Irans ausstehende Vergeltung und die Rolle der USA
Kaum zu glauben, aber wahr: Die zahlreichen verfeindeten Parteien der Region sind seit vier Wochen miteinander im Gespräch, direkt oder mittels „diplomatischer Kanäle“. Aus Sorge, der Iran werde seine Ankündigung eines Vergeltungsschlages gegen Israel wahrmachen, was wiederum Israel zu einer militärischen Antwort herausfordern würde.
Die Gewaltspirale zwischen beiden Nationen wäre damit in Gang gesetzt, zöge die USA und womöglich sogar die NATO mit in eine nicht mehr zu kontrollierende Kriegseskalation.
Wahl von Harris nicht gefährden
Dass das Mullah-Regime in Teheran bisher die Füße stillhielt, hat viel mit amerikanischer Diplomatie unter Hochdruck zu tun. Getrieben von den anstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA am 5. November, will der noch amtierende demokratische Präsident Joe Biden der neuen Kandidatin seiner Partei, Kamala Harris, nicht die Chance auf einen Wahlsieg verhageln, wenn er im Nahen Osten versagen würde.
Denn der Ausbruch eines Großkrieges in der Region würde ihm – und damit den Demokraten – angelastet werden: als Hilflosigkeit gegenüber dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Und als Machtlosigkeit gegenüber dem zornigen Iran.
Diese Blöße will sich der am Wiedereinzug ins Weiße Haus gescheiterte Biden zumindest für seine letzten Amtswochen nicht geben. Vor allem muslimische Wähler in den USA, die besonders von den Demokraten umworben werden, würden den Demokraten ein solches Versagen verübeln, zulasten von Kamala Harris.
Joe Biden optimistisch
Deshalb reist neben Geheimagenten, hohen Militärs und Hunderten Diplomaten auch der amerikanische Außenminister Antony Blinken durch den Nahen Osten. Am 19. August etwa kam er mit Netanjahu, dem israelischen Präsidenten Isaak Herzog und dem israelischen Verteidigungsminister Joaw Galant zusammen, um einen „Deal“ über einen Waffenstillstand und der Geiselübergabe mit der Hamas vorzubereiten.
Denn: Sowohl die vom Iran gelenkte libanesische Schiiten-Miliz Hisbollah als auch der Iran selbst haben angekündigt beziehungsweise signalisiert, dass sie bei einer Waffenruhe der israelischen Armee (IDF) in Gaza von einer Gewaltspirale gegen Israel absehen würden.
Vor dem Treffen mit dem israelischen Präsidenten Herzog erklärte Blinken vor Journalisten, dass die aktuellen Gespräche „die letzte Chance sein könnten, einen Waffenstillstand zu erreichen.“ Dies berichtete am 19. August die Nachrichtenagentur „Reuters“.
Die „Times of Israel“ veröffentlichte nach dem Gespräch zwischen Blinken und Netanjahu, der israelische Premier habe während des Treffens zugesagt, er werde seine Top-Unterhändler zum Waffenstillstandsgipfel noch in dieser Woche nach Kairo schicken.
Die „Washington Post“ zitierte am selben Tag einen nicht namentlich genannten US-Regierungsvertreter, der preisgab, Präsident Biden erwarte diesen israelischen Schritt. Es müsse bis zum 22. August – an diesem Tag endet der Parteikongress der Demokraten – zur Wiederaufnahme der Gespräche „mit den wichtigsten Verhandlungspartnern“ kommen.
Hamas sieht Hindernisse
Die Hamas lehnte allerdings in der jüngsten Gesprächsrunde in der katarischen Hauptstadt Doha am 16. August den unterbreiteten Vorschlag für einen Waffenstillstand und die Freigabe der Geiseln ab. Dies berichtete die „Washington Post“ unter Bezug auf die palästinensische Onlineplattform „t.me/hamaswestbank“.
Biden hingegen zeigte sich nach den Gesprächen euphorisch-optimistisch: „Wir sind näher dran, als wir es jemals waren“, gab er für die Presse bekannt. Die Unterhändler aus den USA, Katar und Ägypten teilten mit, sie hätten das Ziel, bei einem weiteren Treffen in Kairo ein endgültiges Abkommen zu schließen. Damit würden die Kämpfe in Gaza beendet, eine Voraussetzung für eine Waffenruhe auch mit der libanesischen Hisbollah.
Wer den Nahen Osten kennt, weiß jedoch: Die Tücken stecken im Detail. Ein scheinbar geringfügiger Punkt kann zum unüberwindlichen Hindernis für das gesamte Abkommen werden. Und so ist die von hochrangigen Hamas-Funktionären gegenüber Journalisten geäußerte Warnung, dass es noch „erhebliche Hindernisse“ gebe, nicht zu unterschätzen, wie etwa der französische Auslandsstaatssender „France24“ berichtete.
