Pkw-Maut: Regressforderungen gegen Ex-Minister ohne Rechtsgrundlage
Die Pkw-Maut galt für die CSU in der vergangenen Legislaturperiode als das Prestigeprojekt schlechthin. Um es sich mit der potenziellen Wählerschaft aber nicht zu verscherzen, ließen sich die Christsozialen und der damalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer eine Hintertür offen: Die Pkw-Maut sollte zwar grundsätzlich für alle erhoben werden, deutsche Autofahrer hätten diese jedoch über die Kfz-Steuer verrechnen können.
Aber: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) schob diesen Plänen im Jahr 2019 einen Riegel vor. Mit diesem Urteil war die Pkw-Maut also schon beerdigt, bevor sie faktisch überhaupt das Licht der Welt erblicken konnte. Die Verträge mit den auserkorenen Betreibern – Kapsch TrafficCom (Österreich) und CTS Eventim (Deutschland) – waren zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits unterzeichnet. Scheuer hatte sich bei dem Projekt voll und ganz auf die Einschätzung eines Gutachters am EuGH verlassen.
Anfang Juli 2023 bestätigte der amtierende Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) eine Einigung zwischen den Vertragsparteien. Für die im Anschluss an das Urteil aus Luxemburg ausgesprochene Kündigung durch den Bund erhalten die Betreiber 243 Millionen Euro aus der Staatskasse. Ursprünglich belief sich deren Forderung sogar auf 560 Millionen Euro.
Scheuer soll zur Kasse gebeten werden
Deshalb wagte sich Wissing jetzt mit einem durchaus ambitionierten Vorhaben aus der Deckung. Der Verkehrsminister der Ampel will seinen Amtsvorgänger persönlich in die Haftung nehmen und von diesem den durch die geplatzte Pkw-Maut entstandenen Schaden einfordern. Er habe ein externes Gutachten in Auftrag gegeben, „um Rechtsfragen zu klären“ und das „Maß der Fahrlässigkeit“ untersuchen zu lassen, so der FDP-Politiker.
Die erste Frage lautet natürlich, woher ein Privatmann – im Fall der Fälle – 243 Millionen Euro nehmen soll. Gleich als Nächstes geht es darum, ob solche Forderungen aus rein rechtlicher Sicht überhaupt im Bereich des Denkbaren liegen. Nicht alles, was aus subjektiver Sicht angemessen erscheinen mag, ist juristisch, also aus objektiver Sicht, auch durchsetzbar.
Und so verhält es sich dem Vernehmen nach auch mit Regressforderungen an die Adresse von amtierenden oder ehemaligen Ministern. Im Jahr 2019 kam der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags zwar zu der Erkenntnis, dass Regressforderungen gegen Verantwortliche in Fällen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit grundsätzlich möglich seien. Der zugrunde liegende Artikel 34 des Grundgesetzes bezieht sich jedoch ausdrücklich nur auf Bundesbeamte. Im für Bundesminister relevanten Bundesministergesetz gibt es keinen entsprechenden Passus.
Das dürfte auch Volker Wissing bekannt sein, sodass dessen Regressforderung an Andreas Scheuer eher wie ein Lückenfüller im politischen Sommerloch wirkt. Der FDP-Minister beteuert dennoch, dass es seine Aufgabe sei, „die Vermögensinteressen der Bundesrepublik Deutschland zu wahren“, weshalb dies „keine politische Frage, sondern eine rechtliche Frage sei“. Dabei scheint eben diese rechtliche Frage längst geklärt, auch wenn die vorliegende Antwort natürlich nicht jedem gefallen wird.
Brückenschlag zur Corona-Politik
Die von Volker Wissing ausgesprochenen Regressforderungen könnten aber auch schnell zum Bumerang werden. Denn wo ein ehemaliger Verkehrsminister für eine geplatzte Pkw-Maut in persönliche Haftung genommen werden soll, da könnten vom politischen Gegner früher oder später entsprechende Forderungen auch an Karl Lauterbach (SPD) oder dessen Amtsvorgänger Jens Spahn (CDU) gerichtet werden.
Für zu viel bestellte Masken, Schutzanzüge, Impfungen und vieles mehr wurden während der Corona-Krise Milliarden Steuergelder genutzt. Durchaus mögliche und gegebenenfalls in der Zukunft liegende Entschädigungen an Impfopfer könnten noch hinzukommen. Diese wären nicht etwa von den Herstellern zu tragen, sondern ebenfalls vom Bund, sprich dem Steuerzahler, wie ein Blick in die entsprechenden Verträge zeigt.
