Fachkräftemangel: Bundesamt veröffentlicht Bildungsniveau von Asylsuchenden

Anfang Juli veröffentlichte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Ergebnisse einer freiwilligen Befragung 2023 von Asylantragstellern zu ihrer schulischen und beruflichen Bildung und Qualifikation.
Titelbild
Afghanische Schüler mit Taliban-Flaggen begrüßen die örtlichen Behörden (M.) bei ihrer Ankunft zu einer Zeremonie anlässlich des Beginns des neuen Schuljahres an der Amani High School in Kabul am 20. März 2024. Mädchen dürfen seit 2021 keine höheren Schulen wie hier die Sekundarstufe besuchen.Foto: Wakil Kohsar/AFP via Getty Images
Von 11. Juli 2024

Der Titel des 25 Seiten starken Berichts lautet: „Potenziale von Asylantragstellenden: Analyse der ‚SoKo‘-Sozialstrukturdaten“. Für den Befragungszeitraum 2023 wird als Besonderheit erwähnt, es fehle das letzte Quartal. Es wurde „aufgrund der hohen Zahl von Asylerstanträgen in Deutschland im Herbst 2023“ beschlossen, sich auf die „relevantesten Daten zu beschränken“, so das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).

Das Bundesamt führt solche freiwilligen Zusatzbefragungen zur Asylerstantragstellung regelmäßig seit 2015 durch. Befragt werden volljährige Asylbewerber. Die Idee dahinter: Das BAMF will sich auf diesem Wege „einen ersten Überblick über die Qualifikationsstruktur und die vorherige Berufstätigkeit der Schutzsuchenden“ verschaffen. Aber wie aussagekräftig beziehungsweise wahrheitsgemäß sind diese freiwilligen Angaben? Das BAMF kommentiert zur Glaubwürdigkeit der Antworten:

„Es ist nicht auszuschließen, dass das Antwortverhalten durch strategische, kulturell bedingte oder geschlechtsspezifische Faktoren beeinflusst wird oder Fragen nicht richtig verstanden werden. Es ist daher möglich, dass einzelne Erstantragstellende – bewusst oder unbewusst – ungenaue oder falsche Antworten geben.“

Zudem gelte für die Befragung, dass eine Zuordnung der Antworten aufgrund der eingeschränkten Vergleichbarkeit der herkunftslandspezifischen schulischen und beruflichen Systeme schwierig sei und somit nur eine Orientierung gegeben werden könne.

Vorweggreifend gibt es in diesem Kontext bestimmte Auffälligkeiten: 50,6 Prozent der befragten Afghanen gaben in 2023 gegenüber dem BAMF an, ein Gymnasium abgeschlossen, also Abitur zu haben. Gleichzeitig ermittelte das Rote Kreuz, dass die Alphabetisierungsrate in Afghanistan (Stand 2020) bei 43 Prozent liegen soll. Das kann ein Hinweis auf die Qualität der Befragung sein. Es kann allerdings auch auf ein überdurchschnittliches Bildungsniveau jener hinweisen, die nach Deutschland kommen.

Gymnasium versus Koranschule

Und was speziell Afghanistan angeht, muss zudem bedacht werden, dass laut Rotem Kreuz weiterführende Schulen vielfach eine religiöse Ausrichtung und entsprechend andere Lerninhalte haben als vergleichbare westliche weiterführende Schulen.

Das BAMF teilt außerdem mit, warum diese freiwilligen Daten überhaupt erhoben werden. So sei die Frage nach der im Herkunftsland erworbenen Bildung für viele Bereiche der Integration in Deutschland relevant. Eine gute Qualifikation, so das BAMF, könne dazu führen, dass der Einstieg in den Arbeitsmarkt schneller gelingt.

Zudem sei es für die Frage des Bildungsangebots (hier insbesondere Integrationskurse) wichtig, ob unter den Erstantragstellenden Personen seien, die (noch) keine oder eine geringe Schulbildung aufweisen und/oder gegebenenfalls Analphabetinnen oder Analphabeten sind.

Für die Arbeitsmarktintegration ist es für das BAMF außerdem bedeutsam, welche beruflichen Erfahrungen die Geflüchteten mitbringen, „da sie im Fall einer Schutzgewährung ggf. länger in Deutschland bleiben und erwerbstätig werden.“ Das BAMF geht demnach optimistisch davon aus, dass jeder, der länger in Deutschland ist, auch tatsächlich erwerbstätig wird.

Die freiwillige Befragung erbringt zusätzliche Daten beispielsweise zu Geschlecht und Altersstruktur der Asylbewerber. In den ersten zehn Monaten des Jahres 2023 wurden insgesamt 267.384 Personen beim BAMF erfasst, die einen Erstantrag auf Asyl gestellt haben. Das ist fast eine Verdopplung gegenüber dem Vorjahr. Der größte Anteil der volljährigen Asylerstantragsteller kam aus Syrien (31,8 Prozent), gefolgt von Afghanistan (16,7 Prozent) und der Türkei (16,6 Prozent).

Seit 2019 steigt der Anteil der männlichen Asylbewerber laut BAMF wieder signifikant an, auf mittlerweile 77,4 Prozent. Besonders niedrig sei der Frauenanteil bei Syrern und Afghanen. Knapp 60 Prozent der Antragsteller waren unter 30 Jahre alt.

Weitere Daten zur Statistik: Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Verheirateten entlang ihrer freiwilligen Angaben um 4,2 Prozent auf 44 Prozent in den ersten zehn Monaten 2023 gesunken. Das ist deshalb von Belang, weil es Hinweis auf den Umfang eines zu erwartenden Familiennachzugs geben kann.

