Deutschland allein bei Energiewende: Europäische Nachbarn setzen stärker auf Kernenergie
Am Wochenende wurde Lützerath in Nordrhein-Westfalen von der Polizei geräumt. Wie die „Tagesschau“ berichtet, standen die meisten Gebäude schon am Sonntag nicht mehr. Der endgültige Rückbau wird noch acht bis zehn Tage dauern, berichtet die „Rheinische Post“ und beruft sich auf einen RWE-Sprecher „Im März oder April könnte der Tagebau dann das frühere Dorf erreichen und abbaggern.“
Symbolort für Klima-Demonstranten
In den letzten Tagen und Wochen hatte der Ort noch einmal eine bundesweite Aufmerksamkeit erfahren. Seit 2006 wird das Dorf schrittweise umgesiedelt. Im Oktober 2022 war das Projekt abgeschlossen. Das Dorf musste weichen, da der Energiekonzern die darunterliegende Kohle abbauen möchte. Dagegen regte sich Widerstand.
Öko-Aktivisten, Klima-Radikale und Grünen-Politiker machten den Ort zu einem Symbol der Klima-Demonstranten. Die Gründerin von „Friday for Future“, Greta Thunberg war in Lützerath ebenso zu Besuch wie Luisa Neubauer. Aber auch Umweltverbände wie Greenpeace und BUND riefen dazu auf, sich vor Ort in Lützerath zu engagieren.
Die Kohle-Räumung in Lützerath macht deutlich, dass Symbolpolitik längst anstelle von Sachentscheidungen getreten ist. Grünen-Politiker und Klima-Demonstranten machen dagegen mobil, dass Dörfer geräumt werden, damit Kohle abgebaut werden kann, die der Energiegewinnung dient. Auf der anderen Seite sind es die gleichen Politiker, die sich massiv gegen die Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken stellen. Die „Bild“ hat diesen Widerspruch am vergangenen Mittwoch aufgegriffen. Die Zeitung zitiert Experten und Politiker und kommt zu dem Fazit, dass die Kernenrgie Lützerath hätte retten können.
Deutschland könnte eine Menge günstige, CO₂-freie Energie produzieren
Für den Präsidenten des ifo Instituts, Clemens Fuest, ist Lützerath eine Folge der Entscheidung, aus der Kernenergie auszusteigen. „Die Entscheidung, aus der Kernenergie auszusteigen, bedeutet, dass in Deutschland mehr Kohle verbrannt wird.“, so Fuest gegenüber der „Bild“. Er macht weiter klar: „Wer wirklich alles für den Klimaschutz tun will, müsste den Ausstieg aus der Kernenergie zurücknehmen.“
Das sieht auch Gitta Connemann (CDU) so. Die Bundestagsabgeordnete ist die Vorsitzende der Wirtschafts- und Mittelstandsvereinigung ihrer Partei. „Mehr Kernenergie bedeutet weniger Kohleverstromung. Würde man die noch laufenden drei Kernkraftwerke am Netz lassen und sogar die drei gerade erst abgeschalteten Meiler wieder hochfahren, könnte Deutschland eine Menge günstige, CO₂-freie Energie produzieren.“, so die Politikerin.
Ein Beispiel für die Politik der Grünen ist das Emsland. Hier werden nach jetzigem Stand die beiden Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 im April vom Netz gehen. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) lehnt eine Laufzeitverlängerung – über den April hinaus – kategorisch ab.
Emsland muss weichen, während in Lützerath die Bagger anrollen
AKW-Expertin Anna Veronika Wendland gab vor Kurzem „t-online“ ein Interview. Ihrer Meinung nach könne „allein das RWE-Atomkraftwerk Emsland binnen 16 Monaten den Strom-Gegenwert der Lützerath-Kohle erzeugen“. Und zwar „zu einem Hundertstel des CO₂-Ausstoßes“, so Wendland. Die Expertin weiter: „Doch Emsland muss weichen, während in Lützerath die Bagger anrollen.“
Der Regierungspartner FDP hatte sich in den vergangenen Wochen immer wieder für eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke – über den April hinaus – stark gemacht. SPD und Grüne wehren sich allerdings vehement gegen diesen Vorschlag. Gerade Wirtschaftsminister Habeck wird nicht müde, immer wieder zu betonen, dass in Deutschland am 15. April Schluss mit Atomkraft ist.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte Anfang des Jahres eine Expertenkommission vorgeschlagen, die über einen Weiterbetrieb der drei verbliebenen Kernkraftwerke entscheiden soll. In einem Interview auf dem Fernsehsender „Phoenix“ wurde Habeck dann gefragt, ob so eine Kommission noch möglich sei. Habecks Antwort war schlicht und vielsagend: „Nein“. Letzten Montag machte auch SPD-Chef Lars Klingbeil deutlich, dass der Weg klar ist. „Die Debatte ist entschieden. Der Kanzler hat das klar entschieden.“, so Klingbeil.
Mehrheit für KKW-Laufzeitverlängerung
Die Mehrheit der Deutschen hat laut Umfragen aber eine gänzlich andere Meinung. Wirtschaftsminister Robert Habeck fand schon im September wenig Unterstützung für seinen Plan, angesichts der Energiekrise die zwei Kernkraftwerke im Süden als Notreserve bis April 2023 bereitzuhalten. Damals befragte die Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF-Politbarometer 1.299 Menschen nach ihrer Meinung. Für Habecks Plan sprachen sich damals 32 Prozent aus, zwölf Prozent waren der Meinung, dass es beim vereinbarten Atomausstieg (der damals noch im Raum stand) zum Jahresende bleiben sollte und eine Mehrheit von 54 Prozent wollte eine Nutzung der Atomkraftwerke über April 2023 hinaus.
