Covid-19 und Migrationshintergrund in Schweden

Auch in Schweden zeigt sich, dass Menschen mit Migrationshintergrund anfälliger für COVID-19 sind. Anders als in Deutschland gibt es hier jedoch Zahlen. Demnach mussten Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund doppelt so oft wie gebürtige Schweden im Krankenhaus allgemein oder auf der Intensivstation behandelt werden. Betrachtet man die Fallzahlen des Frühjahrs 2020 – neuere Daten liegen nicht vor – nach Herkunftsländern, fällt zudem auf, dass südliche Länder wie die Türkei und Äthiopien mit einer Inzidenz von über 700 etwa viermal mehr Fälle aufweisen als gebürtige Schweden.
Von 11. März 2021

Neulich wurde bekannt, dass in Deutschland überproportional viele Patienten mit Migrationshintergrund schwer an Covid-19 erkranken und versterben (Epoch Times berichte). Statistische Aussagen dazu sind in Deutschland schwer zu treffen, weil bei der Analyse der Krankenzahlen keine Aussagen zum Migrationshintergrund gesammelt werden.

Das sieht in Schweden anders aus. Was beim Datenschützer zu chronischem Haareraufen führt, lässt dem Statistiker das Herz höherschlagen: Schweden ist ein Zentralstaat mit einer Krankenkasse – und alle habe eine Personennummer (mit eingebautem Geburtsdatum), über die viele Daten gesammelt und analysiert werden.

Albtraum für Datenschützer, Goldgrube für Statistiker

Bevor wir uns die Frage stellen, ob Personen mit „ausländischem Hintergrund“ ein erhöhtes Risiko zu erkranken und zu sterben haben, sollten wir uns überlegen, warum diese Frage wichtig sein könnte. Und da kommen wir zu dem Ergebnis, dass es eigentlich für jede definierbare größere Gruppe wichtig ist, diese Frage zu erörtern, weil die Merkmale, die diese Gruppen von größeren Gruppen oder gar der Bevölkerungsmajorität unterscheiden, für den Verlauf einer Infektion wichtig sein können, wenn diese Gruppe ein anderes Infektionsverhalten zeigt. Dies wiederum wäre für die Krankheitsbekämpfung und für die Prävention wichtig.

In Schweden veröffentlichen zwei Behörden Zahlen zu diesem Thema. Die staatliche Behörde für Gesundheit und Soziales, Socialstyrelsen, und die staatliche Behörde für Sozial-Medizin, FOHM. Erstere hatte noch Ende November Zahlen zu den Geburtsländern von Corona-Patienten veröffentlicht. FOHM schrieb noch im Juni 2020, dass der Inzidenzwert pro 100.000 Personen für den Zeitraum vom 12. März bis zum 7. Mai bei den in der Türkei geborenen mit 753 am höchsten war, gefolgt von den in Äthiopien (742), Somalia (660) und im Irak (600) geborenen. Für die gebürtigen Schweden lag er bei 189 – und die Deutschen brachten es immerhin auf 266.

Ich habe keine weiteren, aktuelleren Zahlen auf nationalem Niveau gefunden. Auch ein aktueller Artikel aus der Ärztezeitung vom Demografie-Professor Gunnar Andersson bezieht sich auf die Zahlen vom Frühjahr 2020. Offensichtlich hat auch die schwedische Transparenz Grenzen, ist die Angst vor tendenziöser Anwendung der Daten größer als der Wille, die Ursachen der Verbreitung öffentlich zu analysieren.

„utländsk bakgrund“

Also schauen wir uns die alten Zahlen mal etwas genauer an. Für Socialstyrelsen zählen zwei Gruppen Menschen als Personen mit Migrationshintergrund: Im Ausland Geborene und in Schweden Geborene, deren Eltern beide im Ausland geboren wurde. In Deutschland hat Migrationshintergrund, wer selber keinen deutschen Pass oder mindestens ein Elternteil ohne deutschen Pass hat. Um die schwedischen Zahlen etwas auf die deutschen übertragen zu können, habe ich mal vom Statistikamt SCB die Zahlen zur Anzahl von Personen mit Migrationshintergrund geholt.

Tabelle zu Personen mit Migrationshintergrund in Schweden

Personen mit Migrationshintergrund in Schweden. Foto: Sören Padel

Gerade im Corona-Risikobereich unterschätzt die schwedische Definition die Risikogruppe im Verhältnis zur deutschen Definition erheblich. Bis vor wenigen Jahren hat die schwedische Definition noch Ähnlichkeiten mit der deutschen gehabt, weil auch Personen mit nur einem außerhalb Schwedens geborenen Elternteil in die Kategorie Migrationshintergrund („utländsk bakgrund“) gefallen war.

Aber kommen wir zu den Daten. Socialstyrelsen beleuchtet neben dem Migrationshintergrund eine Menge anderer Faktoren wie Alter, Einkommen, Einkommenssituation und Schulbildung.