Äpfel mit Birnen …

Ab Seite 11 des 25-seitigen BAMF-Berichts werden die freiwilligen Angaben zu Schule und Beruf ausgewertet. Dazu heißt es einleitend vom BAMF:

„Allerdings gilt für die Befragung, dass eine Zuordnung […] zu deutschen Kategorien aufgrund der eingeschränkten Vergleichbarkeit der herkunftslandspezifischen schulischen und beruflichen Systeme schwierig ist“.

Unter „Hoher Schulabschluss“ fragte das BAMF nach einer vergleichbaren Schulausbildung wie „Abitur/Hochschulreife/Fachhochschulreife“. Knapp dreißig Prozent der Syrer gaben an, so einen hohen Schulabschluss zu besitzen, das Gleiche behaupten mehr als 50 Prozent der Afghanen und etwas über 47 Prozent der Türken.

Laut BAMF zeigt Afghanistan zwar den zweithöchsten Anteil an Personen ohne Abschluss (25,4 Prozent), dies ginge aber „mit einem ebenfalls überdurchschnittlich hohen Anteil an hohen Schulabschlüssen (50,6 %) einher.“

Durchschnittlich gaben Frauen mit 45,3 Prozent an, einen hohen Schulabschluss zu besitzen, während es bei Männern 41,1 Prozent waren.

Auffällig ist die Feststellung einer hohen Zahl ausgebildeter Asylbewerber. So heißt es auf Seite 14, denkbar sei, dass Personen auch ohne Ausbildung in Berufen tätig waren und dies entsprechend nicht als „erlernten Beruf“ ansehen. Dies sei insbesondere im Bereich der Hilfstätigkeiten, der gelegentlichen Arbeit oder Mithilfe im Familienbetrieb denkbar, so das BAMF.

MySkills – berufliche Kompetenzen erkennen

Das erinnert an bestimmte Bemühungen der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit der Arbeitsagentur unter der Projektbezeichnung „MySkills – berufliche Kompetenzen erkennen“. Damals wollte man „das Unsichtbare sichtbar machen“, so die Stiftung.  Eine Pressereferentin der Arbeitsagentur schrieb im August 2022 nach 10.700 Tests und der Beendigung des 22 Millionen schweren Projektes allerdings:

„Im Gegensatz zu der letzten Flüchtlingswelle ist das nachgewiesene formale Bildungsniveau der aus der Ukraine einreisenden Personen im Vergleich dazu höher. Deshalb ist MySkills als Testverfahren […] weniger geeignet.“

Die Referentin stellt abschließend fest: Für die gezielte Arbeitsmarkt-Zuwanderung stellt MySkills nicht das passende Instrument dar.“ 

Mit anderen Worten: Es fand bereits bis November 2022 eine umfangreiche Testreihe statt. Die freiwilligen Angaben der Asylbewerber hinsichtlich ihrer beruflichen Kompetenzen haben laut Arbeitsagentur ein ernüchterndes Ergebnis.

Das BAMF lässt diese Erkenntnisse nicht in seine „Analyse der ‚SoKo‘-Sozialstrukturdaten“ einfließen. Dort heißt es weiter, insgesamt habe zwar nur rund jeder zehnte Erstantragstellende angegeben, eine berufliche Ausbildung abgeschlossen zu haben, das könne aber auch daran liegen, „dass in Deutschland mit der dualen Berufsausbildung ein System existiert, welches in vielen anderen Ländern unbekannt ist. So ist denkbar, dass die Befragten sich mit ihrer Einordnung am deutschen System orientiert haben.“

Das deutsche Duale System – weltweit einmalig?

Aber was wissen Asylantragsteller über das deutsche Duale System? Das BAMF fragt auch nach einer weiterführenden Ausbildung nach Schulabschluss. Hier gaben knapp 60 Prozent an, keine solche Weiterbildung gemacht zu haben.

Von denjenigen befragten Asylbewerbern, die erklärten, im Herkunftsland erwerbstätig gewesen zu sein, gaben knapp 20 Prozent an, im Bereich „Verarbeitendes Gewerbe (Industrie und Handwerk)“ und ebenso viele im Bereich „Sonstige Service- und Dienstleistungen“ beschäftigt gewesen zu sein. Im Baugewerbe waren es 9,1 Prozent und im Handel 8,5 Prozent.

Insgesamt gaben knapp die Hälfte der Befragten an, eine geringe Stellung im Beruf ausgeübt zu haben. Knapp 70 Prozent der befragten Asylbewerber gaben an, keine Ausbildung im Beruf zu haben oder keinen Abschluss.

Das BAMF stellt hier fest, dass auf Basis der vorliegenden Daten keine Aussagen darüber möglich seien, „ob eine bestimmte Ausbildung die Voraussetzung zur Ausübung des Berufes in der entsprechenden Branche war“.

Zusammenfassung: Die Anzahl der Asylantragsteller ist 2023 gegenüber dem Vorjahr 2022 deutlich angestiegen. Der Frauenanteil ist weiter gesunken. Syrien bleibt mit einem Anteil von 31,8 Prozent quantitativ bedeutendstes Herkunftsland. Der Anteil syrischer Frauen ist weiter gesunken auf 14,5 Prozent beziehungsweise auf 13,8 Prozent bei den Afghanen.

Das BAMF gibt in seinem Bericht „Potenziale von Asylantragstellenden“ dennoch positive Ausblicke. Bestimmte Widersprüche werden zugunsten der Befragten interpretiert. Wenn etwa Studenten gleichzeitig angeben, keine weiterführende Ausbildung abgeschlossen zu haben, mutmaßt das BAMF, dies deute darauf hin, „dass sie sich noch in (weiterführenden) Studiengängen befanden“, bevor sie nach Deutschland kamen.



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