Politisches Erdbeben in Seoul – wohin steuert Südkorea?

Bevölkerungsschwund, Ärztemangel, Polarisierung zwischen Parteien und in der Gesellschaft, sinkende Popularität des Präsidenten, Skandale um seine Frau, mit Trump kein Verlass mehr auf die USA, Haushaltsstreit: Südkoreas Präsident Yoon verhängte gestern das Kriegsrecht und hob es wieder auf. Hintergründe der massiven Staatskrise.
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Südkoreanische Demonstranten halten ein Transparent mit der Aufschrift „Wir verurteilen Yoon Suk Yeols illegales Kriegsrecht“ während einer Kundgebung auf dem Gwanghwamun-Platz in Seoul am 4. Dezember 2024, nachdem das Kriegsrecht aufgehoben wurde.Foto: Jung Yeon-je/AFP via Getty Images
Von 4. Dezember 2024

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Die einstige Vorzeigedemokratie Asiens rast mit dem von Präsident Yoon Suk-yeol verhängten Kriegsrecht, das das Gukhoe (Parlament) wieder aufgehoben hat, auf einen Tiefpunkt zu, dessen Ende noch nicht abzusehen ist.

In einer unangekündigten Fernsehansprache warf Yoon am 3. Dezember der größten Oppositionspartei des Landes Sympathien für Nordkorea und staatsfeindliche Aktivitäten vor und rief deshalb das Kriegsrecht aus. Wenige Stunden später hob er es wieder auf.

Yoon erklärte zunächst, Auslöser für die Verhängung des Kriegsrechts sei der Antrag der linken Oppositionspartei Deobureo-minju-Partei (Demokratische Partei des Miteinanders, vergleichbar mit der SPD). Diese hatte gefordert, die obersten Staatsanwälte des Amtes zu entheben und den Haushaltsentwurf seiner Regierung abzulehnen. Die Deobureo-minju-Partei – kurz Minju – verfügt über die Mehrheit der Parlamentssitze.

Parlament setzt sich durch

Unmittelbar nach Yoons überraschender Ankündigung stimmte die Mehrheit der südkoreanischen Abgeordneten des Parlaments mit 190 von 300 Stimmen gegen die Verhängung des Kriegsrechts.

Der Sprecher (Vorsitzende) des Parlaments, Woo Won-shik von der Minju-Partei, bezeichnete die Ankündigung des Präsidenten nach der Abstimmung als „ungültig“ und forderte ihn auf, die Notstandsmaßnahmen „sofort aufzuheben“. Wenige Stunden später lenkte Yoon ein. Damit hielt die Demokratie in Südkorea der Willkür des Präsidenten stand.

Oppositionsführer Lee Jae-myung spricht bei einer Protestkundgebung vor der Nationalversammlung in Seoul. Foto: Chung Sung-Jun/Getty Images

Südkorea und die Rückkehr von Donald Trump

Wie der „Korea Times“ zu entnehmen ist, bereitet sich die Regierung Yoons nach der Wahl von Donald Trump zum neuen US-Präsidenten auf einen „Wechsel der Allianzen“ vor. Analysten in Südkorea warnen davor, dass die Politik des US-Republikaners die jahrzehntealte Allianz zwischen Seoul und Washington erneut auf die Probe stellen könnte, und erinnern an die Turbulenzen während seiner vorherigen Amtszeit von 2017 bis 2021.

Damals hatte Trump eine erhebliche Erhöhung des finanziellen Beitrags Seouls zur Unterstützung der US-Streitkräfte in Korea (USFK) gefordert. In seinem diesjährigen Wahlkampf hatte er Südkorea als „Geldmaschine“ bezeichnet. Diese Aussage wird dahingehend ausgelegt, dass er auf seiner früheren Position in der Frage der Kostenbeteiligung durch Seoul beharren werde.

Außerdem wird in der südkoreanischen Öffentlichkeit diskutiert, das Land mit eigenen atomaren Waffen auszustatten, da Trump mehrfach angekündigt habe, dass er die amerikanischen Ressourcen in Asien zur Bekämpfung Chinas benötigte. Die Präsenz der USFK soll unter Trump drastisch verringert werden. Deshalb müsse Seoul mehr Verantwortung für die eigene Abschreckung gegenüber Nordkorea übernehmen.

Diese Pläne sind in der südkoreanischen Gesellschaft unbeliebt, denn eine knappe Mehrheit der Bevölkerung setzt eher auf Annäherung zu Pjöngjang, nicht auf eine militärische Verschärfung. Insofern sieht sich Yoon unter Druck, mit Trump hart zu verhandeln.

Unterstützer von Präsident Yoon schwenken südkoreanische und US-amerikanische Flaggen während einer Kundgebung am 4. Dezember 2024 in Seoul. Foto: Anthony Wallace/AFP via Getty Images

Forderungen nach Absetzung des Präsidenten

Vor allem aber innenpolitisch steht die Regierung vor einem Berg an Problemen, derer sie nicht Herr wird. Yoon von der rechtskonservativen People Power Party (PPP) gewann seine Wahl zum Präsidenten im Jahr 2022 mit weniger als 1 Prozentpunkt Vorsprung.

