der Slawist zum Schluss.
Gary Saul Morson ist Professor für slawische Sprachen und Literatur an der Northwestern University in der Stadt Evanston, im US-Bundesstaat Illinois. Sein Spezialgebiet ist das Verhältnis zwischen Literatur und Philosophie, besonders in den Werken von Fjodor Dostojewski und Leo Tolstoi.
Mit Material der Epoch Times USA
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