BSW-Abwanderung: So will die SPD für „arbeitende Mitte“ attraktiver werden
Knapp ein Jahr vor der Bundestagswahl wittert die SPD wieder Morgenluft. Die Partei ist auf Bundesebene weiterhin weit davon entfernt, ihr Ergebnis von 2021 annähernd wiederholen zu können. Der Wahlsieg in Brandenburg und ein Aufwärtstrend in den Umfragen lassen die Kanzlerpartei jedoch wieder Morgenluft wittern.
Der „Seeheimer Kreis“ will den nunmehrigen leichten Rückenwind nutzen. Die eher dem konservativeren Flügel zuzurechnende Vereinigung will die Partei wieder durch realistische und bürgernahe Lösungsansätze wahrnehmbar machen.
Seeheimer: Für Interessen der Arbeitenden zu kämpfen, ist „in politischer DNA der SPD“
Die Arbeitsgemeinschaft hat deshalb jüngst ein Strategiepapier veröffentlicht, mit dem sie die SPD wieder als „Partei der arbeitenden Mitte“ definieren will. Zu viele Menschen wendeten sich von den Sozialdemokraten ab, heißt es darin, weil diese sich nicht um „die Dinge, die uns wichtig sind“ kümmere.
Aus „falsch verstandener Rücksichtnahme“, so heißt es weiter, seien in der Vergangenheit „Themen oft nicht angesprochen worden, die die Deutschen jedoch stark beschäftigten“. Nun sei es aber für die SPD an der Zeit, „unseren politischen Kompass wahrnehmbar stärker auf die arbeitende Mitte dieses Landes zu richten“.
Im Mittelpunkt der Bemühungen müssten „Sicherheit, ordentliche Löhne, stabile Renten und Investitionen in unsere Infrastruktur“ stehen. Dafür zu kämpfen, liege „in der politischen DNA der SPD“.
Hohe Steuern nur für „echte Spitzenverdiener“
Wer nicht arbeiten könne, solle Anspruch auf soziale Absicherung haben, betonen die Seeheimer in ihrem Papier. Wer aber arbeite, müsse jedoch mehr haben. Die Sozialdemokraten müssten deshalb „ihre Politik auf die vielen Fleißigen in unserem Land ausrichten, die für Rekordbeschäftigung in Deutschland sorgen“.
Zudem müsse es Aufgabe der SPD sein, dafür zu sorgen, dass „normale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Ende des Monats mehr Netto vom Brutto in der Tasche haben“. Dies sei am besten dadurch zu erreichen, dass Spitzenverdiener höhere Beiträge zu den Sicherungssystemen leisten. Denn auf diese Weise würden Beschäftigte mit geringerem Einkommen entlastet.
Mit dieser Position stehen die Sozialdemokraten nicht allein da. Die direkte Konkurrenz in Form des BSW will ebenfalls „Arbeitnehmer und Selbstständige mit kleinen und mittleren Einkommen entlasten“. Im Gegenzug will man „leistungslose Einkommen aus großen, meist ererbten Vermögen angemessen besteuern“. Der Spitzensteuersatz, so die Wagenknecht-Partei, müsse „echte Spitzeneinkommen treffen und darf nicht schon bei einem besseren Facharbeitergehalt greifen“.
Das Konzept der Seeheimer zur Entlastung der Mittelschicht
Der Seeheimer Kreis will den aktuell geltenden Spitzensteuersatz von 42 Prozent künftig erst ab einem deutlich höheren Einkommen greifen lassen. Derzeit ist er bei Singles ab einem Jahreseinkommen von mehr als 66.760 Euro und bei gemeinsam veranlagten Verheirateten bei mehr als 133.522 anwendbar.
Künftig soll er erst bei 80.000 Euro für Singles und 175.000 Euro für Verheiratete zum Tragen kommen. Stattdessen soll der Höchststeuersatz, die sogenannte Reichensteuer, von 45 auf 48 Prozent steigen. Besteuert werden soll damit jeder Cent oberhalb von derzeit 277.826 Euro. Bei gemeinsam veranlagten Ehepaaren gilt er ab 555.652 Euro.
Mit der von den Seeheimern ins Spiel gebrachten Neuregelung würden über 95 Prozent der Steuerzahler entlastet, so das Papier. Auch mit der Forderung nach einem höheren Mindestlohn begibt man sich auf Tuchfühlung mit dem BSW. Dieses hatte im Frühjahr im Bundestag eine Erhöhung auf 14 Euro gefordert. Die Seeheimer legen nun 15 Euro vor.
Wo sich die konservative SPD-Gruppe vom BSW unterscheidet
Weitere Positionen, die das Strategiepapier nennt, sind Erhöhungen des Kindergeldes und Entlastung bei den Freibeträgen. Zudem müsse es täglich ein „bundesweit kostenfreies Mittagessen an Schulen und Kitas für alle Kinder“ geben. In die Infrastruktur sollen Milliarden Euro investiert werden – und das Bürgergeld soll „treffsicherer“ und strenger kontrolliert werden.
Diese Positionen laufen nicht in jedem Bereich parallel mit jenen des BSW. Anders als die Wagenknecht-Partei wollen die Seeheimer auch nicht bei der Aufrüstung sparen. Allerdings sehen beide in Erträgen aus Kapitalanlagen eine Form der „Nichtarbeit“, die höher zu besteuern sei als das Arbeitseinkommen.
Kapitalerträge als Früchte der „Nichtarbeit“ behandeln – auf Kosten sparender Arbeitnehmer
Während die Seeheimer ein Ende der pauschalen Abgeltungssteuer von 25 Prozent fordern und sich offenbar höhere Sätze vorbehalten wollen, forderte das BSW im EU-Wahlprogramm eine Finanztransaktionssteuer und beklagte Dividenden an Aktionäre.
Allerdings werden diese Steuern als Quellensteuern abgezogen, sodass sie unabhängig von der Einkommenshöhe des Empfängers abfließen, bevor dieser seine Erträge vereinnahmt. Steuern dieser Art treffen vor allem kleine Riestersparer oder Volksaktienbesitzer, die durch Dividenden ein kleines Zusatzeinkommen erzielen. Zwar können Geringverdiener mit einem Einkommenssteuersatz von weniger als 25 Prozent die einbehaltene Abgeltungssteuer angeben, allerdings wird dies nicht in jedem Fall geschehen, weil viele Betroffene über derartige Feinheiten gar nicht informiert sein dürften.
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