Seit seinem Amtsantritt sah er sich einer Reihe von Herausforderungen gegenüber: von der ständigen Bedrohung durch Nordkorea, der er eine harte Haltung entgegensetzen wollte, der sich anbahnenden Spannungen mit den USA, einer immer härter werdenden Haltung Chinas, hin zu drastischem Bevölkerungsrückgang und einem dramatischen Ärztemangel.

Zu alledem geriet er in eine dauerhafte schwere politische Auseinandersetzung mit der liberalen Minju-Oppositionspartei, der es mittels Parlamentsvoten wiederholt gelang, Minister Yoon des Amtes zu entheben und seine besagten Haushaltspläne zu durchkreuzen.

Yoons Beliebtheitswerte sind unter seinen Wählern seit seinem Amtsantritt drastisch gesunken. Dazu haben auch eine Reihe von Skandalen seiner Ehefrau beigetragen. In den letzten Monaten forderten Hunderttausende Demonstranten wiederholt Yoons Amtsenthebung. Yoons Frau, Kim Keon-hee, hat sich angeblich von Dior eine Luxushandtasche schenken lassen und soll in Aktienmanipulationen verwickelt sein.

Südkoreas Präsident Yoon rief das Kriegsrecht aus - und nahm den Beschluss kurz darauf wieder zurück.

Südkoreas Präsident Yoon rief das Kriegsrecht aus – und nahm den Beschluss kurz darauf wieder zurück. Foto: Ahn Young-joon/AP/dpa

Demokratie zerrüttet

„Südkoreas Demokratie kämpft mit politischer Polarisierung“ und sei „zerrüttet“, stellte bereits im April dieses Jahres eine Analyse des italienischen Instituts International Political Studies (ISPI) fest. Die heftige Polarisierung der beiden großen Parteien ließen „immer weniger Spielraum“ zu, „auf die Bedürfnisse der Bevölkerung einzugehen“.

Die südkoreanische Politik wird in erster Linie von Persönlichkeiten bestimmt. Dies macht das Parteiensystem unbeständig. Zudem gehen Politiker auf persönlicher Ebene ein hohes Risiko ein, da die Strafverfolgung zwischen den beiden politischen Lagern oft als politische Waffe genutzt wird. Nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt wurden die meisten ehemaligen Präsidenten juristisch belangt und verurteilt, sobald der politische Gegner an die Macht gelangte.

Spaltung über Japans Kolonialzeit

Zudem hat das Thema, wie mit der brutalen japanischen Kolonialzeit umgegangen werden soll, in den letzten Jahren ebenfalls die Bruchlinie zwischen Liberalen und Konservativen verschärft.

Während Yoon bestrebt ist, die Beziehungen zu Japan wiederzubeleben, beharrt die linke Minju-Partei darauf, dass ohne eine „gerechte“ Entschädigung der Opfer der japanischen Kolonialherrschaft kein Kompromiss mit dem Nachbarstaat akzeptiert werden könne.

Geschlechterkrieg

Der größte gesellschaftliche Faktor hinter dem wachsenden Polarisierungsprozess sei jedoch der sogenannte Geschlechterkrieg, stellte ISPI fest. Dieses Phänomen betreffe vor allem die jüngeren Generationen: frauenfeindliche Einstellungen im öffentlichen Raum, geschlechtsspezifische Diskriminierung am Arbeitsplatz, ungleiche gesellschaftliche Erwartungen in Bezug auf Familie und persönlichen Wohlstand.

Während die Minju-Partei versuche, feministische Aktivistinnen für ihre Reihen zu rekrutieren, befürworteten Yoon und seine Partei eine antifeministische Politik, die in der Schließung des Ministeriums für Gleichstellung gipfle.

Ärztemangel und sinkende Geburtenrate

Damit nicht genug: Es gibt in Südkorea einen dramatischen Ärztemangel. Südkoreanische Medien berichten täglich darüber. Inzwischen arbeiten Medizinprofessoren als Ersatz für Assistenzärzte. Dies hat dazu geführt, dass nicht dringend zu behandelnde Patienten nicht mehr in Krankenhäusern versorgt werden müssen. Dies wiederum bringt große Universitätskliniken aufgrund Patientenmangels in finanzielle Schwierigkeiten. Für diese Entwicklung wird ebenfalls die Yoon-Regierung verantwortlich gemacht.

Schließlich leidet das Land noch unter einer drastisch sinkenden Geburtenrate. Die Nachrichtenplattform „Business Today“ verbreitete vor zwei Tagen die Nachricht, bis zur Jahrhundertwende würde in Südkorea nur noch ein Drittel der Bevölkerungszahl von heute leben. Ein Teil des Problems sei der „Genderkrieg“, da Frauen in steigendem Maße nicht mehr dazu bereit seien, lediglich Hausarbeit und Kindererziehung zu verrichten. Die Männer wiederum seien nicht bereit, diese Tätigkeiten zu übernehmen.

Viele südkoreanische Frauen, insbesondere in städtischen Gebieten, legten dem Pressebericht zufolge „mehr Wert auf den beruflichen Aufstieg als auf die Familiengründung“. Eine Regierungsumfrage aus dem Jahr 2023 habe ergeben, dass die Mehrheit der Frauen die „Probleme der Elternschaft“ als größtes Hindernis für ihre berufliche Entwicklung angab.



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