Netanjahu will, dass Hisbollah „die Botschaft versteht“
Die Printmedien und Fernsehnachrichten in der arabischen Welt blicken derzeit fast nur noch auf den eskalierten Kampf Israels gegen die radikal-schiitische Miliz Hisbollah. Es ist jedoch mehr als das. Es ist ein Stellvertreterkrieg des Irans, der sich zum Ziel gesetzt hat, Israel auszulöschen. Dafür nutzt der Iran derzeit vor allem die Hisbollah im Libanon.
Iron Dome durchbrochen
Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu nahm am Sonntag in einer über zahlreiche Internet-Kanäle verbreiteten Video-Erklärung dazu Stellung. „In den letzten Tagen haben wir die Hisbollah mit einer Reihe von Angriffen getroffen, die sie sich nicht hätte vorstellen können“, sagte Netanjahu.
„Wenn die Hisbollah die Botschaft nicht verstanden hat, dann verspreche ich ihr, dass sie die Botschaft verstehen wird“, warnte er und erklärte den Grund für die Eskalation: Die israelische Regierung sei „entschlossen“, den aus dem Norden Israels geflohenen Einwohnern die Rückkehr wieder zu ermöglichen. „Kein Land kann Raketenbeschuss auf seine Einwohner oder Städte tolerieren“, stelle Netanjahu klar.
Einen Tag nach dem brutalen Angriff der palästinensischen Terror-Organisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 mussten Zigtausende Israelis im Grenzraum zum Libanon ihre Wohnorte verlassen, da die Hisbollah nach ihren eigenen Worten „aus Solidarität“ mit der Hamas damit begann, fast tägliche Artillerie- und Raketenangriffe auf den Norden Israels durchzuführen.
Die Stellungnahme Netanjahus erfolgte, nachdem die Hisbollah am Sonntagmorgen ihre Raketenangriffe erfolgreich auf den Großraum Haifa und das Jesreel-Tal ausgeweitet hatte. Dadurch waren trotz des hochmodernen israelischen Luftabwehrsystems „Iron Dome“ überraschend zwei Millionen Israelis bedroht.
Die israelischen Streitkräfte (IDF) teilten am Sonntag mit, dass seit Samstagabend rund 150 Katjuscha-Raketen aus dem Libanon sowie Marschflugkörper und Drohnen von schiitischen Milizen im Irak auf Israel abgefeuert worden seien. Damit hat sich der Konflikt ausgeweitet.
Bundeswehreinsatz im Irak gefährdet
Im Irak gibt es mehr als sechzig schiitische Milizen, die unter mehreren Dachverbänden zusammengeschlossen sind. Sie werden inoffiziell vom Iran geführt, offiziell unterstehen sie dem irakischen Heer. Die Miliz-Gruppe „Islamischer Widerstand im Irak“ hat sich seit November 2023 immer wieder an Luftangriffen auf Israel beteiligt und laut des nord-irakischen Fernsehsenders „Kurdistan 24“ am 1. Juli damit gedroht, ihre „Operationen rasch auszuweiten, falls Israel einen großangelegten Krieg gegen den Libanon beginnen sollte“.
Die sich nun verstetigende Unterstützung dieser irakischen Miliz-Gruppe für die Hisbollah deutet an, dass sie den Kampf gegen Israel fortsetzen könnte, gewissermaßen aus der zweiten Reihe heraus, sollte die Handlungsfreiheit der libanesischen Waffenbrüder eingeschränkt sein. Würde Israel dann auch diese Kräfte im Irak angreifen, wäre ein erweiterter Nahostkrieg tatsächlich nicht mehr auszuschließen.
Eine solche Ausweitung des Krieges würde auch den Fortbestand des seit 2015 aufgestellten Bundeswehr-Einsatzkontingents im Kurdengebiet im Nord-Irak von etwa 80 Soldaten und die etwa 20 Soldaten bei der NATO-Mission in Bagdad gefährden.
Eine Entscheidung über die Verlängerung des Irak-Einsatzes steht ohnehin in Kürze im Bundestag an. Der Einsatz ist zurzeit nur bis zum 31. Oktober genehmigt. Möglicherweise nimmt Israel der Bundesregierung die Entscheidung ab.
USA sehen noch keinen „größeren Krieg“
Denn der Nationale Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten, Jake Sullivan, glaubt: „Die Gefahr einer Eskalation ist real. Ich denke, wir befinden uns in einem dieser Momente, in denen es akuter wird“, sagte Sullivan am Samstag gegenüber Reportern in Delaware.
