LNG-Debatte in der EU: Küstenländer stehen mit Binnenstaaten im Energiekonflikt

Die EU-Energiepolitik steht vor einer Zerreißprobe: Einerseits drängen Frankreich und die baltischen Staaten auf strengere Regeln für russisches Flüssiggas, andererseits kämpfen Binnenländer wie Ungarn, Österreich und die Slowakei um bezahlbare Alternativen. Der Konflikt offenbart die Komplexität der europäischen Energiewende. Eine Analyse.
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Die Abkehr von russischem Gas ist für EU-Binnenländer nur schwer zu stemmen, während Küstenländer bessere Kompensationsmöglichkeiten haben.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 21. Oktober 2024

Eine Gruppe von EU-Ländern fordert strengere Vorschriften für den Import von russischem Flüssigerdgas (LNG). Diese Initiative könnte erhebliche Auswirkungen auf die Energieversorgung in Mittel- und Osteuropa haben.

Zu den Ländern, die strengere Regeln fordern, gehören insbesondere Frankreich und die baltischen Staaten. In einem Brief an die Europäische Kommission haben sie eine Verschärfung der Berichtspflichten für russisches LNG gefordert.

Die vorgeschlagenen Regelungen würden eine detailliertere Berichterstattung über russisches Flüssigerdgas in Speichern und bei umgeladenen Frachten erfordern. Ziel dieser Maßnahmen ist es, die Abhängigkeit der EU von russischer Energie weiter zu reduzieren, vor allem vor dem Hintergrund der anhaltenden Spannungen mit Moskau aufgrund des Ukraine-Krieges.

Allerdings könnten diese Maßnahmen besonders für Binnenländer in Mittel- und Osteuropa problematisch sein, da diese oft nur begrenzte Alternativen zu russischem Gas haben. Länder wie Ungarn, Österreich und die Slowakei, die keinen direkten Zugang zum Meer haben, könnten durch diese Vorschriften vor erhebliche Herausforderungen in ihrer Energieversorgung gestellt werden.

Sanktionen

Flüssigerdgas, das in Spezialtankern auf dem Seeweg transportiert wird, hat für die Energieversorgung Europas zunehmend an Bedeutung gewonnen. Große Häfen in Frankreich, Belgien und Spanien nehmen Flüssigerdgaslieferungen entgegen, die dann wieder in Gas umgewandelt und auf dem gesamten Kontinent verteilt werden.

Da die Flüssigerdgasimporte stark angestiegen sind, geht nach Ansicht eines ehemaligen hochrangigen EU-Beamten die Ära der Abhängigkeit von russischen Gaspipelines zu Ende. Kritiker argumentieren jedoch, dass die EU einige Binnenstaaten wie Ungarn dazu dränge, sich zu schnell von russischem Gas zu verabschieden.

Durch die verschärften Sanktionen für Flüssiggasimporte auf dem Seeweg – Importe, die letztlich auch für diese Binnenländer bestimmt sind – könnten ihre Brennstoffvorräte noch knapper und teurer werden.

Obwohl die EU russische Ölimporte weitgehend verboten hat, gibt es derzeit keine EU-weiten Sanktionen für den Kauf von russischem Gas. Die Europäische Kommission hat die Mitgliedstaaten aufgefordert, ihre Importe zu reduzieren, um zu verhindern, dass sie ihrer Ansicht nach die Kriegskasse des Kremls finanzieren.

Die EU hat gezielte Maßnahmen ergriffen, die den Transfer von russischem Flüssigerdgas zwischen Schiffen in europäischen Häfen zur weiteren Lieferung verbieten. Diese Maßnahmen werden 2025 in Kraft treten.

Vergangene Woche forderten Frankreich und die baltischen Staaten in einem Schreiben die Europäische Kommission auf, noch weiterzugehen. Die vorgeschlagenen strengeren Berichtsregeln würden die Lagerbetreiber verpflichten, Informationen über den Anteil des russischen LNG in umgeladenen Frachten preiszugeben, und sie würden die Lagerbetreiber auffordern, dessen Herkunft zu überwachen.

