Der Dominoeffekt nach dem Karlsruher Urteil zum Bundeshaushalt

Das Karlsruher Haushaltsurteil hat weitreichende Konsequenzen: Nachdem die Umwidmung von Corona- in Klimaschulden für verfassungswidrig erklärt wurde, stehen nun alle Sondervermögen des Bundes auf dem Prüfstand. Was bedeutet das konkret?
Die Ampel-Koalition ringt weiter um den Umgang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Die Ampelregierung steckt nach dem Urteil aus Karlsruhe zum Sondervermögen in einem DilemmaFoto: Michael Kappeler/dpa/Archiv
Von 23. November 2023

Nach dem Karlsruher Haushaltsurteil stehen nun alle Nebenhaushalte des Bundes auf dem Prüfstand. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts hatten entschieden, dass die Umwidmung der Bundesregierung von Corona- in Klimaschulden verfassungswidrig ist. Das begründeten die Richter unter anderem damit, dass der Bund die Ausnahmeregel der Schuldenbremse nicht ausnutzen dürfe, um Kredite auf Vorrat anzuhäufen. Mit der höchstrichterlichen Entscheidung sind 60 Milliarden Euro, die von der Ampel für Klimaprojekte und die Modernisierung der Wirtschaft vorgesehen waren, jetzt weg. Es könnte allerdings noch schlimmer kommen.

Momentan stehen alle Nebenhaushalte des Bundes auf dem Prüfstand. Das Finanzministerium hat in dieser Woche über den Etat in diesem Jahr eine Haushaltssperre verhängt. Finanzzusagen für die Zukunft sind damit allen Ministerien untersagt. Gegenwärtig kann man nicht sicher sein, welche Gelder in den kommenden Jahren überhaupt noch ausbezahlt werden können.

Sitzung des Haushaltsausschusses kurzfristig abgesagt

Das hat inzwischen auch Auswirkungen auf den Haushalt 2024. Ursprünglich sollte dieser noch in diesem Jahr vom Bundestag beschlossen werden. Die für Donnerstag anberaumte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses wurde von der Bundesregierung kurzfristig abgesagt. Ohne Fristverkürzung ist nun ein Beschluss des Etats für 2024 in diesem Jahr nicht mehr möglich.

Auch für dieses Jahr steht die Bundesregierung jetzt vor einem großen Problem: Es ist anzunehmen, dass der Haushalt 2023 verfassungswidrig sein könnte. Im Visier steht dabei der sogenannte Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF). In einer Anhörung von Sachverständigen im Haushaltsausschuss war deutlich geworden, dass wohl auch der WSF, aus dem die Energiepreisbremsen bezahlt werden, wohl ebenfalls vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts betroffen ist. Das Sondervermögen sei unter ähnlichen Maßgaben entstanden wie der Klima- und Transformationsfonds, zu dem die Karlsruher Richter geurteilt hatten.

Damit hat die Bundesregierung in diesem Jahr nach Auffassung der Sachverständigen und auch des Finanzministeriums Geld ausgegeben, das ihr eigentlich nicht zur Verfügung stand. Damit ist klar, dass es längst nicht mehr um die 60 Milliarden Euro geht. Der Bund wird jetzt nach Wegen suchen müssen, wie er nachträglich eine Rechtfertigung für die Millionenkredite für die Energiepreisbremse findet. Und es könnten noch weitere Nebenhaushalte betroffen sein.

Sondervermögen keine Idee der Ampelregierung

Laut einer Analyse des Bundesrechnungshofes unterhält der Bund im Moment 29 Sondervermögen. Das ist eigentlich keine Erfindung, die sich die Ampel ausgedacht hat.

Das älteste Sondervermögen stammt aus dem Jahr 1951. Damals wurde aus diesem Posten der Bau von Wohnungen für Arbeiter im Bergbau gefördert. Es gibt aber auch Sondervermögen zum Ausbau von Kita-Plätzen oder für digitale Infrastruktur. Weiter hat der Bund auch Sondervermögen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben eingerichtet. Auch für die Binnenschifffahrt unterhält der Bund einen Sonderfonds.