Auf die Frage, ob der israelische Angriff im Süden Beiruts, bei dem mindestens 37 Menschen getötet wurden, darunter hochrangige Kommandeure der Hisbollah, seiner Ansicht nach eine Eskalation darstelle, entgegnete Sullivan jedoch ausweichend: „Werden wir in einen größeren Krieg geraten? Wir sind noch nicht da. Ich hoffe, wir kommen nicht dorthin“, sagte Sullivan laut einer CNN-Meldung vom Sonntag.
Sullivan verwies außerdem darauf, dass die Tötung des Hisbollahführers Ibrahim Aqil in Beirut am Freitag durch die israelische Luftwaffe auch im Sinne der USA gewesen sei. Diese hatten wegen Aqils mutmaßlicher Beteiligung am Angriff auf die US-Botschaft und auf eine US-Kaserne in Beirut im Jahr 1983 ein Kopfgeld von sieben Millionen US-Dollar ausgesetzt, da damals insgesamt 304 Amerikaner ums Leben gekommen waren.
Die IDF hatte nach der Tötung Aqils bekannt gegeben, dieser habe nach Geheimdienstinformationen eine Operation zur Invasion der Region Galiläas im Norden Israels geplant, die ähnlich ausfallen sollte wie jene der Hamas vor einem Jahr.
Der arabische Nachrichtensender „Al-Arabiya“ mit Sitz in Dubai verbreitete am Sonntag unter Berufung auf amerikanische Regierungskreise, dass es nach Einschätzung von US-Geheimdiensten keine Hinweise auf eine israelische Bodeninvasion im Libanon gebe.
Hisbollah verspricht „Kampf ohne Grenzen“
Bei der gestrigen Beerdigung von Ibrahim Aqil in Beirut stieß der Stellvertretende „Generalsekretär“ der Hisbollah, Naim Qassem, eine wüste Drohung aus: Israel habe „Kriegsverbrechen begangen, die für uns schmerzhaft sind“ und infolgedessen habe nun ein „Kampf ohne Grenzen“ begonnen, berichtete CNN.
„Was letzte Nacht geschah, war bereits ein Teil des Kampfes ohne Grenzen“, sagte Qassem und bezog sich dabei auf Raketenangriffe auf Israel am Samstagabend, die tief in israelisches Territorium vorgedrungen waren. „Wir erkennen an, dass sie uns verletzt haben. Wir sind Menschen. Aber wenn wir Schmerzen haben, werden sie auch Schmerzen erleiden.“
Qassem zeigte sich selbstbewusst: Israel werde seine Ziele nicht erreichen und „die Unterstützung des Libanons für Gaza“ werde auf jeden Fall bestehen bleiben, „bis der Krieg gegen Gaza endet“. Mit keinem Wort erwähnte der Hisbollahführer die Hamas, sondern sprach allgemein von „Gaza“, um auf diese Weise die gesamte palästinensische Bevölkerung zu erreichen.
Auch verwendete Qassem nicht den Begriff „Hisbollah“, sondern sprach von der „Unterstützung des Libanon“. Damit hat er den Anspruch erhoben, dass die Hisbollah für das ganze Land spricht, obwohl es im Libanon auch Drusen und einen großen christlichen Bevölkerungsanteil gibt, der stark anti-Hamas eingestellt ist. Aus Qassems Worten wird somit deutlich, dass die Hisbollah den gesamten Libanon in Geiselhaft gegen Israel nimmt.
Büro von „Al Jazeera“ geschlossen
Doch es gibt neben der militärischen Eskalation auch einen Kampf um die Deutungshoheit im medialen Raum. Der katarische Fernsehsender „Al Jazeera“ übertrug am Sonntag Liveaufnahmen, wie israelische Soldaten das TV-Büro in Ramallah im Westjordanland besetzten und eine Schließung für 45 Tage anordneten.
Das Filmmaterial zeigte den Büroleiter des Netzwerks, Walid Omary, und Mitarbeiter live auf Sendung, wie israelische Soldaten in die Redaktion eindrangen. Das Büro von „Al Jazeera“ in Ramallah ist seit Jahrzehnten in Betrieb. Bereits im Mai wurde das „Al Jazeera“-Büro in Jerusalem geschlossen.
Diese Maßnahmen der Einschränkung der Pressefreiheit stellen Netanjahu auf die Stufe seines arabischen Nachbarn Ägypten. Dort verbot der diktatorisch regierende Abdel Fatah El-Sisi den „Al Jazeera“ bereits 2013 im ganzen Land.