„Belgien wird eine Initiative einreichen, und wir werden sie unterstützen, um [LNG-]Importe aus Russland systematischer zu verbieten und zu verfolgen“, sagte Kai Mykkänen, Finnlands Klima- und Umweltminister.

Abkehr von russischem Pipelinegas

Die Veränderung der europäischen Energielandschaft wurde sowohl durch praktische Versorgungsbedürfnisse als auch durch geopolitischen Druck vorangetrieben.

Die Internationale Energieagentur berichtete kürzlich, dass die weltweite Nachfrage nach Erdgas in den Jahren 2024 und 2025 voraussichtlich neue Höchststände erreichen werde. Dieses Nachfrageplus kombiniert mit einem begrenzten Anstieg der Flüssigerdgasproduktion trage zu einer angespannten Versorgungslage bei, hieß es.

Darüber hinaus bezeichnete die Behörde die Zukunft der Gasversorgung über die ukrainisch-russische Pipeline als einen „zentralen Unsicherheitsfaktor“ für Europa in diesem Winter.

Trotz des Krieges wurde weiterhin Gas aus Russland durch die Ukraine geleitet. Im Jahr 2023 deckten Österreich, Ungarn und die Slowakei – allesamt Binnenländer – 65 Prozent ihres Gasbedarfs mit Gas aus der Ukraine-Pipeline.

Am 1. Januar 2025 läuft jedoch der wichtigste Vertrag für diesen Transit aus.

Neben der gestiegenen Nachfrage und der knappen Versorgungslage hat sich in den EU-Ländern insgesamt eine deutliche Abkehr vom russischen Pipelinegas vollzogen.

EU-Daten zeigen, dass der Anteil Russlands an den Pipelinegasimporten der EU von über 40 Prozent im Jahr 2021 auf etwa 8 Prozent im Jahr 2023 gesunken ist. Wenn man sowohl Pipeline- als auch Flüssiggas einbezieht, machte Russland 2023 nur noch 15 Prozent der gesamten EU-Gasimporte aus.

Der Übergang war jedoch für Binnenländer wie Österreich, die Slowakei und Ungarn, die in der Vergangenheit stark auf russisches Pipelinegas über die ukrainische Transitroute angewiesen waren, eine besondere Herausforderung. Im Jahr 2023 deckten die drei Länder 65 Prozent ihres Gasbedarfs mit Gas aus der ukrainischen Pipeline.

So liegt der Anteil des russischen Gases in Österreich nach wie vor bei 95 Prozent, verglichen mit 14 Prozent in der übrigen EU. Ungarn bezieht nach wie vor etwa zwei Drittel seiner Gasimporte aus Russland.

Mangelnde vorausschauende Planung könnte dazu führen, dass die Abhängigkeit von Flüssigerdgas für die Länder zu teureren Verträgen im Vergleich zu Moskaus Pipelinegas führt. In einem Bericht aus dem Jahr 2023 stellte das Baker Institute for Public Policy, eine US-amerikanische Denkfabrik, fest, dass die „generelle Vermeidung langfristiger Verträge“ durch europäische Käufer bedeuten könnte, dass sie bereit seien, höhere Gebote abzugeben, wenn sie Flüssiggas benötigten. Dies könnte die Preise in die Höhe treiben.

„Doppelmoral, völlige Heuchelei“

Yann Caspar, Forscher am Mathias Corvinus Collegium Centre for European Studies, einem ungarischen Thinktank, der der Regierung von Viktor Orbán nahesteht, sagte gegenüber der Epoch Times, dass Frankreich, Spanien und Belgien weiterhin große Mengen russisches Flüssiggas für den europäischen Markt kauften.

