Merz will vorgezogene Neuwahlen schon im Herbst 2024

Oppositionsführer Friedrich Merz sieht die Ampel am Ende. Er möchte jetzt die Entscheidung und nicht bis 2025 warten. Dabei hofft er darauf, dass die FDP erneut zum Umfaller wird, wie vor über 40 Jahren, als sich die FDP von Schmidt trennte, um bei Kohl einzuziehen. Eine Analyse.
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Wirtschaftsminister Christian Lindner (FDP) und CDU-Chef Friedrich Merz.Foto: Tobias Schwarz/AFP via Getty Images
Von 25. März 2024

Neuwahlen sind für sich genommen erst einmal keine Besonderheit. Sie finden auf kommunaler, auf Landes- und Bundesebene in festgelegten regelmäßigen Abständen statt. Wenn CDU-Chef Friedrich Merz jetzt von Neuwahlen spricht, dann sorgt das vor allem deshalb für Aufregung beim politischen Gegner, weil Merz gegenüber der Funke-Mediengruppe vorgezogene Neuwahlen gefordert hat, sprich den per Wählerentscheid 2021 für die kommenden vier Jahre ausgesprochenen Regierungsauftrag schon nach zweieinhalb Jahren nicht mehr gegeben sieht.

So einen vorgezogenen Regierungswechsel auf Bundesebene gab es in der Geschichte der Bundesrepublik bisher dreimal. Jedes Mal waren sie verbunden mit dem Instrument der Vertrauensfrage des Bundeskanzlers. Auf der Website des Deutschen Bundestages heißt es zur verlorenen Vertrauensfrage von Kanzler Gerhard Schröder (SPD): „Wie schon vor ihm Willy Brandt (SPD) und Dr. Helmut Kohl (CDU) wollte er die Vertrauensabstimmung im Parlament gezielt verlieren, um Neuwahlen zu erreichen.“

Schröder hatte als einziger Kanzler bisher die Vertrauensfrage zweimal gestellt. Beim ersten Durchgang 2001 wurde ihm das Vertrauen noch ausgesprochen.

Ein weiteres Instrument für vorzeitige Neuwahlen ist das konstruktive Misstrauensvotum gemäß Artikel 67 des Grundgesetzes, wonach der Bundestag dem Bundeskanzler mit der Mehrheit seiner Mitglieder das Misstrauen ausspricht und den Bundespräsidenten ersucht, den Bundeskanzler zu entlassen. Dieser wiederum muss diesem Ersuchen laut Grundgesetz entsprechen.

Man darf nun annehmen, dass Friedrich Merz nicht darauf hofft, dass der amtierende Kanzler von sich aus die Vertrauensfrage stellt. Er muss demnach davon ausgehen, dass im Falle eines Misstrauensvotums des Parlaments keine Ampelmehrheit mehr zustande kommt. Hilfreich ist es, sich zu erinnern, dass der Bundestag in seiner Sitzverteilung nach wie vor die Wahlentscheidung von 2021 widerspiegelt. Das Wählervotum von vor zweieinhalb Jahren ist hier gewissermaßen eingefroren. Aktuelle Umfragen spielen keine Rolle.

Helmut Schmidt und die FDP

Ein erfolgreiches Misstrauensvotum käme demnach nur zustande, wenn die Koalition entsprechend zerrüttet wäre. Das war schon einmal der Fall, als sich die FDP 1982 aus einer Koalition mit der SPD verabschiedete und Kanzler Helmut Schmidt mit den Stimmen der FDP via Misstrauensvotum abgewählt wurde. Zuvor hatten sich schon die vier FDP-Minister im Kabinett Schmidt verabschiedet. Eine zuvor im selben Jahr gestellte Vertrauensfrage des Kanzlers war noch zu seinen Gunsten ausgegangen.

Wichtig zu wissen: Helmut Kohl wurde 1982 nicht vom Volk gewählt; die Parlamentarier wechselten im einzig erfolgreichen konstruktiven Misstrauensvotum der Geschichte der Bundesrepublik ohne Neuwahlen den Kanzler. „Konstruktiv“ heißt in dem Fall, dass ein nachfolgender Kanzler bereitsteht.

Unionsoppositionsführer Friedrich Merz machte damals gerade sein juristisches Staatsexamen. Vierzig Jahre später versucht der CDU-Chef einen weiteren Anlauf und hofft dabei ebenfalls auf die Umfallerqualitäten der FDP. Aber Merz spricht von „Neuwahlen“, die es bei Kohls Einstand als Kanzler nicht gab. Will er diese Neuwahlen jedoch wirklich, wenn er sie über konstruktives Misstrauensvotum für eine Jamaika-Koalition gar nicht benötigt?

Merz‘ Spagat ist 2024 komplizierter, als er es für den Schmidt-Nachfolger Helmut Kohl gewesen sein dürfte. Denn Merz muss sich zusätzlich einer grünen Partnerschaft versichern. Allenfalls eine Jamaika-Koalition hat in dieser eingefrorenen Gemengelage von 2021 das Potenzial für eine regierungsfähige Mehrheit. Jedenfalls dann, wenn sich alle Parteien weiterhin weigern, mit der AfD zu koalieren.

Merz ist kein Novize, was den Versuch angeht, die amtierende Regierung vorzeitig zu beenden. Schon Ende 2023 forderte er Olaf Scholz einmal dazu auf, die Vertrauensfrage zu stellen.

