BRICS-Gipfel in Kasan: Entsteht eine neue Weltordnung?
Ein wirtschaftliches Gegengewicht, vielleicht auch in militärischer oder geopolitischer Hinsicht, zum Westen zu schaffen. Das war die Idee, die 2006 hinter der Gründung des BRICS-Bündnisses stand. Ursprünglich noch als BRIC von Brasilien, Russland, Indien und China gegründet wurde, trat 2010 auch Südafrika dem Bündnis bei. Der Name, der für die Anfangsbuchstaben der beteiligten Staaten steht, änderte sich seitdem von BRIC auf BRICS. Anfang dieses Jahres kamen mit Ägypten, Äthiopien, Iran und den Vereinigten Arabischen Emirate weitere Bündnispartner hinzu. Aus BRICS wurde nun BRICS+.
Von Dienstag bis Donnerstag trafen sich die BRICS-Staaten zu ihrem diesjährigen Gipfel im russischen Kasan. 30 Ländern, 24 Staats- und Regierungschefs nahmen an dem Treffen teil, allen voran als wichtigster Gast Chinas Präsident Xi Jinping. 17 bilaterale Gespräche standen für Putin auf dem Programm. Auch UN-Generalsekretär António Guterres folgt einer Einladung nach Kasan. Die vom russischen Präsidenten Wladimir Putin in Richtung Westen gesendete Botschaft war nicht zu übersehen: Trotz westlicher Sanktionen und Ukraine-Krieg ist er nicht isoliert.
Das Treffen in Putins Heimat hat zudem den Vorteil, dass Putin keine Umsetzung des Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs wegen der Deportation ukrainischer Kinder zu befürchten hat – wie beim vergangenen Gipfeltreffen 2023 im Südafrika.
BRICS repräsentiert 45 Prozent der Weltbevölkerung
Nicht nur wegen Putin schaute die Welt in den letzten Tagen nach Kasan. Über 2.000 Journalisten berichteten vor Ort über den Gipfel. Entsteht hier eine neue Wirtschaftsordnung? Welches Potenzial hat BRICS? Und wie ernst muss der Westen das Bündnis nehmen? Das waren Fragen, die sich vor allem der Westen gestellt haben dürfte.
Die BRICS-Staaten repräsentieren 45 Prozent der Weltbevölkerung und stehen für rund ein Drittel der globalen Wirtschaftsleistung. Darüber hinaus gehören sie zu den wichtigsten Lieferanten von Energie und Rohstoffen wie Erdöl, Magnesium und Graphit.
Mit einer Erweiterung der Allianz könnte sich sowohl der Bevölkerungsanteil als auch der Einfluss des Bündnisses noch einmal vergrößern. Die Türkei, Aserbaidschan und Malaysia haben formell einen Antrag auf Aufnahme gestellt, weitere Staaten haben Interesse bekundet. Der russische Präsident Putin hatte kurz vor Beginn des Treffens davon gesprochen, dass es mehr als 30 Länder gebe, die Interesse an einem Beitritt zu BRICS hätten.
Multipolare Weltordnung im Gange
Gleich zu Beginn des Gipfels in Kasan sprach Putin vor den Teilnehmern von einer seiner Ansicht nach entstehenden „multipolaren Weltordnung“. „Der Prozess der Bildung einer multipolaren Weltordnung ist im Gange, es ist ein dynamischer und unumkehrbarer Prozess.“
Liest man allerdings in der „Kasaner Abschlusserklärung“, dann wird deutlich, wie weit BRICS noch von einer wirklichen Allianz entfernt ist. In den großen Fragen weicht das Papier aus und wird wolkig-unverbindlich.
Dedollarisierung nicht in Sicht
Ursprünglich war spekuliert worden, dass das Bündnis mit der Schaffung einer einheitlichen Währung vorangekommen sein könnte. Im Juni hatte der iranische Botschafter in Russland, Kazem Jalali, auf einer Wirtschaftskonferenz gesagt:
Die Schaffung einer neuen einheitlichen Währung im Rahmen der BRICS-Assoziation ist das, woran Russland und der Iran derzeit intensiv arbeiten.“
Konkretere Details werden „bald“ präsentiert, so Jalali damals. Die politische Führung im Iran beabsichtige – ähnlich wie der russische Präsident Wladimir Putin – der Vorherrschaft des US-Dollars auf den Weltmärkten „ein Ende zu setzen“.
Diese ersehnte Dedollarisierung ist aber nicht in Sicht. Die BRICS-Staaten konnten sich in Kasan nur zu einer lauwarmen Erklärung durchringen, dass man eine Reform des internationalen Finanzsystems begrüßen würde. Im Papier werden grenzüberschreitende Zahlungssysteme gelobt und alternative Versicherungs- und Verrechnungssysteme erwähnt. Ausdrücklich wird das Zahlen in lokalen Währungen anstelle des Dollars begrüßt. Konkret wird es im Papier allerdings nicht. Wirkliche Alternativen zu westlichen Zahlungsinstituten sind offenbar nicht in Sicht.
