Desaster für die Ampelparteien – Koalition in Berlin bald am Ende?
Die Ergebnisse der Landtagswahlen vom Sonntag, 1. September, in Sachsen und Thüringen haben vor allem die CDU vor schwierige Aufgaben bei der Regierungsbildung gestellt. In beiden Bundesländern ist sie entweder auf einen Pakt mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) oder ein Ende des Unvereinbarkeitsbeschlusses mit der Linkspartei angewiesen – oder auf beides.
Im Vergleich zu den Parteien der im Bund regierenden Ampelkoalition sind das immerhin noch Luxusprobleme. Diese kamen in Sachsen zusammen auf 13,3 Prozent, wobei die FDP sogar im Null-Komma-Bereich landete. In Thüringen erzielten SPD, Grüne und FDP zusammen gerade 10,4 Prozent – wobei lediglich die Sozialdemokraten mit 6,1 Prozent ihren Verbleib im Parlament sichern konnten.
SPD könnte weitere Lebenszeichen setzen und Ampelkoalition stabilisieren
Ob unter den gegebenen Umständen nicht schon im nächsten Jahr Neuwahlen in Sachsen und Thüringen stattfinden werden, möglicherweise zeitgleich mit der Bundestagswahl, ist ungewiss. Ob sich an den Mehrheitsverhältnissen Entscheidendes verändern würde und wenn ja, in welche Richtung, erscheint als nicht absehbar.
Selbst die CDU, die sich als Wahlsiegerin sieht, hat zu einem erheblichen Teil von „Leihstimmen“ aus Ampelparteien und der Linkspartei profitiert, die zumindest in Sachsen einen Platz 1 für die AfD verhindern wollten. Die Union musste in Thüringen 28.000 Stimmen an die AfD und 18.000 an das BSW abgeben, in Sachsen 44.000 an die AfD und 43.000 an die Wagenknecht-Partei.
Sachsen und Thüringen sind im bundesweiten Vergleich kleine und einwohnerschwache Bundesländer. Für die führenden Parteien der alten Bundesrepublik, insbesondere die SPD, bestehen vor der Bundestagswahl noch zwei Möglichkeiten, mit einem achtbaren Ergebnis ein Lebenszeichen zu setzen. Wenn am 22. September in Brandenburg gewählt wird, können zwar AfD und BSW erneut hohe Ergebnisse erwarten, allerdings könnte die SPD mit Dietmar Woidke einen Ministerpräsidentenbonus ausschöpfen.
Kubicki ruft einmal mehr nach Ende des Regierungsbündnisses
Im Frühjahr 2025 wird die SPD versuchen, in Hamburg mit Peter Tschentscher zu beweisen, dass sie immer noch Wahlen gewinnen kann. Dabei wird sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz aktiv in den Wahlkampf einbringen. Für AfD und BSW ist die Hansestadt eher ein schwieriges Terrain. Von einem entsprechenden Wahlergebnis im bevölkerungsstärkeren Westen vor der Bundestagswahl erhofft man sich nicht nur bei den Sozialdemokraten eine Korrektur des Eindrucks, den die ostdeutschen Wahlergebnisse vermitteln.
Doch selbst ein gegenläufiger Impuls aus der Hansestadt würde die grundlegende Tendenz nicht beseitigen, die Sachsen und Thüringen angedeutet haben – die der Zersplitterung des Gemeinwesens. Diese bildet sich immer mehr in politischen Zufalls- oder Zweckmehrheiten ab. Als eine solche lässt sich bereits die Ampel selbst deuten. Sie kam zustande, weil es der SPD unter Olaf Scholz gelang, die CDU unter Armin Laschet hinter sich zu lassen. Das einigende Band der „Idee des Fortschritts“, die als Grundlage des Bündnisses beschworen wurde, erwies sich in weiterer Folge als dünn.
