Höcke-Zitate: Verfassungsschutz attestiert AfD in Thüringen „aggressiv-kämpferische Haltung“

Der Verfassungsschutz in Thüringen hat der AfD im Freistaat eine „kämpferisch-aggressive Haltung“ in der Verfolgung verfassungsfeindlicher Bestrebungen attestiert. Diese in einem Vermerk aufgetauchte Einschätzung hat eine erneute Debatte über ein mögliches Verbotsverfahren ausgelöst.
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31 von 35 Aussagen, welche die „kämpferische Aggressivität“ belegen sollen, stammen von Björn Höcke. Symbolbild.Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images
Von 20. Juli 2024

Ein interner Vermerk des Landesamts für Verfassungsschutz in Thüringen hat neue Spekulationen über ein mögliches Verbotsverfahren gegen die AfD genährt. So ist die „Welt am Sonntag“ in den Besitz eines Dokuments gekommen, in dem dieser dem Landesverband eine „kämpferisch-aggressive“ Haltung attestiert. Es handelt sich demnach um eine interne Analyse. Diese sei dem Innenministerium zugegangen.

Verfassungsschutz in Thüringen gilt als Vorreiter im Vorgehen gegen die AfD

Zwar hat der Vermerk, über den WELT berichtet, keine Rechtswirkung, und er steht auch nicht im Zusammenhang mit einer immanenten Verbotsdebatte. Allerdings macht die Zeitung darauf aufmerksam, dass dem Verfassungsschutz in Thüringen beim Vorgehen gegen die Partei bislang stets eine Vorreiterrolle zukam.

Thüringens Verfassungsschutz, der seit 2015 unter der Leitung von Stephan Kramer steht, war der erste, der 2018 die AfD in seinem Tätigkeitsbereich als „Prüffall“ einstufte. Im Jahr 2021 attestierte er dem Landesverband erstmals, „erwiesen rechtsextremistisch“ zu sein.

Als Indizien nannte der Dienst unter anderem eine die Menschenwürde infrage stellende Fremden- und Islamfeindlichkeit, ein völkischer Nationsbegriff, eine gezielte Delegitimierung demokratischer Institutionen sowie Geschichtsrevisionismus. Infolge dieser Einschätzung ist der Verfassungsschutz berechtigt, die Partei in Thüringen mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu beobachten. Die Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt zogen mit entsprechenden Beurteilungen nach.

Von 35 Aussagen zum Nachweis stammen 31 von Höcke

Die Attestierung einer „kämpferisch-aggressiven“ Haltung stellt tendenziell einen Schritt dar, der über die bloße Feststellung einer Verfassungsfeindlichkeit hinausgeht. Für das Bundesverfassungsgericht gilt eine „aggressiv-kämpferische Haltung“ gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung und das Ziel, deren wesentliche Elemente abzuschaffen, als Grund für ein Parteiverbot.

Dazu müsse die faktische Möglichkeit kommen, dieses Ziel durchzusetzen. Dass der Verfassungsschutz mit Blick auf die AfD nun die Begriffe „kämpferisch“ und „aggressiv“ ins Spiel bringt, nährt die Annahme eines weiteren Schritts hin zu einem Verbotsverfahren.

Als Anhaltspunkte dafür nennt die Analyse im Wesentlichen 35 Einzelaussagen führender AfD-Funktionäre, die eine solche Ausrichtung erkennen ließen. Von diesen seien allein 31 dem Landeschef Björn Höcke zuzuordnen. Die Aussage stammen zum Teil aus seinem 2018 veröffentlichten Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“, zum Teil aus Reden in öffentlichen Veranstaltungen.

Unter anderem soll Höcke darin einer „Re-Tribalisierung“ und „Widerstandszellen“ das Wort geredet haben, die eine „treue und deutsche“ Gemeinschaft bilden solle. Von dieser soll anschließend die „Rückeroberung der Städte“ ausgehen. Aber auch ein Facebook-Post von Co-Sprecher Stefan Möller werde genannt. In diesem soll er die politische Führung des Landes mit der DDR gleichgesetzt haben.

Angestrebtes Waffenverbot als Ausgangspunkt

Anlass für das Gutachten ist allerdings ein individuelles Verwaltungsverfahren. Das Landratsamt des Saale-Orla-Kreises hatte im Vorjahr ein Waffenverbot gegen ein AfD-Mitglied ausgesprochen. Dieses, so die Begründung, weise nicht mehr die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit auf.

Das Amt begründete die Anordnung damit, dass die AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft wird. Vor dem Verwaltungsgericht Gera erlitt die Behörde allerdings eine Niederlage. Dieses erkannte aus bisherigen Publikationen des Verfassungsschutzes nicht „mit der erforderlichen Sicherheit die Verfassungsfeindlichkeit des gesamten Landesverbandes der AfD Thüringen“. Die individuelle waffenrechtliche Zuverlässigkeit musste deshalb gar nicht erst geprüft werden.