Corona „mit Migrationshintergrund“ bis zu 2,4-Mal häufiger

Konzentrieren wir uns auf den Migrationshintergrund „utländsk bakgrund“ und die Altersklasse ab 50 Jahren:

Tabelle zu Corona mit „utländsk bakgrund“, Altersklasse 50+

Corona mit „utländsk bakgrund“, Altersklasse 50+. Foto: Sören Padel

Die Gruppe mit Migrationshintergrund ist bei den Schwer- und Schwersterkrankten sehr deutlich überrepräsentiert. Menschen mit Migrationshintergrund kamen demnach 1,98-Mal (33,2 / 16,8 = 1,976) häufiger ins Krankenhaus und mussten 2,15-mal (36,1 / 16,8 = 2,149) häufiger intensiv behandelt werden als Menschen ohne Migrationshintergrund. Bei den Verstorbenen ist die Überrepräsentation mit dem Faktor 1,21 immer noch signifikant, aber nicht so dramatisch. Das Verhältnis von Intensivpatienten zu Verstorbenen ist deutlich geringer (höhere Überlebenschance).

Das könnte darauf hindeuten, dass sich diese Gruppe erst verhältnismäßig spät in medizinische Behandlung begibt. Dadurch könnten auch widerstandskräftigere Erkrankte schwer erkranken, dann aber relativ bessere Behandlungserfolge erzielen. Hier müsste man allerdings eher in Bezug auf die Herkunftsländer differenzieren.

Nun ein kurzer Blick auf die Altersgruppe unter 50:

Tabelle zu Corona mit „utländsk bakgrund“, Altersklasse unter 50

Corona mit „utländsk bakgrund“, Altersklasse unter 50. Foto: Sören Padel

Geradezu beängstigend wird es, wenn man auf die Altersgruppe unter 50 Jahre geht. Sicher sind die absoluten Zahlen sehr niedrig, aber die Gruppe mit Migrationshintergrund ist mehr als doppelt überrepräsentiert, und das in allen drei Gruppen [Anmerk. d. Red.: Krankenhauspatienten Faktor 2,36; Intensivpatienten Faktor 2,40; Verstorbene Faktor 2,16]. Hier spielt bestimmt auch der aus den ursprünglichen Heimatländern mitgebrachte Gesundheitsstatus sowie die geringere Lebenserwartung eine Rolle.

Inzidenz bis zu viermal höher als bei gebürtigen Schweden

Schauen wir auf die Inzidenzen in Bezug auf die einzelnen Herkunftsländer. Wie angeführt hat FOHM für den Zeitraum vom 12. März bis zum 7. Mai 2020 den Faktor Herkunftsländer analysiert (also nur nach dem Geburtsland).

Tabelle mit Corona-Inzidenz in Schweden im Frühjahr 2020 nach Herkunftsländern

Corona-Inzidenz in Schweden im Frühjahr 2020 nach Herkunftsländern. Foto: Sören Padel

Die Bevölkerung mit Wurzeln in nicht-europäischen Herkunftsländern wohnt überwiegend in den Problemsiedlungen der größeren Städte („utsatta områden“). Typisch und problematisch für diese Regionen sind vor allem hohe Arbeitslosigkeit, geringes Einkommen, niedriges Bildungsniveau, extrem hohe Kriminalität, relativ niedriges Durchschnittsalter, niedrigere Lebenserwartung und überbelegte Wohnungen.

Abgesehen vom Durchschnittsalter sind das alles mögliche Risikofaktoren für schwere Erkrankungen. Dazu kommen bei der gesundheitlichen Aufklärung Kommunikationsprobleme, die einerseits auf der Sprachbarriere und andererseits auf einem geringen Vertrauen gegenüber den Behörden (viele kommen aus Diktaturen) beruhen. Dazu kommen kulturell und hier auch religiös bedingte Unterschiede im Sozialverhalten.

Welche Punkte sich wie stark auswirken, muss näher untersucht werden. Aber dass das Addieren von Risikofaktoren jegliches gesundheitliches Risiko exponentiell anwachsen lässt, ist nun nicht gerade eine sensationelle Erkenntnis. Eine mögliche Lösung könnte die Schaffung gleicher – guter – Lebensbedingungen für alle im Land sein. Dafür hat man in Schweden nun sogar eine eigene Behörde geschaffen, welche diese Arbeit koordinieren soll.

Das Ziel kann jedoch nur mit Transparenz, einer ausbalancierten und nachhaltigen Migrationspolitik und nicht zuletzt durch Einsätze im Wohnungsbau und in der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik gelingen – und nur dann, wenn beide Seiten, Regierung und die betroffenen Gruppen, zusammenarbeiten.

Es muss sich also viel verändern …

Über den Autor: Sören Padel lebt in Schweden und hat an der Hochschule auf Gotland (heute Universität Uppsala, Campus Gotland) Humangeografie (Abschluss als M.A.) sowie Geschichte (Abschluss als K.A.) an der Mittuniversität (Sundsvall und Härnösand) studiert. Mit drei abgeschlossenen Berufsausbildungen arbeitete er unter anderem in der öffentlichen Verwaltung und als Lehrer (Grundschule und Gymnasium). Darüber war/ist er als Tourismusunternehmer und Projektentwickler sowie als Übersetzer und Fachbuchautor tätig. Auf seinem Blog „Corona-Schwede“ berichtet er regelmäßig über die Situation in Schweden.



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