Die Brandmauer zur AfD bröckelt – ist aber „stabiler als vielfach vermutet“

Im Fürther Stadtrat hat die SPD-Fraktion Unterstützung für einen Antrag von der AfD bekommen. Nun hagelt es Kritik. Allerdings fiel die Brandmauer in den vergangenen Jahren wiederholt, vor allem im kommunalen Bereich. Eine Analyse.
Zahlreiche Menschen nehmen mit Plakaten an der Demonstration eines Bündnisses «Wir sind die Brandmauer» für Demokratie und gegen Rechtsextremismus teil.
Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie hält die Brandmauer zur AfD weitgehend. Das Foto zeigt eine Demonstration des Bündnisses „Wir sind die Brandmauer“ für Demokratie und gegen Rechtsextremismus teil.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 2. November 2024

Die CDU hat’s getan, das BSW ebenso, und nun auch die SPD: Sie alle haben auf unterschiedlichen Ebenen gemeinsam mit der AfD für Anträge gestimmt und dafür gesorgt, dass die Brandmauer zunehmend ins Bröckeln gerät. Stets ist die politische Entrüstung groß.

Für den jüngsten Aufschrei sorgte nun die SPD-Fraktion im Fürther Stadtrat. Die Sozialdemokraten hatten vergangene Woche in einer Sitzung einen Antrag auf Kürzung der Zuschüsse zum Sozialticket von 24,50 auf 18 Euro eingebracht. Hintergrund ist die klamme finanzielle Situation der Stadt.

So fand sich die SPD-Fraktion plötzlich in einem Boot mit der AfD, die den Vorstoß der Sozialdemokraten unterstützte. Nun hagelt es Kritik von verschiedenen Seiten, berichtet der „Bayerische Rundfunk“ (BR) auf seiner Internetseite.

Auch auf EU-Ebene hat die Brandmauer Löcher bekommen

Vorneweg der Fürther Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). „Dass die SPD den noch dreisteren Kürzungsforderungen von CSU, FW und FDP sich mit einem Schulterschluss mit der AfD aus der Verantwortung stiehlt, ist bislang einzigartig im Fürther Stadtrat“, zitiert der Sender Kamran Salimi. Der örtliche DGB-Chef sitzt auch für die Grünen im Stadtrat. Und der DGB-Vorsitzende für die Region Mittelfranken legt nach, sieht durch das Votum gar die Brandmauer in Fürth gefallen.

Die SPD reagiert angesäuert, wirft dem Grünen Salimi eine Instrumentalisierung des DGB vor. Sie versichert, dass man natürlich nicht mit der AfD gesprochen habe.

Wie Epoch Times berichtete, hat das BSW in Sachsen gemeinsam mit der AfD für einen Untersuchungsausschuss gestimmt, um die Corona-Krise aufzuarbeiten. Das sorgte für massive Kritik vonseiten der SPD, die in der vergangenen Woche zunächst die Sondierungsgespräche für eine Koalition der Sozialdemokraten mit CDU und BSW stoppte.

Die Brandmauer zur AfD hat in den vergangenen Jahren immer wieder gebröckelt, wie die folgende Zusammenfassung (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) zeigt.

Das gilt auch auf EU-Ebene, wie Epoch Times berichtete. In einem Änderungsantrag hatte die Fraktion der ESN (Europa der Souveränen Nationen), zu der auch die AfD-Delegation im Europaparlament gehört, eine „angemessene Finanzierung“ für Zäune an der Außengrenze gefordert. Der Änderungsantrag fand mit Unterstützung der beiden anderen rechten Fraktionen „Patrioten für Europa“ und den „Europäischen Konservativen und Reformer“ breite Zustimmung. Angenommen wurde der Antrag allerdings, weil auch die Abgeordneten der „Europäischen Volkspartei“ (EVP), zu der auch die CDU/CSU gehört, dem Änderungsantrag zugestimmt hatten.

Die liberalen und linken Parteien zeigten sich im Parlament pikiert zur EVP-Zustimmung. Die Folge: Sie kippten den gesamten Etatantrag, indem sie ihre Zustimmung verweigerten. Somit gibt es im Moment keinen EU-Haushalt.

Gemeinsamer Antrag von CDU und AfD in Cottbus

Schwere Risse bekam die Brandmauer bereits Ende Oktober 2023, als in Cottbus CDU und AfD einen gemeinsamen Antrag verabschiedeten. In der Vorlage ging es um die Begrenzung bei der Aufnahme von Asylbewerbern auf das gesetzlich vorgeschriebene Maß, berichtete der „Rundfunk Berlin-Brandenburg“ (rbb) auf seiner Internetseite. Da es sich um einen gemeinsamen Antrag handelte, war klar, dass es bereits im Vorfeld einen Austausch zwischen den beiden Fraktionen gegeben hat.

Einen CDU-Antrag zur Senkung der Grunderwerbssteuer in Thüringen trugen im September 2023 AfD und FDP mit. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident übte daraufhin Kritik an den Parteikollegen aus Thüringen und brachte damit CDU-Chef Friedrich Merz auf die Palme. Günthers Äußerungen seien eine „Einzelmeinung in der CDU“, sagte er. „Es gibt niemanden sonst, der das teilt.“ Die Thüringer Union nahm er in Schutz: „Wir richten uns nicht danach, wer zustimmt, sondern wir richten uns danach, was wir in der Sache für richtig halten, und dabei bleibt es“, berichtete seinerzeit Epoch Times.