Es reicht jedoch, sich dabei auf die bereits bekannten Fakten zu konzentrieren. So musste Karl Lauterbach in einer nicht öffentlichen Sitzung des Haushaltsausschusses im Deutschen Bundestag einräumen, dass bis Ende März 2023 rund 83 Millionen Impfdosen im Gesamtwert von 1,6 Milliarden Euro verfallen seien und deshalb vernichtet werden mussten.
Die „Welt“ konnte darüber hinaus in Erfahrung bringen, dass aus den Beständen des Bundes mindestens 660 Millionen sogenannte „OP-Masken“ und 95 Millionen zertifizierte FFP2-Masken vernichtet werden müssen. Hierfür sucht das Bundesgesundheitsministerium per Ausschreibung offenbar ein „externes Entsorgungsunternehmen“. Der Auftragswert beläuft sich demnach auf rund sieben Millionen Euro, hinzu kommt noch der Material- und Beschaffungswert der überschüssigen Masken.
Aber auch die einzelnen Bundesländer haben sich in der Vergangenheit mit Masken und Schutzausrüstung aller Art eingedeckt. Im Rahmen einer entsprechenden Erhebung wurde bekannt, dass in zehn Ländern bisher mehr als 57 Millionen dieser Textilien entweder bereits verbrannt wurden oder noch verbrannt werden sollen.
Bund der Steuerzahler meldet sich zu Wort
Wenn es um Verschwendung öffentlicher Gelder geht, gilt der Bund der Steuerzahler (BdSt) traditionell als oberste Instanz. Im Schwarzbuch 2022/23, der Jubiläumsausgabe zum 50-jährigen Bestehen, sind weitere haarsträubende Fälle aufgeführt:
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer ließ im Februar 2022 rund 1,4 Millionen Briefe an die Altersgruppe „60+“ verschicken, um für die Impfung zu werben – Kostenpunkt: 763.000 Euro. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch mehr als 82 Prozent der Zielgruppe bereits mindestens einmal geimpft. Rund 627.000 Euro der genannten Kosten entfielen also auf Empfänger, die bereits geimpft waren. Der Bund der Steuerzahler fordert daher, die Empfänger solcher Schreiben nicht pauschal nach deren Alter auszuwählen, sondern stattdessen zuvor den tatsächlichen Bedarf zu ermitteln.
In Hamburg wurde für die Mitarbeiter der Stadt ein eigenes Impfzentrum eingerichtet. Für 1,2 Millionen Euro (zuzüglich der Kosten für den Impfstoff) wurde eine Infrastruktur aufgebaut, die es erlaubt hätte, über den Jahreswechsel 2021/22 bis zu 16.800 Dosen zu verabreichen. Tatsächlich wurden aber nur 8.300 Impfungen durchgeführt. Mit Blick auf rund 100.000 städtische Mitarbeiter bezeichnet der BdSt das Projekt daher als „Flop“.
Auch in Aufbau und Unterhalt der Testzentren flossen jede Menge Steuergelder, nicht immer ging es dabei jedoch mit rechten Dingen zu. Der Bund der Steuerzahler wirft der Bundesregierung vor, in diesem Fall vor allem der Großen Koalition, „zu lange auf wirksame Kontrollen verzichtet“ zu haben. Allein zwischen Juli 2021 und Juni 2022 seien 7,3 Milliarden Euro für 623 Millionen Tests abgerechnet worden.
Ein nicht unerheblicher Teil davon wurde nach Einschätzung des BdSt in betrügerischer Absicht erwirtschaftet. Das Schwarzbuch 2022/23 zitiert einen Beamten des LKA Berlin: „Ich persönlich würde mich nicht wundern, wenn die Gesamtschäden in der Größenordnung um die 800 Millionen bis 1,2 Milliarden Euro liegen würden.“
Reiner Holznagel, Präsident des Steuerzahlerbundes, macht in den hier geschilderten Zusammenhängen auf ein ganz grundsätzliches Problem aufmerksam: „Wer dem Staat Steuern schuldig bleibt, wird hart bestraft. Wer das Geld verschwendet, muss jedoch viel zu oft keine Konsequenzen tragen. Daher muss das Strafgesetzbuch um Regelungen zur Steuergeldverschwendung und Haushaltsuntreue ergänzt werden.“
Über den Autor
Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog. Rebmann hat mehrere Jahre im Ausland gelebt, unter anderem in Venezuela und der Schweiz.
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