Kritik an EU-Plänen: Kommt die Planwirtschaft auf leisen Sohlen?
Auf EU-Ebene wird im Moment ein Gesetzentwurf beraten, der als brisant bezeichnet werden muss. Mit dem dramatisch klingenden Namen „Notfallinstrument für den Binnenmarkt“, auf Englisch abgekürzt SMEI (Single Market Emergency Instrument), möchte man verhindern, dass es bei eventuellen Krisen zu Versorgungsengpässen kommt. Man möchte aus der Situation am Anfang der Corona-Pandemie lernen.
So verbot Deutschland damals beispielsweise die Ausfuhr von Schutzmasken und andere Ausrüstung in europäische Nachbarländer. Gleichzeitig wurden von anderen Ländern die Grenzübergänge ohne Abstimmung geschlossen. Das führte damals zu kilometerlangen Staus. So steckten an der deutsch-polnischen Grenze Laster im Stau fest, die Nachschub für die Supermärkte in Deutschland geladen hatten. Dieser Ärger soll sich nicht wiederholen.
Instrument, um den Binnenmarkt offenzuhalten
Als Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager die Pläne im September des vergangenen Jahres vorstellte, betonte sie, dass die EU neue Instrumente brauche, „mit denen wir rasch gemeinsam reagieren können, sodass wir bei jeder neuen Krise sicherstellen können, dass unser Binnenmarkt offenbleibt und lebenswichtige Waren – auch zum Schutz der Menschen in Europa – verfügbar sind“.
Der gemeinsame europäische Binnenmarkt ist das wirtschaftliche Herzstück der Europäischen Union und das Hauptargument, wenn für ein enger zusammenwachsendes Europa geworben wird. Daher ist es durchaus im Interesse Brüssels, diesen Binnenmarkt besser zu schützen. Dank gemeinsamer Regeln ist es heute möglich, dass Unternehmen innerhalb der EU genauso einfach verkaufen können wie im Heimatland. Die sogenannte europäische Freizügigkeit macht es EU-Bürgern leicht, im Ausland zu leben und zu arbeiten. Das alles stand 2020, am Beginn der Pandemie, plötzlich auf dem Prüfstand, als die Grenzen geschlossen wurden. Zulieferketten zerrissen und Grenzpendler konnten nicht mehr zu ihrem Arbeitsplatz fahren.
Im Notfall wird Eingriff in die unternehmerische Freiheit legitimiert
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Kommission und die Mitgliedstaaten eine Beratungsgruppe gründen. Die soll sich über Risiken für Lieferketten und die Versorgung des Binnenmarktes austauschen. Gefahren können nach EU-Ansicht nicht nur von Pandemien ausgelöst werden, sondern als Beispiel auch durch Kriege und Naturkatastrophen. Erkennt das Gremium eine Bedrohung des Binnenmarktes, dann kann die Kommission den sogenannten Überwachungsmodus ausrufen. Wird die Lage ernst, dann würde sogar ein Notfallmodus ausgerufen werden können.
Im Modus der Überwachung sollen die 27 Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, um eine bessere Kontrolle über die Lieferketten strategisch wichtiger Güter wie zum Beispiel medizinische Schutzausrüstung zu gewährleisten. Überdies kann die Kommission die Mitgliedstaaten ersuchen, Notfallreserven dieser Güter anzulegen. Falls ein Land den Anforderungen nicht nachkommt, kann aus der Aufforderung eine verbindliche Anweisung werden.
Im Notfallstadium ist es den Regierungen untersagt, die Ausfuhr solcher wichtiger Produkte in EU-Länder zu verbieten. Zudem kann die Kommission den Mitgliedstaaten empfehlen, Unternehmen beim Ausbau der Produktion zu unterstützen, beispielsweise durch beschleunigte Genehmigungsverfahren. Sollte dies nicht ausreichen, kann die Behörde in Brüssel in Ausnahmefällen Unternehmen dazu zwingen, Bestellungen für strategische Güter priorisierter zu bearbeiten – auch auf Kosten von Aufträgen anderer Kunden. Die Unternehmen dürfen das dann nur ablehnen, wenn sie schwerwiegende Gründe vorbringen können.