Kairo zu Konzessionen bereit
Eine nicht näher genannte Quelle, die „mit den Gesprächen vertraut“ sei, teilte der libanesischen Tageszeitung „Al-Akhbar“ mit, Ägypten habe sich bereit erklärt, nicht länger auf einen Zeitplan für einen israelischen Rückzug aus dem sogenannten Philadelphia-Korridor zu pochen.
So nennt die israelische Armee eine 14 Kilometer lange Nachschublinie der Hamas von der ägyptischen Grenze durch den Gazastreifen. Im Gegenzug verlangt Kairo eine Reduzierung der israelischen Truppen entlang der Grenze zu Ägypten.
Der ägyptische Präsident Abd al-Fattah as-Sisi soll laut diesen Angaben außerdem zugestimmt haben, dafür zu sorgen, dass keine einsatzfähigen Tunnel von Ägypten mehr in den Gazastreifen gebaut werden.
Iran: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben
Iranische Regierungsvertreter hätten gemäß einer Veröffentlichung des Washingtoner Institute for the Study of War (ISW) am 19. August angedeutet, Vergeltungsmaßnahmen gegen Israel bis nach Abschluss der Waffenstillstandsverhandlungen aufzuschieben.
Die Vereinigten Staaten und weitere internationale Vermittler üben indes weiterhin Druck auf den Iran aus, um Teheran weiterhin zu einer Verzögerung seines Angriffs zu bewegen, mit dem Ziel, dass der Iran seine Maximaldrohung gegen Israel fallen lässt.
Der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Nasser Kanaani, habe laut ISW erklärt, der Iran unterstütze die Verhandlungen und warte „ab, in welche Richtung die Verhandlungen gehen und ob Amerika bereit ist, diesen Krieg zu beenden oder nicht“.
Der iranische Politiker und ehemalige Brigadegeneral der Islamischen Revolutionsgarde, Esmail Kowsari, behauptete, der Iran werde auf jeden Fall auf den Tod des Hamas-Chefs Haniyeh „reagieren“, argumentierte jedoch gegenüber der einheimischen Presse, dass sich der Iran „niemals in die Durchführung von Operationen stürzen dürfe, die sehr groß sein könnten“. Mit anderen Worten: Kowsari deutet vorsichtig eine Deeskalation an.
Wie das ISW weiter ausführt, beharre zwar der iranische oberste Führer Ajatollah Ali Chamenei darauf, dass der Iran reagieren müsse, aber auch er zeige sich bereit, Vergeltungsmaßnahmen hinauszuzögern, ohne den Iran gegenüber Israel zu kompromittieren.
In der libanesischen Tageszeitung „Al-Akhbar“ gab kürzlich ein nicht namentlich genannter Vertreter einer irakischen Schiiten-Miliz bekannt, wie eine Reaktion ausfallen könnte: Irakische und syrische Milizen, die unter der Kontrolle des Irans stehen, könnten US-Streitkräfte angreifen. Ob eine solch schwache Ausweichaktion jene weltweit gewünschte Aufmerksamkeit auslösen würde wie ein Direktangriff auf Israel, darf bezweifelt werden.
US-Geheimdeal mit Teheran?
Unter Berufung auf die kuwaitische Tageszeitung „Al-Jarida“ behauptete die „Jerusalem Post“ am 14. August, die USA hätten Namen von zehn Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad, die sich im Iran aufhalten, an Teheran weitergegeben, um das Mullah-Regime von seiner Drohung eines Militärschlags gegen Israel abzubringen.
„Al-Jarida“ wiederum berief sich auf „eine ungenannte Quelle im Obersten Nationalen Sicherheitsrat Irans“. Laut dieser „Quelle“ soll eine US-Delegation heimlich in den Iran gereist sein und mit Mullah-Vertretern verhandelt haben. Jason M. Brodsky, ein Iran-Experte des Middle East Institute in Washington, D.C., hält die Meldung für „psychologische Kriegsführung des Iran, für Desinformation, die darauf abzielt, die Polarisierung in den USA sowie die Spaltung zwischen Israel und den USA zu verstärken“.
Auch die „Jerusalem Post“ wurde in US-Medien für die Verbreitung „dieses Unsinns“ angegriffen, wie etwa der arabischstämmige US-Journalist Yashar Ali schrieb. „Ich bete, dass das nicht wahr ist“, äußerte sich der republikanische Senator Ted Cruz aus Texas.
Unabhängig vom Wahrheitsgehalt offenbaren gerade diese Art scheinbar kleiner Zeitungsartikel oft mehr über einen Konflikt als tiefschürfende Analysen. Nämlich dass es sowohl in manchem arabischen (Kuwait) als auch in manchem israelischen Interesse („Jerusalem Post“) liegt, Zwietracht zu säen und eine Konfliktbeilegung des Gaza-Krieges zu torpedieren. Wie gesagt: Die Tücken stecken im Kleinen.
Über den Autor:
Tom Goeller ist Journalist, Amerikanist und Politologe. Als Korrespondent hat er in Washington, D.C., und in Berlin gearbeitet, unter anderem für die amerikanische Hauptstadtzeitung „The Washington Times“. Seit April 2024 schreibt er unter anderem für die Epoch Times.
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