Endlich: 42 Tage Waffenstillstand in Gaza und Geiselaustausch – steckt Trump dahinter?
Noch wird gekämpft. Nach Angaben des katarischen TV-Senders „Al Jazeera“ (AJ) habe die israelische Armee ihre Angriffe mit Bombardements auf die Stadt Gaza sogar noch einmal verstärkt. Dazu zitiert AJ lokale palästinensische Stimmen.
Dank an Biden und Trump
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dankte in der Nacht dem scheidenden amerikanischen Präsidenten Joe Biden sowie dessen Nachfolger Donald Trump für ihre Hilfe bei dem Abkommen zur „Freilassung der Geiseln“. Dies berichtete die Internetzeitung „The Times of Israel“. Darüber, wer von den beiden tatsächlich das Abkommen bewirkt habe, ist in den USA ein Streit entbrannt.
Trump reklamierte unmittelbar nach Bekanntwerden des Abkommens die Einigung zwischen Hamas und Israel als sein Verdienst. „Dieses epische Waffenstillstandsabkommen konnte nur als Ergebnis unseres historischen Sieges im November zustande kommen“, sagte er am Mittwoch vor der Presse. Joe Biden, der in vier Tagen aus dem Amt scheidet, hält Trumps Äußerung für einen Witz. Wie die amerikanische Nachrichtenagentur AP berichtet, unterstrich Biden, dass die jetzige Einigung „genau die Vereinbarung ist, die ich schon im Mai vorgeschlagen hatte.“ Außerdem seien viele weitere Akteure an der Einigung beteiligt gewesen.
Trumps „Höllen“-Drohung
Richtig ist aber auch, dass Joe Bidens Diplomaten bis gestern keine Erfolge verzeichnen konnten. Erst mit der Drohung des designierten US-Präsidenten Donald Trump an die Hamas scheint Bewegung unter Israelis und der Hamas gleichermaßen entstanden zu sein. Am 7. Januar hatte Trump im Rahmen einer Pressekonferenz in Mar-a-Lago, Florida, eine bereits zuvor gemachte Ankündigung wiederholt: Dass „die Hölle ausbrechen wird“, wenn die Hamas bis zu seiner Rückkehr ins Weiße Haus am 20. Januar keinem Waffenstillstand zustimme und die Geiseln in Gaza weiter festhalten werde.
Wie die „Times of Israel“ gestern veröffentlichte, sei Steve Witkoff, dem Nahost-Beauftragten Trumps, eine wesentliche Rolle bei den jüngsten Verhandlungen zugekommen. Dies hätten zwei arabische Unterhändler, die nicht genannt werden wollen, der Zeitung mitgeteilt. Ihnen zufolge habe es vergangenes Wochenende ein „angespanntes“ Treffen Witkoffs mit Netanjahu gegeben; die „Times of Israel“ veröffentlichte dazu ein Foto der beiden. Nur Witkoffs Auftreten sei der Durchbruch bei den Geiselverhandlungen zu verdanken. Dieser habe „in einem einzigen Treffen mehr getan, um den Ministerpräsidenten zu beeinflussen, als der scheidende Präsident Joe Biden im ganzen Jahr“, sagten laut „Times of Israel“ die arabischen Insider.
Witkoff habe insbesondere Netanjahu dazu gedrängt, „wichtige Kompromisse zu akzeptieren, die für eine Einigung notwendig“ seien. Da Donald Trump aufgrund seiner ersten Amtszeit als unberechenbar gesehen und ihm zugetraut wird, andere Wege in der Politik einzuschlagen als in der Diplomatie üblich, könnte Trumps „Höllen“-Drohung tatsächlich auf beiden Seiten einen Sinneswandel bewirkt haben.
Die Verhandlung
Nach mehr als achtstündigen Verhandlungen in Katars Hauptstadt Doha hatten in der Nacht vom 14. auf den 15. Januar palästinensische und israelische Unterhändler den Waffenstillstand für Gaza erarbeitet. Daran waren zahlreiche Vermittler beteiligt, darunter das Gastgeberland Katar und die Türkei, die beide enge Verbündete der Hamas sind, sowie Ägypten als Nachbar zum Gazastreifen. Für die USA verhandelten der noch amtierende Außenminister Antony Blinken sowie Steve Witkoff, wie jetzt bekannt wurde.