„Interventionistische und planwirtschaftliche Maßnahmen“
Dass die EU-Kommission mit ihren Maßnahmen im Ernstfall sogar in die unternehmerische Freiheit eingreifen kann, stieß kurz nach Bekanntgabe der Pläne auf Kritik. So meldete sich damals der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mit einem Statement zu Wort und kritisiert die Pläne. Ausdrücklich begrüßt der Verband diejenigen Teile des Entwurfs „die sich auf die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes in Krisenzeiten beziehen“.
Die geplanten Eingriffsrechte gegenüber Unternehmen sieht der BDI allerdings kritisch. „Mit Sorge sieht die deutsche Industrie vor allem verpflichtende Informationsabfragen, Anweisungen zur Ausweitung oder Umwidmung von Produktionskapazitäten und verpflichtende Prioritätsaufträge.“, heißt es. Aus Sicht des BDI handelt es sich dabei um stark interventionistische und planwirtschaftliche Maßnahmen, bei denen die Kommission über das eigentliche Ziel hinausgeht.
Zudem blieben wichtige Fragen bezüglich der Grundlagen und Abläufe der Entscheidungsfindung der neuen Beratungsgruppe offen. Dies führe zu erheblicher Unsicherheit in der Wirtschaft, da nicht klar ersichtlich ist, wann eine Krisensituation vorliegt und aufgrund welcher Kriterien entschieden wird, welche Sektoren, Güter und Dienstleistungen von strategischer Bedeutung sind.
Ähnlich kritisch äußerte sich auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) zu den Brüsseler Plänen. „Ein Tabu für die deutsche Wirtschaft sind dagegen im Notfallmodus bislang vorgesehene neue Bürokratie- und Offenlegungspflichten, die zusätzliche Belastungen für Unternehmen bedeuten.“, heißt es in einer Stellungnahme. Das gelte erst recht für gravierende Eingriffe in die unternehmerische Freiheit, mit denen die EU die Unternehmen zur Produktion oder Priorisierung der Produktion bestimmter Güter zwingen oder Exporte außerhalb der EU unterbinden will. Unternehmen hätten gerade während der Pandemie bewiesen, dass sie in Notsituationen auf freiwilliger Basis schnell auf die Produktion von notwendigen Produkten wie Schutzausrüstung und Desinfektionsmittel umstellen, sofern die Materialien verfügbar sind.
Unternehmen können besser mit Knappheit umgehen als Behörden
Gerade erst haben sich auch mit Matthias Kullas, Fachbereichsleiter, und Lukas Harta, wissenschaftlicher Referent am „Centrum für Europäische Politik“, zwei Experten zu den Plänen der EU geäußert. In einem Beitrag für das Mediennetzwerk „Euractiv“ stellen beide das Binnenmarktnotfallinstrument auf den Prüfstand und kommen zum Ergebnis, dass die geplanten Regelungen – entgegen der ursprünglichen Absicht – Lieferengpässe und Preisrallyes auslösen könnten.
Lieferengpässe, so argumentieren Kullas und Harta, ließen sich auch in einer Marktwirtschaft nie vermeiden. Unternehmen hätten aber in der Vergangenheit schnell reagiert und ihre Lieferketten angepasst. „Die EU-Kommission ist nicht besser darin, Ereignisse vorherzusehen, die die Lieferkette stören könnten, als Millionen von Unternehmen.“, schreiben die Experten weiter. Dass Unternehmen besser geeignet seien als Behörden, mit Knappheiten umzugehen, hätten die Erfahrungen Europas nach dem Zweiten Weltkrieg sehr deutlich gezeigt.
Das geplante Gesetz könnte im geringsten Fall zu Bürokratie, Preiserhöhungen und Lieferengpässen führen. Durch den geplanten Eingriff in die unternehmerische Freiheit entstünden Marktverzerrungen. Bestimmte Unternehmen würden vorrangig behandelt, während andere ihre Aufträge zurückstellen müssten. Die benachteiligten Unternehmen würden dafür noch nicht einmal entschädigt. Das geplante Gesetz stelle klar, dass Unternehmen, die vorrangige Aufträge annehmen, nicht für Vertragsverletzungen haftbar gemacht werden können. Die entstehenden Kosten, so der Plan, sollen dann von der öffentlichen Hand – also vom Steuerzahler – bezahlt werden.
Damit die Pläne tatsächlich Gesetzeskraft erlangen, müssen sowohl das Europaparlament als auch der EU-Ministerrat zustimmen. Dort befindet sich der Entwurf im Moment in der Abstimmung.
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