Während ihre offizielle Position als eher EU-konform betrachtet wird, würden EU-Binnenländer aber dazu gedrängt, nach Alternativen zu russischen Lieferungen zu suchen, und dabei von den EU-Institutionen genauer unter die Lupe genommen werden.

Die Küstenländer können ihre Abhängigkeit von Gas aus Pipelines verringern, da sie Flüssigerdgas auf dem Seeweg importieren können. „Es gibt eine Doppelmoral, eine völlige Heuchelei“, sagte Caspar. Er meinte, dass die Energiepolitik realistisch angegangen werden sollte.

„Man muss einen sehr realistischen Ansatz haben. Es ist nicht möglich, Energiefragen in einen ideologischen Rahmen zu setzen. Das ist sehr gefährlich“, sagte Caspar.

Er räumte ein, dass eine Diversifizierung notwendig sei, stellte jedoch deren Machbarkeit für Binnenstaaten wie Ungarn infrage. „Für ein kleines Land ohne Zugang zum Meer ist es kurzfristig nicht möglich, alles zu ändern“, sagte Caspar.

Ungarn fordert mehr Unterstützung

Im vergangenen Monat kritisierte der stellvertretende ungarische Staatssekretär für Energiesicherheit, Csaba Marosvari, die EU dafür, dass sie keine ausreichende Unterstützung für den Übergang weg vom russischen Erdgas bereitstelle.

„In unserer Region gibt es kleine Länder, kleine Märkte, wenige bedeutende Marktteilnehmer und Kapitalmangel; diese Art von Infrastruktur- und Entstauungsprojekten kann bis zu Hunderte Millionen Euro kosten – auf dem Brennstoffmarkt ist dies nicht realisierbar“, sagte er den Teilnehmern der Gastech-Konferenz im September in Houston.

Marosvari sagte, dass der Fokus der Europäischen Kommission auf die Finanzierung von Projekten für grüne Energie unbeabsichtigt dazu geführt habe, dass einige Länder nicht die notwendige Unterstützung für die Diversifizierung erhalten hätten.

„Infolge des Krieges in der Ukraine wurden wir immer stärker unter Druck gesetzt, uns schneller von russischen Brennstoffen zu verabschieden, aber sie verweigern die dafür erforderlichen Mittel“, sagte er.

Energie-Wandler

Samuel Furfari arbeitete von 1982 bis 2018 als leitender Beamter für die EU-Kommission in Sachen Energie. Furfari bezeichnete Flüssigerdgas als einen „Energie-Wandler“ (energy changer). Gegenüber der Epoch Times sagte er, dass die aktuelle Situation die Entstehung „neuer Lieferländer stimulieren wird, da Gaspipelines in der Vergangenheit als das einzige Transportmittel galten“.

„Das ist jetzt vorbei“, sagte er.

Furfari äußerte sich skeptisch über Prognosen und merkte an, dass niemand die Ereignisse im Zusammenhang mit den Pipelines Nord Stream, die im September 2022 gesprengt wurden, vorhersehen konnte.

Obwohl Furfari zögerte, zukünftige Entwicklungen im Energiesektor vorherzusagen, sagte er: „Es ist eine Fantasievorstellung zu behaupten, dass wir dekarbonisieren werden.“

„Wir müssen uns entscheiden, ob wir unsere Freiheit oder unseren Wohlstand bewahren oder für den Klimawandel kämpfen wollen. Es ist unmöglich, alle drei zu verfolgen“, sagte er.

Als ein Sprecher der EU-Kommission um einen Kommentar gebeten wurde, verwies er die Epoch Times auf ein Treffen der EU-Energieminister am 15. Oktober, bei dem sie das Ziel betonten, „die Energiekosten erschwinglich und wettbewerbsfähig zu halten, ohne die Notwendigkeit der Kohlendioxidreduzierung und der Energiesicherheit aus den Augen zu verlieren“.

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „Landlocked European Nations Face Gas Woes Amid Growing Pressure on Russia“. (deutsche Bearbeitung jw)



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