Das Innenministerium, von dem das Verfahren vonseiten des Landratsamtes initiiert worden war, legte gegen die Entscheidung Beschwerde ein. Doch auch das Oberverwaltungsgericht ließ die Behörde auflaufen. Anhaltspunkte für eine verfassungswidrige Ausrichtung des AfD-Landesverbandes stünden zwar außer Zweifel, so die Entscheidung.

Die „erforderliche Feststellung einer waffenrechtlich relevanten, kämpferisch-aggressiven Haltung“ vonseiten des Verfassungsschutzes sei jedoch unterblieben. Nur eine solche rechtfertige jedoch die Regelannahme, dass eine waffenrechtliche Zuverlässigkeit nicht vorliege. Offenbar bemüht sich das Innenministerium jetzt um eine Nachbesserung seiner Argumentationsgrundlage für waffenrechtliche Verfahren.

Keine Bindung des Bundesverfassungsgerichts an waffenrechtliche Einzelentscheidung

Ob ein interner „geheimer Vermerk“, der dem Landesverband der AfD in Thüringen eine „kämpferisch-aggressive“ Haltung bescheinigt, tatsächlich der Ausgangspunkt für ein Parteiverbot sein kann, bleibt abzuwarten. Anlassfall ist ein waffenrechtliches Verfahren gegen eine konkrete Person, in dem es darum geht, dieser individuell eine Unzuverlässigkeit nach Paragraf 5 Waffengesetz nachzuweisen.

Auch wenn dies rechtskräftig gelingen würde, beträfe die Entscheidung nur den Einzelfall in einem Verwaltungsverfahren. Es wäre davon auszugehen, dass die betroffene Person diese gerichtlich anfechten würde. Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung könnten in diesem Fall Jahre vergehen. Bis dahin ist es denkbar, dass die im Vermerk zum Ausdruck gekommene Einschätzung nicht mehr in dieser Form aktuell ist.

Selbst wenn ein rechtskräftiges Urteil unter Rückgriff auf die Einschätzung die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des betreffenden Funktionärs bejahen würde, beträfe dieses lediglich den Einzelfall. Eine zumindest faktische Präzedenzwirkung könnte möglicherweise davon auf gleichgeartete waffenrechtliche Verfahren ausgehen.

Konflikte in Thüringens AfD könnten Einschätzung weiter relativieren

Eine Bindewirkung für ein mögliches Verbotsverfahren gegen die Partei selbst besteht jedoch in keinem Fall. Für ein solches müssten allfällige Antragsteller eine eigene Beweisführung vorlegen, die sich zudem auf die Partei insgesamt erstrecken müsste – es sei denn, das Verbot würde nur in einem einzelnen Bundesland angestrebt.

Für ein bundesweites Verbot würde es wahrscheinlich auch nicht ausreichen, wenn lediglich ein einzelner Landesverband die Voraussetzungen für ein solches erfüllen würde. Dies wäre möglicherweise der Fall, wenn der betreffende Landesverband de facto die Richtung der Gesamtpartei bestimmen würde.

Der jüngste Bundesparteitag der AfD in Essen hat jedoch das Höcke-Lager nicht gestärkt. Außerdem mehren sich auch im Landesverband Thüringen selbst kritische Bestrebungen gegen den Landeschef – zuletzt beispielsweise in Saalfeld-Rudolstadt. Dort hatte der von Höcke geführte Landesvorstand zur Kommunalwahl eine Konkurrenzliste zum offiziellen Wahlvorschlag des Kreisverbands gegründet. In Greiz gab es zudem unter einigen Funktionären Unmut, weil der Landeschef dort als Direktkandidat zur Landtagswahl antritt – obwohl sein Wohnsitz im Eichsfeld liegt.

Inwieweit den Konflikten innerhalb des Landesverbandes nicht nur machttaktische, sondern auch ideologische Differenzen zugrunde liegen, lässt sich pauschal nicht beurteilen. Dass sie existieren, würde potenziell jedoch auch die Beweisführung bezüglich einer „aggressiv-kämpferischen“ Haltung des gesamten Landesverbandes erschweren.

Verfassungsschutz weist Verbotsambitionen selbst zurück

Zudem wiegelt der Verfassungsschutz auf direkte Anfrage der „Welt am Sonntag“ selbst ab. Bezüglich der in Rede stehenden Einschätzung sei die Prüfung „noch nicht abgeschlossen“. Das Innenministerium und der Inlandsgeheimdienst befänden sich noch innerhalb eines juristischen Bewertungsprozesses.

Darüber hinaus soll es auch im Vermerk selbst heißen, dass die Feststellung einer „kämpferisch-aggressiven“ noch keine „Bekämpfung der verfassungsmäßigen Ordnung“ impliziere. Diese wäre jedoch Voraussetzung für ein Parteiverbot. Für ein solches gelten die Hürden, die das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat, als sehr hoch. Selbst im Fall der NPD, heute „Die Heimat“, reichte dem Höchstgericht der Nachweis verfassungswidriger Ziele und deren aggressiv-kämpferischer Verfolgung nicht für ein Verbot aus. Dieses scheiterte am Ende an der Bedeutungslosigkeit der Partei.



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