Das Abkommen soll den Krieg zwischen Israel und den palästinensischen Terrororganisationen Hamas und der Splittergruppe „Islamischer Dschihad“ beenden. Für Israel besonders wichtig: die Freilassung Dutzender israelischer Geiseln, die am 7. Oktober 2023 entführt worden waren. Am Ende sei es nur noch um Einzelheiten gegangen, die beiden Seiten jedoch extrem wichtig sind, wusste der britische Privatsender „Sky News“ zu berichten.
Geiseltausch gegen Palästinenser
Das Abkommen „wird den Palästinensern im völlig zerstörten Gazastreifen erst einmal Erleichterung verschaffen“, sagte Mustafa Barghouthi, Parteichef der „Palestinian National Initiative“ gegenüber AJ. Während des fast anderthalbjährigen Krieges wurden 90 Prozent der 2,3 Millionen Einwohner vertrieben. Viele Menschen stünden laut internationalen Angaben seit Längerem vor einer Hungersnot.
Für Israel bedeutet das Abkommen mit der Hamas die Hoffnung auf die Freilassung aller Geiseln. Ihre genaue Zahl ist inzwischen unklar, da eine Reihe von ihnen ermordet oder von der Hamas an die radikale Splittergruppe „Islamischer Dschihad“ verkauft wurde. Der „Islamische Dschihad“ ist ein Rivale der Hamas im Gazastreifen und agiert unabhängig. Deshalb nahmen auch Vertreter dieser palästinensischen Terrororganisation an den Verhandlungen in Doha teil. Dies erschwerte die Aushandlung des Waffenstillstands beträchtlich, wie aus Verhandlungskreisen zu erfahren war, da der „Islamische Dschihad“ mehr noch als die Hamas lange Zeit auf Maximalforderungen beharrte.
In Israel geht man von etwa 100 israelischen Geiseln aus, die sich im Gazastreifen befinden sollen. Allerdings vermutet das israelische Militär, dass mindestens ein Drittel von ihnen tot sein könnte. Die israelischen Geiseln sollen im schrittweisen Austausch gegen 1.000 in Israel inhaftierte Palästinenser freikommen.
Die erste Gruppe soll 33 Geiseln umfassen. Bei ihnen soll es sich um Frauen, Kinder, Kranke, Personen über 50 Jahre und um zwei Geiseln mit amerikanischer Staatsbürgerschaft handeln. Hält der Waffenstillstand, sollen nach drei Wochen weitere Geiseln übergeben werden. Außerdem sollen sich die israelischen Streitkräfte aus den Städten und Dörfern im Gazastreifen zurückziehen, sodass die Palästinenser in ihre verbliebenen Häuser zurückkehren könnten. Zudem soll sich der Zugang für humanitäre Hilfe aus dem Ausland deutlich verbessern.
Das Abkommen kann indes nicht sofort in Kraft treten. Es muss vom Sicherheitskabinett des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu und danach von seinem gesamten Kabinett genehmigt werden.
Feiern in Israel, Randale in Berlin
Tausende Israelis versammelten sich in den letzten beiden Tagen in Tel Aviv, um für das Abkommen zu demonstrieren, während in Jerusalem Hunderte Gegner von Verhandlungen mit der Hamas auf die Straße gingen. Es gibt in Israel Stimmen, die lieber auf die Geiseln verzichtet hätten, als gegenüber der Hamas klein beizugeben. Nun haben sich die Gemäßigten in Israel durchgesetzt und liegen sich vor Freude weinend in den Armen, wie zahlreiche Fernsehbilder aus Israel zeigen.
In Berlin und Hamburg gingen in der Nacht Hunderte Palästinenser auf die Straßen, um den Waffenstillstand als Sieg der Hamas zu feiern. Im Berliner Stadtteil Neukölln, der zum Großteil von arabischen Migranten bewohnt ist, kam es erwartungsgemäß erneut zu Ausschreitungen und Straftaten, wie die Berliner Polizei auf X mitteilte. Die Kundgebungen seien daraufhin aufgelöst und mehrere Personen festgenommen worden.