Das letzte Mal waren solche Sondervermögen in der Öffentlichkeit während der Corona-Krise ein Thema. Aus diesem wurden damals die Wirtschaftshilfen finanziert. Aber auch die Aufbauhilfen für die Flutopfer im Ahrtal wurden aus Sondervermögen bezahlt. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine beschloss der Bundestag einen 100 Milliarden schweren Sondertopf für die Bundeswehr.

Trifft das Urteil alle Sondertöpfe?

Sind alle Sondertöpfe vom Karlsruher Urteil betroffen? Nein. Das hat mehrere Gründe. Zuerst einmal hat sich das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bisher ausschließlich in seinem Urteil zum schuldenfinanzierten Sondervermögen geäußert. Töpfe, die aus eigenen Einnahmen finanziert werden, sind daher nicht betroffen. Ein Beispiel für solch einen Sondertopf ist das sogenannte ERP-Sondervermögen. Es wurde ursprünglich auf der Grundlage des Marshallplans bereitgestellt. Solche Sondervermögen bilden im Bundeshaushalt aber nicht die Mehrheit.

Laut der Analyse des Bundesrechnungshofes ist der überwiegende Teil der Sondervermögen kreditfinanziert. Ende 2022 gab es demnach ein Verschuldungspotential von 522 Milliarden Euro.

Ausgenommen vom Gerichtsurteil sind in diesem Bereich Sondervermögen, die vor der Schuldenbremse entstanden sind. Wie es im Grundgesetz zu diesem Thema heißt, werden nur Kreditermächtigungen für die Schuldenbremse angerechnet, die nach 2010 bewilligt wurden.

Mit der Schuldenbremse verpflichten sich Bund und Länder, neue Schulden nur noch bis zu einer bestimmten Höhe zu machen. Außerdem verpflichten sie sich, die Staatsschulden in absehbarer Zeit zurückzuzahlen. Deutschland hat 2009 per Gesetz die Schuldenbremse eingeführt. Diese Schuldenbremse legt fest, dass sich Deutschland ab 2016 jedes Jahr bis zu einer Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes neu verschulden darf. Das entspricht derzeit etwa neun Milliarden Euro pro Jahr.

Verwirrung beim Sondervermögen der Bundeswehr

Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr sei nicht in Gefahr. Zumindest sieht das die Ampelregierung so. Der Grund sei, so die Argumentation der Bundesregierung, dass der Milliardentopf damals vom Bundestag separat in das Grundgesetz verankert wurde. Mit Zustimmung der Union wurde damals festgeschrieben, wofür das Geld am Ende ausgegeben werden darf.

Explizit beschloss die Mehrheit des Bundestags damals zusätzlich, dass die Schuldenbremse bei diesem Sondervermögen nicht greifen würde. Das war damals vorrangig auf Initiative der FDP beschlossen worden. Damit sollten die Mittel noch einmal gut abgesichert werden.

Wie die „Augsburger Allgemeine“ am Donnerstag mit Berufung auf ein ihr vorliegendes Schreiben von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) meldete, soll der Minister nicht nur einen Zahlungsstopp für den Wehretat verhängt haben, sondern auch das Sondervermögen der Bundeswehr in seine Verfügung einbezogen haben. Wie alle Bundesministerien, war auch das Verteidigungsressort von Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit einer Haushaltssperre belegt worden.

Die Bundeswehr dementierte umgehend die Medienmeldung. Ein Sprecher des Ministeriums stellte klar, dass die am Dienstag verhängte hauswirtschaftliche Sperre nur künftige Finanzzusagen in den Kernhaushalten der Ministerien betreffe. Das Sondervermögen der Bundeswehr sei nicht betroffen, so der Sprecher weiter. Es gebe aber Vorhaben im Sondervermögen, die nach 2028 dann aus dem Kernhaushalt weiterbezahlt werden sollten.

Diese Finanzierungszusagen für die Zeit ab 2028 habe das Verteidigungsministerium nun „aus eigener Initiative“ eingeschränkt. Dadurch ergebe sich die Möglichkeit, Anträge beim Finanzministerium zu stellen, um die Finanzierung auch dieser Projekte aus dem Sondervermögen abzusichern. Es handele sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme.

