Digitales Zentralbankgeld: Ein Einfallstor für Verstaatlichung – Schutzlos ohne Bargeld

Der Meisterring, den die Notenbanken, darunter auch die Europäische Zentralbank (EZB), derzeit schmieden, heißt digitales Zentralbankgeld. Thorsten Polleit, Chefvolkswirt der Degussa Edelmetallhandel, beschreibt, wie die Menschen mit digitalem Zentralbankgeld wirksam kontrolliert und gesteuert werden können.
Von 18. Oktober 2020

Im Roman „Herr der Ringe“, den John R. R. Tolkiens in drei Bänden von 1954 bis 1955 veröffentlichte, erschuf der tiefböse Sauron heimlich seinen eigenen Meisterring. Dieser Ring beherrschte die Ringe, die die Elbenschmiede angefertigt hatten, und mit ihm trachtete Sauron die Welt zu versklaven: „Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden. Ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden.“

Der Erzählstoff dieses Klassikers der Fantasy-Literatur drängt sich geradezu auf, blickt man auf das Treiben der Zentralbanken.

Der Meisterring, den die Notenbanken, darunter auch die Europäische Zentralbank (EZB), derzeit schmieden, heißt digitales Zentralbankgeld. In Fachkreisen wird die Geldkreatur Central Bank Digital Currency (kurz CBDC) genannt. Was Hauptstrom-Ökonomen als innovativ und fortschrittlich bejubeln, entpuppt sich bei genauer Betrachtung als höchst gefahrvoll für Freiheit und Wohlstand. Deutlich wird dies, wenn man sich vor Augen führt, wie unser Geldsystem funktioniert.

Zentralbankgeld aus der Druckmaschine

Die staatliche Zentralbank besitzt das Monopol für das Zentralbankgeld: Nur sie kann Banknoten, Münzen und Zentralbankgiroguthaben ausgeben. Daher kann die Zentralbank auch nicht Pleite gehen. Sie kann das Geld, mit dem sie ihre Rechnungen bezahlt, jederzeit selbst drucken.

Geschäftsbanken erzeugen Geschäftsbankengeld. Das können sie aber nur, wenn sie über Zentralbankgeld verfügen. Hat eine Geschäftsbank nicht genügend Zentralbankgeld, kann sie zahlungsunfähig werden, und im schlimmsten Fall verliert der Kunde sein Geld.

Mit der Einführung eines digitalen Euros soll jeder Bankkunde die Möglichkeit haben, sein Guthaben, das er bei einer Geschäftsbank hält, in digitales Zentralbankgeld einzutauschen – und es auf einem Konto zu halten, das von den Geschäftsbanken oder direkt von der Zentralbank angeboten wird. Niemand muss dann mehr befürchten, dass sein Bankguthaben verloren gehen könnte. Wenn Banken wanken, kann man sein Guthaben per Mausklick in digitales Zentralbankgeld umbuchen – und das kann nicht ausfallen.

Gefahr für Geschäftsbanken in Krisenzeiten

Für die Banken wäre ein elektronischer Zentralbankgeld-Euro ein ernstes Problem: In Krisen wollen die Menschen ihre Konten, die sie bei Geschäftsbanken halten, in den digitalen Zentralbankgeld-Euro umtauschen. Die Geschäftsbanken würden dadurch illiquide.

Denn derzeit ist es so, dass die Banken, die alle mit einer Teilreserve operieren, bei Auszahlungen Einlagen verlieren, mit denen sie ihr Kreditgeschäft refinanzieren; das wäre auch der Fall, wenn Kunden ihre Guthaben auf Konten überweisen, die sie bei der Zentralbank unterhalten.

Das digitale Euro-Zentralbankgeld lässt sich allerdings zu einem stabilen Refinanzierungsmittel der Banken machen: Indem die Zentralbank den Geschäftsbanken gestattet, die Konten für digitales Zentralbankgeld in ihren eigenen Bilanzen auszuweisen. Dann verlieren die Banken kein Geld mehr, wenn Kunden ihre Einlagen in digitales Zentralbankgeld tauschen. Das würde zwar eine kreative Buchhaltung erfordern – die die Zentralbanken und die staatlichen Regulierer vermutlich bei Bedarf erlauben würden.

Weil digitales Zentralbankgeld sicher ist und Zahlungen via Smartphone oder PC bequem sind, dürfte die Zentralbank den Geschäftsbanken rasch Marktanteile im Zahlungs- und Einlagengeschäft abjagen. Auch im Kreditgeschäft könnte sie den Banken Konkurrenz machen, indem sie Konsumenten und Unternehmen Darlehen in digitalem Zentralbankgeld anbietet. Das würde digitales Euro-Zentralbankgeld für die Bankkunden attraktiv machen.

Ein Einfallstor für Verstaatlichung

Zieht die Zentralbank immer mehr Transaktionen an sich, erodiert das Geschäftsmodell der privaten Banken. Die Bereitschaft von Investoren sinkt, den Banken Eigenkapital zur Verfügung zu stellen. Für den Staat öffnet sich dadurch ein Einfallstor: Er kann als Retter kapitalschwacher Banken in Erscheinung treten und sie direkt oder indirekt verstaatlichen; vor allem in Krisenzeiten dürfte der Druck zur Verstaatlichung groß sein.