Nachbarn setzen verstärkt auf Atomstrom
Schaut man sich derzeit in der europäischen Nachbarschaft um, dann hat sich Deutschland mit seiner Ausstiegspolitik längst isoliert. Die Hoffnungen vieler Politiker in Deutschland, dass die Atompolitik Deutschlands in Europa Schule machen kann, erfüllt sich nicht. Im Gegenteil: Viele Nachbarländer setzen wieder verstärkt auf Atomenergie.
In der vergangenen Woche kündigte Schwedens Regierung an, in Zukunft mehr Kernkraftwerke bauen zu wollen. Umweltministerin Romina Pourmokhtari und Ministerpräsident Ulf Kristersson kündigten auf einer Pressekonferenz an, eine Reform durchzuführen, die den Bau von Reaktoren an neuen Standorten ermöglichen würde. Das Gesetz sieht derzeit den Betrieb von zehn Reaktoren an nur drei Standorten – Forsmark, Oskarshamn und Ringhals – vor. „Es werden Gesetzesänderungen vorgenommen, um neue Kernkraftwerke zu ermöglichen, einschließlich kürzerer Genehmigungsverfahren und administrativer Schnellverfahren“, erklärte Kristersson auf der Pressekonferenz. Laut der schwedischen Nachrichtenagentur TT sollen die aktualisierten Rechtsvorschriften auch den Bau von konventionellen Großreaktoren und kleinen modularen Reaktoren (SMR) ermöglichen. Derzeit sind noch sechs Meiler am Netz, ein siebter wurde vergangenes Jahr abgeschaltet.
In Belgien wurde in der letzten Woche beschlossen, dass die beiden Atomkraftwerke Tihange 3 und Doel 4 zehn zusätzliche Jahre am Netz bleiben. Ursprünglich war der Atomausstieg für 2025 vorgesehen. Der belgische Regierungschef Alexander De Croo begründete die Entscheidung, dass eine Verlängerung notwendig sei, um die Energieversorgungssicherheit in den nächsten zehn Jahren zu gewährleisten.
Polen ist dabei, in die Atomkraft einzusteigen. Die Regierung plant den Bau von sechs Kraftwerken. Anfang November hat Polens Regierung dem US-Konzern Westinghouse den Zuschlag für den Bau des ersten AKW im Land gegeben. Spätestens 2026 soll mit dem Bau des ersten Reaktorblocks begonnen werden, der 2033 ans Netz gehen soll, heißt es in dem 2021 vorgelegten Strategiepapier „Polens Energiepolitik bis 2040“, das nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs aktualisiert wurde. Alle zwei Jahre nach 2033 soll ein weiteres AKW seinen Dienst aufnehmen. Bis 2043 sollen es sechs AKW werden. Auch will Warschau den Bau sogenannter kleiner modularer Reaktoren (SMR) durch private Investoren fördern.
Auf mehr Atomstrom setzt auch die tschechische Regierung. Bis 2040 soll dort der Anteil der Kernenergie an der Stromproduktion auf mehr als die Hälfte erhöht werden.
Für Frankreich kam Atomausstieg nie infrage
Für Frankreich kam ein Atomausstieg zu keinem Zeitpunkt infrage. Anfang letzten Jahres hatte Präsident Emmanuel Macron bei einem Auftritt vor Fabrikarbeitern ostfranzösischen Belfort angekündigt, dass seine Regierung sechs neue Atomkraftwerke plane. Gerne würde er diese Zahl allerdings sogar auf 14 AKW hochschrauben.
Ehrlicherweise muss man an dieser Stelle feststellen, dass die Pläne des französischen Präsidenten vor allem der Not geschuldet sind. Viele Meilerparks sind marode und reparaturbedürftig. Viele Kraftwerke stehen wegen Überholungsbedarfs zurzeit still. Mehr als 75 Prozent des Stroms in Frankreich stammen aus der nuklearen Energie. Noch 2017 hatte Macron angekündigt, die erneuerbaren Energien in seiner Legislatur auf 32 Prozent zu bringen. In seinem Programm kündigte er an, bis 2022 doppelt so viel Energie aus Windkraft und Solarpaneelen zu produzieren wie zuvor.
Heute allerdings kommen nur 20 Prozent des französischen Stroms aus Erneuerbaren, nur rund halb so viele wie in Deutschland. Frankreich wird daher auch in Zukunft ein Atomland bleiben.
Bislang zeigt sich die deutsche Regierung noch unbeeindruckt von den europäischen Entwicklungen. Abkoppeln kann sie Deutschland von den Entwicklungen aber nicht. Zukünftig werden wir alle sehr viel mehr Strom verbrauchen. Mehr Menschen fahren dann Elektroautos, heizen ihre Häuser mit Wärmepumpen und die Industrie arbeite weniger mit Gas, dafür mehr mit Wasserstoff. Alles Dinge, die den Grünen wichtig sind und die sie unterstützen. Sie werden daher die Frage beantworten müssen, wo diese Energie dann herkommen soll.
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