Am Donnerstag hatte das Finanzministerium über die Haushaltssperre hinaus auch vorsorglich die sogenannten Verpflichtungsermächtigungen für die kommenden Jahre in den Etats der Ministerien gesperrt. Damit möchte man verhindern, dass in der jetzigen Situation zusätzliche finanzielle Verpflichtungen entstehen.

Scholz „Doppelwumms“ ist erst einmal lahmgelegt

Beim von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigten „Doppelwumms“ bei den Energiepreisen ist die Lage aus Sicht der Regierung eindeutig. Hier ist ein Zahlungsstopp verhängt worden. Allerdings steht die Bundesregierung bei diesem Sondervermögen vor viel größeren Problemen als bei den 60 Milliarden im Klima- und Transformationsfonds.

Nach Angabe des Wirtschaftsministeriums wurden aus dem WSF allein in diesem Jahr schon 37 Milliarden Euro ausgezahlt. Genau das hätte nicht passieren dürfen. Der WSF wurde gewissermaßen mit Krediten auf Vorrat ausgestattet. Genau dem hatten die Karlsruher Richter einen Riegel vorgeschoben. Rund 103 Milliarden hätten nach Ampelplänen in das kommende Jahr übertragen werden sollen.

Nun stehen die Bundesregierung und der Bundestag vor dem Problem, dass sie einen Weg finden müssen, die in diesem Jahr ausgezahlten Gesamtgelder noch vor Jahresende gerichtsfest auszuzahlen. Wie das bewerkstelligt werden soll, ist im Moment völlig unklar. Am Dienstag hat das Finanzministerium erst einmal alle WSF-Ausgaben für dieses Jahr gesperrt. „Die Auszahlung der Energiepreisbremsen im Jahr 2023 ist nicht betroffen“, hieß es aus dem Ministerium. Allerdings ist nicht klar, wie die Hilfen nach der Mittelsperrung bezahlt werden sollen.

Rückforderungen von Kunden unwahrscheinlich

Müssen sich Energiekunden, die bis jetzt von der Energiepreisbremse profitiert haben, ihr Geld am Ende zurückzahlen? Das ist ziemlich unwahrscheinlich. Bundesregierung und Bundestag haben die Energiepreisbremse beschlossen. Wie sie diesen Beschluss finanzieren, ist ihr Problem.

Denkbar wäre allerdings, dass die Ampel die Strom- und Gaspreisbremse vorzeitig streicht. Eigentlich sollte diese Regelung auch noch im Frühjahr 2024 gelten. Das scheint jedoch ziemlich unwahrscheinlich. Sollten die Energiepreise im kommenden Winter wieder anziehen, dann sind keine staatlichen Bremsen mehr zu erwarten. „Dann werden wir höhere Gas- und Strompreise und Fernwärmepreise haben“, warnte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gerade erst.

Um das Problem mit dem laufenden Haushalt zu klären, müsste für 2023 erneut im Nachtrag eine Notlage erklärt werden. In diesem Fall könnte die Schuldenbremse ausgesetzt werden. Man könnte diesen Schritt damit begründen, dass die Energiekrise noch Anfang des Jahres zu spüren war. Die Union scheint sich vorstellen zu können, diesen Weg zu gehen. Das müsste nach Meinung des von der Union bestellten Juristen Hanno Kube aber auf die verfassungswidrig genutzten Kredite aus dem WSF beschränkt sein, da nur sie direkt mit der Energiekrise zusammenhingen.

Die kommenden Wochen bis Jahresende dürften spannend werden. Sollte ein Nachtragshaushalt in diesem Jahr nicht mehr zustande kommen, dann kann die Regierung ab 2024 bis zur Einigung zunächst nur mit einer vorläufigen Haushaltsführung arbeiten. Das bedeutet, dass erst einmal nur Ausgaben erlaubt sind, die aus rechtlichen, vertraglichen oder anderen Gründen nicht aufgeschoben werden können.

 

 



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