CDU-Politiker Thomas de Maizière steht mit seiner Einschätzung vom Wahlabend, die Ampel sei „am Ende“, in Deutschland nicht allein da. FDP-Vize Wolfgang Kubicki ruft nach „Folgen“, nachdem die Ampel „ihre Legitimation verloren“ habe. Er fügt hinzu:
„Die Menschen haben den Eindruck, diese Koalition schadet dem Land. Und sie schadet definitiv der Freien Demokratischen Partei.“
Das Wahlergebnis zeigt: Die Ampel hat ihre Legitimation verloren. Wenn ein beträchtlicher Teil der Wählerschaft ihr in dieser Art und Weise die Zustimmung verweigert, muss das Folgen haben. 1/2
— Wolfgang Kubicki (@KubickiWo) September 1, 2024
Grüne und AfD als geschlossene Wählerblöcke
Dennoch ist mit einem vorzeitigen Bruch des Koalitionsbündnisses im Bund kaum zu rechnen. Der Ausgang der Wahlen von Thüringen und Sachsen lässt erwarten, dass auch im Fall von Neuwahlen eine heterogene und potenziell konfliktträchtige Koalition im Bund zu erwarten wäre. Jüngste Umfragen bestätigen diesen Eindruck.
Die letzte vor dem Wahltag am 1. September veröffentlichte INSA-Umfrage vom Samstag weist die Union bundesweit bei 31 Prozent. Die AfD käme auf 19 Prozent und die Ergebnisse vom Sonntag lassen erwarten, dass diese ihren Charakter als bloße Protestpartei für viele verloren hat. Ähnlich wie die Grünen auf der entgegengesetzten Seite des politischen Spektrums schickt sie sich an, permanent zur Stimme eines bestimmten Milieus zu werden, das durch ein geschlossenes Set an ideologischen Grundüberzeugungen zusammengehalten wird.
Die Folge dieser Entwicklung ist jedoch, dass es mit den Grünen und der AfD links und rechts zwei geschlossene Blöcke von Stammwählern gibt, die über ein stabiles Mobilisierungspotenzial verfügen. Die Konsequenz daraus ist, dass dies ein im Wesentlichen stimmungsresistentes Wählerreservoir von zusammen mindestens 30 Prozent schafft. Die Grünen kommen INSA zufolge bundesweit auf elf Prozent.
Welche Alternativen zur Ampelkoalition wären realistisch?
CDU und CSU können sich mittlerweile stabil bei etwas mehr als 30 Prozent der Stimmen behaupten. Allerdings scheint auf diesem Niveau eine Art gläserne Decke zu bestehen. In Sachsen und Thüringen hat die Union taktische Stimmen aus den Reihen von Gelegenheitswählern von SPD, Grünen, FDP sowie der Linken mobilisieren können. Dem stehen die Verluste an AfD und BSW gegenüber.
Die SPD sieht INSA bei 16 Prozent. Die schlechten Ergebnisse im Südosten dürften bis zu einem gewissen Grad darin eingepreist sein – ebenso wie ein möglicher Achtungserfolg im Frühjahr in Hamburg. Dass es auf Bundesebene für eine Koalition aus Union und SPD reicht, würde voraussetzen, dass FDP und Linkspartei im künftigen Bundestag nicht mehr vertreten sind.
Die Liberalen wären nach der aktuellen INSA-Einschätzung mit vier Prozent nicht mehr im Parlament vertreten. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass im Ernstfall mögliche Leihstimmen aus der Union den Verbleib der FDP im Bundestag retten.
Gleichzeitig haben die Wahlen vom Sonntag und das jüngste Urteil aus Karlsruhe zur Wahlrechtsreform den Verbleib der Linkspartei im Parlament wahrscheinlicher gemacht. Auch wenn diese bundesweit nur noch auf drei Prozent der Zweitstimmen zählen könnte, wäre der Weg in den Bundestag über Grundmandate weiterhin frei.
Bleiben FDP und Linke im Bundestag, gäbe es jedoch weder für die frühere Große Koalition aus Union und SPD noch für Schwarz-Grün noch für ein Jamaika-Modell eine Mehrheit. Was Letztgenanntes betrifft, ist ohnehin ungewiss, ob selbst die Union dafür noch Sympathien hätte – immerhin würden die Konflikte zwischen FDP und Grünen, die derzeit die Ampel prägen, auch unter Unionsführung aufrecht bleiben.
Stabile Mehrheiten wären auf Bundesebene nach derzeitigem Stand nur in Form einer Kenia-Koalition (Union, SPD, Grüne), einer Deutschland-Koalition (Union, SPD, FDP) sowie im Fall einer Zusammenarbeit zwischen Union, SPD und dem BSW denkbar. Dieses käme bundesweit im Moment auf neun Prozent. Alle Koalitionen dieser Art wären jedoch Zweckbündnisse, bei denen nicht absehbar wäre, wie viel sie der derzeitigen Ampel an Harmonie und Geschlossenheit voraus hätten.
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