Digitales Zentralbankgeld konkurriert mit Bargeld. Es ist ebenso ausfallsicher wie Münzen und Scheine. Zudem ist seine Handhabung bedienerfreundlich und kostengünstig. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es bei den Bürgern breite Akzeptanz findet und das Bargeld verdrängt – im Zahlungsverkehr ebenso wie bei der Haltung von Vorsichtskasse. Das spielt jenen Interessengruppen in die Hände, die das Bargeld aus dem Verkehr ziehen wollen.

Schutzlos ohne Bargeld

Ohne Bargeld aber ist das Geld der Menschen in den Bankbilanzen gefangen und der finanziellen Repression schutzlos ausgeliefert – beispielsweise durch Negativzinsen. Zudem erleichtert digitales Zentralbankgeld den Notenbanken die Ausgabe von Helikoptergeld. Die Zentralbank kann die Konten der Menschen besonders einfach durch Knopfdruck mit neuem digitalem Zentralbankgeld befüllen – und die Vermögensverhältnisse in der Gesellschaft auf den Kopf stellen.

Verwenden die Menschen digitales Zentralbankgeld zu Zahlungszwecken, kann die staatliche Geldbehörde nachvollziehen, wer was wann und wo kauft und verkauft. Das Ende der finanziellen Privatsphäre wäre eingeläutet. Beteuerungen, man werde für die Anonymität von digitalen Zentralbankgeldzahlungen Sorge tragen, können nicht überzeugen. Chinas Zentralbank spricht es aus: Mit digitalem Zentralbankgeld sollen die Menschen wirksam kontrolliert und gesteuert werden.

Digitales Zentralbankgeld ist ein vergifteter Apfel

Das Verhalten der Bürger kann in staatlich vorgedachte Bahnen gelenkt werden, etwa indem der Zugang zu digitalem Zentralbankgeld an politisches Wohlverhalten geknüpft wird. China mit seinem Sozialkreditsystem zeigt, wie das geht: Vorstellbar ist, dass nur regierungstreue Bürger ein Konto für digitales Zentralbankgeld erhalten.

Zudem könnte es nur jenen Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, die ihre Produktion auf CO2-mindernde Technologien umstellen oder bei ihrer Personalauswahl politisch vorgegebene Kriterien anwenden.

Digitales Zentralbankgeld mag bequem sein, seine Einführung modern und innovativ erscheinen. Doch die Bürger sollten sich von den technischen Vorzügen nicht blenden lassen. Digitales Zentralbankgeld ist ein vergifteter Apfel.

Es zerstört die noch verbliebenen marktwirtschaftlichen Elemente des Kredit- und Geldsystems, verschafft Regierungen und Staaten mehr Macht und bereitet der Enteignung und Überwachung der Bürger den Boden. Zumal die Europäische Zentralbank als supranationale Institution der Kontrolle durch die nationalen Parlamente de facto entzogen ist.

Freie Gesellschaft und Wirtschaft statt staatliches Geldmonopol

Die EZB erwägt, den digitalen Euro schon Mitte nächsten Jahres einzuführen. Die Chancen, das Vorhaben noch zu vereiteln, sind zwar gering. Doch ausgeschlossen ist es nicht, wenn die Bürger noch aufwachen und erkennen, welch tiefböses Potenzial im digitalen Euro steckt.

In Tolkiens Roman gibt es in fast aussichtloser Lage noch ein tragisch-gutes Ende: In Mordor beißt Gollum Frodo, den die finstere Macht erfasst hat, den ringtragenden Finger ab und stürzt siegestaumelnd mit dem Ring in die Feuer des Schicksalsberges. Der Ring ist zerstört, die Macht der Finsternis besiegt.

Die Selbstermächtigung der Zentralbanken, ihre ausufernde Macht, die von Sonderinteressengruppen für eigene Zwecke eingespannt wird, ist kein Zufall.

Sie ist vielmehr direkte Konsequenz der Tatsache, dass der Staat das Geldproduktionsmonopol innehat. Ein staatliches Geldmonopol ist unvereinbar mit einer freien Gesellschaft und Wirtschaft. Es zerstört sie. Und deshalb braucht es nicht nur die Verhinderung des digitalen Zentralbankgeldes, sondern auch das Ende des staatlichen Geldmonopols.

Eine Schlussfolgerung, für die man, so behaupte ich, nicht einmal den Apriorismus [1] bemühen muss.

[1] Als Apriorismus werden in der Neuzeit erkenntnistheoretische Positionen bezeichnet, die davon ausgehen, dass bestimmtes Wissen ohne Bezug auf die Erfahrung gerechtfertigt werden kann.

Zum Autor: Thorsten Polleit, geboren 1967, ist seit April 2012 Chefvolkswirt der Degussa, Europas größtem Edelmetallhandelshaus. Zuvor war er 15 Jahre im internationalen Investment-Banking tätig. Seit 2014 ist er Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth. Er ist Adjunct Scholar am Ludwig von Mises Institute, Auburn, Alabama, USA, und Präsident des Ludwig von Mises Institute Deutschland. Die letzten Bücher von Polleit sind „Der Antikapitalist. Ein Weltverbesserer, der keiner ist“ (2020, FBV), „Mit Geld zur Weltherrschaft“ (2020, FBV)



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