„Al Jazeera“ wurde nach dem Zweiten Golfkrieg 1991 gegründet und von abgeworbenen BBC-Reportern aufgebaut. Seither gilt er als eines der wichtigsten überregionalen Leitmedien in der arabischen Welt. Der Sender geriert sich als Stimme für die „entrechteten arabischen Völker“.
In seinen weltweit auf Englisch ausgestrahlten Sendungen gibt sich „Al Jazeera“ neutral und wirkt deshalb hauptsächlich auf Europäer seriös. Auf dem arabischsprachigen Kanal wird indes offen Hetze gegen Israel, den Westen im Allgemeinen und gegen bestimmte arabische Regierungen verbreitet, die nicht zur Ideologie der Vereinigten Arabischen Emirate passen.
Riesige Proteste in ganz Israel
Am Samstag gingen erneut Hunderttausende von israelischen Demonstranten in Tel Aviv, Jerusalem, Caesarea und weiteren Städten des Landes auf die Straße (siehe „X“).
Sie beschuldigten die Regierung Netanjahus, sich nicht mehr um die Freilassung der mehr als einhundert israelischen Geiseln in der Hand der Hamas in Gaza zu bemühen. Wie die Internet-Tageszeitung „Times of Israel“ am Sonntag berichtete, werfen die Demonstranten dem israelischen Premierminister vor, „die Geiseln zu opfern“, um sich nun auf die Front im Norden gegen die Hisbollah zu konzentrieren.
Die berittene Polizei musste einschreiten. Es kam zu zahlreichen Festnahmen, darunter prominent die vorübergehende Verhaftung des ehemaligen IDF-Stabschefs Dan Halutz. Wie auf Videoaufnahmen zu hören ist, schreien die Demonstranten die Polizei an: „Schämt ihr euch nicht?“
Die Demonstranten forderten einen Waffenstillstandsvertrag mit der Hamas, um im Gegenzug die Freilassung der Geiseln zu erreichen. Nach Informationen der Epoch Times beurteilten deshalb viele Israelis, darunter auch jene, die nicht demonstrierten, den erwähnten Video-Auftritt Netanjahus am Sonntag als Farce.
Denn dieser trug am rechten Revers seines Anzugs eine kleine gelbe Schleife. Seit dem Vietnamkrieg steht dieses Symbol dafür, dass der Träger einer Person gedenkt, die sich in Kriegsgefangenschaft befindet und auf dessen Rückkehr er wartet.
Auswirkungen auf die US-Wahl
Netanjahu trat seine Reise zur jährlichen Vollversammlung der Vereinten Nationen (VN) in New York, die gestern begonnen hat, nicht an. Das ist kein gutes Zeichen. Laut Medienberichten beabsichtige er erst am Freitag dort zu erscheinen, dann, wenn bereits wichtige Debatten und Entscheidungen abgeschlossen sind.
Die VN hatten im Vorfeld zu ihrer jährlichen Generalversammlung am 18. September eine Resolution verabschiedet (Deutschland enthielt sich), die Israel eine Frist von einem Jahr setzte, um sich aus dem Gaza-Streifen zurückzuziehen. Es ist davon auszugehen, dass Netanjahu diese Resolution ignorieren wird.
Auffallend ist zudem die Zurückhaltung der USA. Von ihren noch bis vor einem Monat mit Verve geführten Vermittlungsbemühungen um einen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas ist öffentlich nichts mehr zu vernehmen. Es scheint so, als ob Netanjahu aus Washington freie Hand erhalten habe.
Diese derzeitige Zurückhaltung der Biden-Regierung könnte sich ungünstig für die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, Kamala Harris, auswirken. Denn in den USA gibt es eine wachsende Wählerschicht aus arabischstämmigen Einwanderern, die eine harte Haltung gegenüber Israel fordert.
Aber auch unter den jüdischen Amerikanern, die in der Vergangenheit zu 65 Prozent die Demokraten gewählt haben und denen das Schicksal der Geiseln näher geht als der Kampf gegen die Hisbollah, wächst der Frust über den nachgiebigen Kurs des demokratischen Präsidenten Biden gegenüber Netanjahu.
Über den Autor:
Tom Goeller ist Journalist, Amerikanist und Politologe. Als Korrespondent hat er in Washington, D.C., und in Berlin gearbeitet, unter anderem für die amerikanische Hauptstadtzeitung „The Washington Times“. Seit April 2024 schreibt er unter anderem für die Epoch Times.
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