Was sind heute die Argumente von Friedrich Merz für vorgezogene Neuwahlen?

Folgt man dem Gespräch der Funke-Mediengruppe, dann glaubt Merz nicht, dass die FDP im Herbst 2025 als Teil der Ampel in den Wahlkampf gehen will. Merz unterstellt der FDP, sie warte nur auf den passenden Anlass für den Ampelausstieg.

Und Merz hat schon einen Termin im Kopf: „Wenn die Bundesregierung vorzeitig scheitert und es tatsächlich Neuwahlen gibt, bietet sich als Termin der 22. September dieses Jahres an. (…) Die Sommerferien wären dann überall vorbei, und mit der Landtagswahl in Brandenburg ist der Tag bereits ein Wahlsonntag.“

„Das Volk liebt den Verrat, aber nicht den Verräter“

Gemessen daran, dass Merz die FDP als zweiten Juniorpartner in Erwägung zieht, ist der vorgezogene Koalitionsantrag von Merz allerdings wenig charmant, wenn er die Braut eine „Verräterin“ nennt. Hier kann allenfalls von der Anbahnung einer Pflichtehe zu dritt die Rede sein, wenn Merz – hier zitiert von der „Welt“ – meint:

„Die FDP weiß: Wenn sie in der Koalition bleibt, fliegt sie bei der nächsten Bundestagswahl wieder aus dem Parlament. Sie wird nach meiner Einschätzung daher nicht als Teil der Ampel in den Wahlkampf gehen wollen. Die Frage ist nur, wann die Liberalen gehen und aus welchem Anlass. Das Volk liebt den Verrat, aber nicht den Verräter.“

Und Friedrich Merz erwähnt auch, wen er sich als Premiumpartner der CDU vorstellt: Für die Grünen ist er voller Lob. Die verständen zwar nichts von Wirtschafts- und Innenpolitik, wo sie gerade „großen Schaden“ anrichten, so Merz. Aber die Außenpolitik – demnach Annalena Baerbock – nötige ihm „großen Respekt“ ab:

„Sie haben eine tiefe Wandlung durchgemacht. Robert Habeck war der Erste, der von Waffenlieferungen für die Ukraine gesprochen hat. Die Grünen sind in der Lage, die Realitäten sehr schnell anzunehmen, zumindest in der Außen- und Sicherheitspolitik.“

Wie reagiert jetzt die Ampel auf das Vorhaben von Friedrich Merz, das er im Übrigen aktiv selbst gar nicht betreiben kann ohne Vertrauensfrage des Kanzlers oder Misstrauensvotum.

Kubicki: „Niemand hat die Absicht …“

Einer, der schon häufiger die Arbeit der Ampel kritisierte, ist Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP-Vize). Aber was den Merz-Vorstoß angeht, demonstriert der Liberale Koalitionsdisziplin. Die FDP plane keinen Ausstieg aus dem Regierungsbündnis mit SPD und den Grünen. Seine Kritik an Merz ist eindeutig:

„Dass er jetzt aber in einem Anflug von Größenwahn selbst bestimmen will, wann der Bundestag neu gewählt werden soll, ist schon ziemlich peinlich. Abgesehen davon, dass die FDP keinen Ausstieg plant, wäre sie selbst für einen solch unwahrscheinlichen Fall vorbereitet.“

Und gewissermaßen als Retourkutsche kontert Kubicki, er frage sich seinerseits, ob die Union jetzt zum zweiten Mal mit einem Kandidaten in eine Bundestagswahl gehen wolle, „den viele Menschen im Land ablehnen und den vor allem weite Teile seiner eigenen Partei nicht mögen“.

Aber nicht nur Vertreter der FDP, auch aus der SPD melden sich prominente Stimmen zu den vorgeschlagenen vorgezogenen Neuwahlen. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese etwa sagte am Sonntag gegenüber der „Welt“, der Vorstoß zeige vor allem, dass Friedrich Merz in seiner kompletten politischen Karriere noch nie Regierungsverantwortung gehabt habe – und das sei auch sehr gut so: „Ich kann über diesen leichtfertigen und verantwortungslosen Vorstoß ehrlicherweise nur den Kopf schütteln.“

Für die Grünen kommentierte die parlamentarische Geschäftsführerin Irene Mihalic die Merz-Attacke gegen die Ampel:

„Wir regieren als Koalition erfolgreich und werden das auch die ganze Legislaturperiode tun. Die Menschen durchschauen es, dass Friedrich Merz sich mit seinen Aussagen wieder mal parteitaktischen Spielen widmet statt den Herausforderungen dieses Landes.“

Abschließend gefragt: Welchen Vorteil könnte Merz für die von ihm als Oppositionsführer geführte Union sehen, wenn es vorgezogene Neuwahlen gäbe? Zum einen ist seine Rolle als Kanzlerkandidat keineswegs zukunftsfest. Zum anderen – was der für die CDU deutlich relevantere Aspekt sein muss – können die entlang der Umfragen zu erwartenden Erfolge der AfD in den Landtagswahlen einen Effekt auch für die Bundestagswahlen 2025 haben. Zudem sind die Grünen gegenüber 2021 auf ein Maß geschrumpft, das bei vorgezogenen Neuwahlen einen Kanzlerkandidaten Robert Habeck nahezu ausschließt.



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