Kein Verständnis hatte Merz hingegen für die im Dresdner Stadtrat vertretenen Christdemokraten. Diese hatten im April 2024 im Stadtrat einem Antrag der AfD-Fraktion zur Einführung der Bezahlkarte für Asylbewerber mit ihren Stimmen zu einer denkbar knappen Mehrheit (33:32) verholfen. Die Entscheidung in der Sache sei zwar richtig, im Verfahren jedoch inakzeptabel, kritisierte Merz. Er kündigte Gespräche mit den Dresdner Parteikollegen an. Merz hatte 2023 nach einer Debatte über die „Brandmauer“ zur AfD in der Kommunalpolitik klargestellt: „Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben.“

CDU-Fraktionschefin Heike Ahnert verteidigte sich: „Die CDU-Fraktion hat versucht, ihren eigenen Antrag vom November letzten Jahres gestern zur Abstimmung zu bringen. Dafür hat es im Stadtrat keine Mehrheit gegeben“, sagte sie. So sei nur die aktuelle Stunde mit dem Antrag der AfD geblieben, zu dem sich die CDU-Fraktion verhalten musste.

In Sachsen bildeten CDU, AfD und Grüne eine Koalition

Dass der Begriff „Brandmauer“ Einzug in den politischen Sprachgebrauch hielt, um sich von der AfD abzugrenzen, soll auf Merz zurückgehen. Er hatte Ende 2021 – damals gerade neuer CDU-Chef – erstmals diese Metapher verwendet. Vor gut zwei Monaten wies er die Urheberschaft zurück. Die Brandmauer habe nie zum internen Sprachgebrauch der Union gehört. Vielmehr sei sie ihr von außen „aufgenötigt“ worden, schrieb die „Welt“.

Doch schon eine ganze Weile bevor die Brandmauer zum geflügelten Wort wurde, gab es Kooperationen mit der AfD. Als Beispiel sei hier die rund 1.740 zählende Gemeinde Gohrisch in der Sächsischen Schweiz genannt. Dort hatten sich im damals elf Personen zählenden Gemeinderat zwei CDU-Mitglieder und je ein Gemeinderat von AfD sowie Uwe Börner von den Grünen zu einer Fraktion zusammengeschlossen, da dies Vorteile in der Arbeit mit der Verwaltung bringe.

Prompt hagelte es heftige Kritik. Die Grünen forderten Börner auf, aus der Partei auszutreten. Der damalige Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sagte: „Wer mit Rechtsextremen paktiert, hat mit uns nichts mehr zu tun.“

Studie: Brandmauer stabiler als vermutet

Börner verteidigte sich. So gehe es in der Koalition nicht um politische Richtungen, sondern um Sachpolitik zugunsten der Bürger. „Im Gespräch zu bleiben, ist gerade im ländlichen Raum viel sinnvoller als Ausgrenzung. Auf dem Land müssen alle zusammenarbeiten“, zitierte ihn die „Sächsische Zeitung“ damals. Der Aufschrei verhallte schnell, aus Gohrisch hat man nichts weiter gehört. Aktuell sind die Grünen auch nicht mehr im Gemeinderat vertreten.

Zu regelmäßig gemeinsamen Anträgen könnte es in Thüringen kommen. So hatte der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (ehemals Grüne) der CDU dazu geraten, in Thüringen ein Koalitionsexperiment mit der AfD zu wagen. Voraussetzung müsse sein, dass die Union den Ministerpräsidenten und den Innenminister stelle, betonte er. Palmer glaubt, dass eine andere Mehrheit kaum in Sicht ist, berichtete Epoch Times Ende September.

Laut einer Mitte September veröffentlichten Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) hat es seit 2019 rund 500 Kooperationen mit der AfD in ostdeutschen Landkreisen gegeben. Die Autoren analysierten 2.452 Sitzungen, in denen die AfD 2.348 Anträge stellten. 80 Prozent fanden keine Mehrheiten. Für 484 Fälle konnten die Forscher nachweisen, dass es eine inhaltliche Kooperation mit der AfD gab, heißt es in einer Mitteilung des WZB. Dabei gab es mindestens eine Stimme aus den Reihen anderer Parteizugehöriger. In 244 Fällen votierten mindestens fünf Abgeordnete mit einem anderen Parteibuch für die Anträge der AfD.

„Die Brandmauer ist weitaus stabiler als vielfach vermutet wird. Bei 80 Prozent aller von der AfD gestellten Anträge gibt es keine Unterstützung der anderen Parteien“, sagt WZB-Direktor Daniel Ziblatt. „Unsere Studie zeigt, dass die Brandmauer primär in Fragen der kommunalen Infrastruktur durchbrochen wird. Diese scheinbar harmlosen, praktischen Bereiche sind die Normalisierungszonen für die Anerkennung der AfD im parlamentarischen Alltag“, ergänzt Wolfgang Schroeder, wie Ziblatt und Florian Borchert Autor der Studie.



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