Die Bedeutung der Landtagswahlen für Deutschland

Die Landtagswahlen im September in den drei östlichen Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg sind seit Monaten das herausragende Thema in den Medien. Warum ist das so? Eine Analyse.
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Von 20. August 2024

Vergleichsweise kleine Bundesländer, eine geringe Anzahl Wahlberechtigter und eine im Bundesvergleich geringe Wirtschaftskraft – woher rührt der besondere Fokus auf Brandenburg, Sachsen und Thüringen? Was machen die dort im September stattfindenden Wahlen für Gesamtdeutschland, möglicherweise sogar noch darüber hinaus, so bedeutend?

Die Ostdeutschen als Avantgarde

Hierzu wollte Epoch Times die Einschätzung des renommierten Politikwissenschaftlers Prof. Werner J. Patzelt wissen.

Woher kommt der besondere mediale und politische Fokus auf Brandenburg, Sachsen und Thüringen? Was macht diese Wahlen so bedeutend?

Es gibt einen alten Buchtitel, der lautet: „Die Ostdeutschen als Avantgarde“. Wenn man auf die neuen Bundesländer und das dortige Protestpotenzial blickt, insbesondere darauf achtet, dass der Aufstieg der AfD sich besonders in Ostdeutschland ereignet hat und das deutsche Parteiensystem umzuprägen beginnt, bekommt man ein Gefühl dafür, dass das, was in diesen drei Bundesländern geschieht, den Rest Deutschlands mit einiger Verzögerung ebenfalls prägen könnte.

Man blickt sozusagen auf die Zukunft des bisherigen westdeutschen Parteiensystems. Und das ist es, was die Sache im Osten so spannend macht.

Glauben Sie, dass der Osten und der Westen nach den Wahlen weiter auseinanderdriften?

Mir scheint, dass die Rede von einer Spaltung zwischen Ost- und Westdeutschland falsch ist. Der Freistaat Bayern, der seit jeher zu Deutschland gehört, wird immer noch als etwas angesehen, was in Deutschland exotisch ist. Warum sollte es bei den neuen Bundesländern anders sein? Und dennoch spricht keiner von einer Kluft zwischen Bayern und dem Rest Deutschland.

Fakten der drei neuen Bundesländer

Etwa 1,7 Millionen Thüringer sind wahlberechtigt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Gradmesser der Wirtschaftskraft lag 2023 bei knapp 76 Milliarden Euro, pro Einwohner. Das entspricht 35.7015 Euro.

Sachsen verzeichnet etwa 3,3 Millionen Wahlberechtigte. Das BIP lag bei 155 Milliarden Euro, pro Einwohner sind das 38.143 Euro.

Brandenburg hat etwas mehr als zwei Millionen Wahlberechtigte. Das BIP des Landes lag 2023 bei knapp 100 Milliarden Euro, das entspricht pro Einwohner 37.814 Euro.

Zum Vergleich: Bayern hatte 2022 ein Bruttoinlandsprodukt von rund 716,8 Milliarden Euro, pro wahlberechtigtem Bayer (circa 9,4 Millionen) sind das 76.255 Euro.

Alle drei neue Bundesländer hatten nach der Wiedervereinigung mit einer starken Abwanderung zu tun, die sich allerdings in den vergangenen Jahren stabilisiert hat. Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) schreibt dazu: „Ostdeutschland ist weiterhin durch sinkende Bevölkerungszahlen gekennzeichnet, auch wenn die Abwanderung langsam verebbt ist.“

Ab Ende der 1990er-Jahre setzte sich laut bpb vermehrt eine Abwanderung junger Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen fort, darunter insbesondere Frauen.

Abwanderung rückläufig

Eingebettet inmitten des Brandenburger Landes liegt Berlin. Davon profitiert Brandenburg in Hinblick auf Zuwanderung gegenwärtig insbesondere in den Regionen nahe der Hauptstadt.

Sachsen hatte ebenfalls lange mit Abwanderung zu kämpfen, allerdings profitieren mittlerweile Städte wie Leipzig und Dresden, die sogar durch Bevölkerungsbewegung wachsen. Insgesamt kann Sachsen eine solche Zuwanderung im städtischen Raum vermelden.