Arabische Erleichterung und Kritik
In der arabischen Presse kommt überwiegend Erleichterung zum Ausdruck. Dort stehen jedoch nicht die israelischen Geiseln im Mittelpunkt – diese werden oft gar nicht erwähnt –, sondern die Lage im Gazastreifen. Rami Khouri etwa, von der American University in Beirut, ist eine typische kritische Stimme für die vorherrschende Meinung in der arabischen Welt. Er kritisiert, es sei „fast schon komisch zu sehen, wie Biden und Trump sich gegenseitig überboten, um die Verantwortung für den Waffenstillstandsvertrag im Gazastreifen zu übernehmen, während ihr tatsächliches Verhalten zu hundert Prozent eine Unterstützung des israelischen Völkermords“ gewesen sei, erklärte er gegenüber AJ.
Bezogen auf die Stellungnahmen von Biden und Trump analysiert Khouri: „Sie sprechen nicht wirklich über die Palästinenser als echte Menschen“. Die US-Medien hätten sich „fast ausschließlich auf die Freilassung israelischer Gefangener aus Gaza“ konzentriert. „Sowohl im Verhalten des Präsidenten als auch in den Handlungen des Kongresses und der Massenmedien in den Vereinigten Staaten sehen wir also eine erneute Bestätigung, dass es hier nicht wirklich um Gerechtigkeit und Gleichheit für Israelis und Palästinenser geht“, beklagte der arabische Politikwissenschaftler.
„Es geht um die Behauptung amerikanischer Macht und die Tatsache, dass die Vereinigten Staaten das Gefühl haben, sie könnten diktieren, was in der Region passieren wird“, meint Khouri weiter und verweist darauf, dass das israelische Militär trotz der Ankündigung des Waffenstillstands am Mittwoch bereits „weitere Dutzende Menschen getötet habe“ und „bis Sonntag weiter Menschen töten“ werde. „Vor jedem Waffenstillstand haben sie dasselbe getan – siehe Libanon“, gibt Khouri zu bedenken.
Bleibt die Hamas in Gaza, ist der Krieg nur aufgeschoben
Eine Schwäche des Abkommens ist, dass nicht darüber gesprochen wird, wie die Zukunft in Gaza über den Waffenstillstand hinaus aussehen soll. Vielleicht hätte ein Zukunftsplan die Verhandlungen scheitern lassen. Aber: Wenn die Zeit des auf 42 Tage beschränkten Waffenstillstands nicht für einen Zukunftsplan genutzt wird, wenn die Israelis keine Exit-Strategie entwickeln, könnte ein Rückfall drohen. Alles hängt davon ab, dass die Hamas und der „Islamische Dschihad“ alle Geiseln freilassen und das Schicksal der Vermissten aufklären helfen. Andernfalls werden die konservativen Kräfte in Israel eine Wiederaufnahme der Kämpfe in Gaza fordern.
Genauso wichtig aber ist es, zu klären, wer künftig in Gaza das politische Sagen und Handeln hat. Die Hamas jedenfalls hat es derzeit aus ihren Tausenden Tunneln heraus geschafft, weiterhin an der Macht zu bleiben – trotz der Beseitigung ihrer gesamten Top-Führung. Wäre sie bereit, ihre Macht mit gemäßigten Palästinensern zu teilen oder gar abzugeben? Wohl kaum. Insofern bleibt festzuhalten. Der Krieg zwischen Hamas und Israel ist mit diesem Abkommen nicht beendet, sondern nur aufgeschoben. Denn Israel wird nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 niemals mehr eine Hamas-Regierung im Gazastreifen dulden. Denn diese wäre existenzbedrohend.
Zum Autor:
Tom Goeller ist Journalist, Amerikanist und Politologe. Als Korrespondent hat er in Washington, D.C. und in Berlin gearbeitet, unter anderem für die amerikanische Hauptstadtzeitung „The Washington Times“. Seit April 2024 schreibt er unter anderem für die Epoch Times.
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