Die städtischen Räume zeigen zudem eine positive wirtschaftliche Entwicklung. Insgesamt allerdings ist die Wirtschaftskraft der drei Länder im Vergleich zu westdeutschen Bundesländern eine geringere.

2020 lieferte das Bundeswirtschaftsministerium folgende Zahlen zur Wirtschaftsentwicklung in den neuen Bundesländern:
„Die durchschnittliche Wirtschaftskraft der neuen Bundesländer erreichte gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohnerin oder Einwohner im Jahr 2019 ein Niveau von knapp 73 Prozent, mit Berlin sind es sogar 79,1 Prozent des gesamtdeutschen Durchschnitts.“

Statistisch betrachtet ist die Geburtenrate in allen drei Bundesländern unterdurchschnittlich (2022). Im direkten Vergleich der drei Länder ist Sachsen das Schlusslicht und wird nur noch von Berlin und Bremen unterboten.

Pillenknick im Vergleich: Bundesrepublik und DDR

Historisch betrachtet lagen Bundesrepublik und DDR lange gleich auf, die Geburtenrate sank in beiden deutschen Staaten ab etwa 1964 im selben Verhältnis. Diese Entwicklung wird dem „Pillenknick“ zugeschrieben.

Demografische Prozesse haben allerdings niemals nur eine Ursache. Die DDR konnte den Abwärtstrend der Geburtenrate ab Mitte der 1970er-Jahre für ein paar Jahre umkehren, um dann allerdings bis zur Wiedervereinigung mit den vergleichsweise niedrigen Zahlen der alten Bundesrepublik von etwa 1,5 Kindern pro Frau gleichzuziehen.

Der Anteil älterer Wähler ist im Osten besonders hoch. In Thüringen etwa war jeder dritte Wahlberechtigte für die letzte Bundestagswahl 65 Jahre oder älter. Von den 1,7 Millionen Wahlberechtigten befinden sich rund 563.500 in dieser Altersgruppe.

Prof. Patzelt äußerte im eingangs abgebildeten Gespräch mit der Epoch Times, dass das, was sich in diesen drei Bundesländern tut, den Rest Deutschlands auch mit einiger Verzögerung prägen könnte. Welche konkreten Faktoren könnten hierbei relevant sein?

Strukturelle und soziale Probleme im Alltag der Menschen

In allen drei Bundesländern liegt die AfD bei einer Reihe renommierter Umfrageinstitute in der Wählergunst auf Platz 1. Die öffentlich-rechtlichen Medien sprechen von einer tiefen Kluft: „Miteinander reden ist oft kaum möglich – die Gräben sind tief.“

Ein größeres deutsche Online-Portal schrieb jüngst gar von einem drohenden „politischen Erdbeben“. Zunehmend prägen auch strukturelle und soziale Probleme den Alltag der Menschen in den genannten Bundesländern. Viele Regionen kämpfen mit den Folgen des wirtschaftlichen Umbruchs, wie dem Kohleausstieg in Brandenburg oder der schon genannten Abwanderung und Überalterung der Bevölkerung vor allem in den ländlichen Gebieten.

Das öffentlich-rechtliche ZDF schrieb im Anschluss an eine Ministerpräsidentenkonferenz Mitte Juni dieses Jahres, die drängendsten Probleme der Ministerpräsidenten in Brandenburg, Sachsen und Thüringen seien vielfältig. Aufgezählt wurden hier Themen wie „wirtschaftliche Entwicklung, Strukturwandel, Ausbau von Infrastruktur in ländlichen Räumen, Bildung, demographischer Wandel und die Integration von Zuwanderern.“

Diese Themen prägen auch den Wahlkampf in den drei Ländern. Zusammenfassend befindet das ZDF hier: „Den Menschen dauert vieles zu lange, sie sind ‚wandelmüde‘ und haben das Vertrauen in die Politik der etablierten Parteien verloren.“

Diese und weitere Faktoren machen die Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zu einem nationalen Politikum, das weit über die regionalen Grenzen hinaus Bedeutung hat. Politik und Medien gelten diese Wahlen als Indikatoren für tiefgreifende gesellschaftliche und politische Veränderungen, die weit über die betroffenen Bundesländer hinaus reichen könnten.



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