Wie schwer der Handel mit lokaler Währung sein kann, zeigt sich gerade am Beispiel von Indien. Für russisches Öl und Gas zahlt das Land gerade in Rupien. Russland hat allerdings Probleme mit der Verwendung der indischen Rupie, da ein Handelsungleichgewicht besteht: Indien importiert mehr russische Güter als umgekehrt.
Das führt dazu, dass Russland mehr Rupien ansammelt, als es für den Kauf indischer Waren ausgeben kann. Die Rupie ist zudem international wenig handelbar, was ihre Nutzung außerhalb Indiens einschränkt. Zudem erschweren Indiens Kapitalverkehrskontrollen und der begrenzte Rückumtausch von Rupien in andere Währungen die Verwendung.
Bei Frage von Krieg und Frieden gespalten
In Fragen von Krieg und Frieden sind die BRICS-Staaten gespalten. Die geopolitische Rivalität zwischen China und Indien verhindert eine engere Zusammenarbeit im Bündnis.
Zwar haben beide Länder kurz vor Beginn des Gipfels ihre seit fünf Jahren anhaltenden Grenzstreitigkeiten in Ladakh beigelegt, der Konflikt dürfte aber noch lange nicht vom Tisch sein.
Der Grenzstreit in Ladakh zwischen Indien und China betrifft die Kontrolle über umstrittene Hochgebirgsregionen entlang der Line of Actual Control (LAC), insbesondere Aksai Chin. Dieser Konflikt geht auf historische Grenzstreitigkeiten zurück und eskalierte 1962 im Sino-Indischen Krieg, bei dem China Aksai Chin eroberte. Seitdem gab es immer wieder Spannungen, zuletzt im Juni 2020, als blutige Gefechte im Galwan-Tal stattgefunden hatten.
Die Region ist strategisch wichtig, da Aksai Chin Tibet mit Xinjiang verbindet. Trotz diplomatischer Bemühungen zur Deeskalation bleibt die Lage angespannt und die Region stark militarisiert, was den Konflikt weiterhin gefährlich macht.
Wladimir Putin hatte möglicherweise auch auf Unterstützung für seinen Krieg in der Ukraine gehofft. Am Ende wurde er aber enttäuscht. In ihrer Abschlusserklärung fordern die BRICS-Länder, dass alle Staaten im Einklang mit der UN-Charta handeln. Sie begrüßen „relevante Vorschläge“ zur Beendigung des Krieges.
Klare Ansage aus China: Keine Provokation
Auch wenn das in Russland möglicherweise als Aufruf an die Ukraine interpretiert werden könnte, die Waffen niederzulegen, betont die UN-Charta, dass kein Staat einen anderen Staat angreifen oder annektieren darf.
Die BRICS-Staaten wollen sich nicht hinter Russlands Krieg stellen, geschweige denn in ihrer Erklärung absegnen, dass Nordkorea nun, wie unterschiedliche Quellen berichten, eigene Soldaten in die besetzten ukrainischen Gebiete sendet. Chinas Präsident Xi Jinping warnte am Mittwoch Russland und Nordkorea ganz offen: „Wir müssen drei Prinzipien respektieren: keine Ausweitung des Schlachtfelds, keine Eskalation der Kämpfe und keine Provokationen von einer der beiden Seiten.“
Auch der indische Regierungschef Narendra Modi betonte während des Treffens, dass er alle Anstrengungen unterstütze, „um schnell wieder Frieden und Stabilität herzustellen“.
Wenn man sich vor den Kameras auch freundschaftlich umarmt, brodelt es im Hintergrund. Man setzt Putin nicht die Pistole auf die Brust, stupst ihn aber vernehmbar an, um offenbar etwas Druck auf Moskau auszuüben.
Für die chinesische Führung stellt der Krieg in erster Linie ein Hindernis für die Weltwirtschaft dar. Chinas eigene wirtschaftliche Lage ist derzeit nicht rosig. Die Wirtschaft wächst so langsam wie seit Anfang 2023 nicht mehr.
Auch für China ist es entscheidend, den richtigen „Ausstiegspunkt“ in diesem Konflikt zu finden, da Putins militärische Erfolge für Xi nur so lange von Vorteil sind, wie er selbst erfolgreich bleibt.
Einigkeit herrscht bei den BRICS-Ländern nur in einem Punkt: Alle BRICS-Staaten lehnen westliche Sanktionen ab, da sie entweder direkt betroffen sind (wie Russland und China) oder sich potenziell bedroht fühlen.
Totales politisches Versagen des Westens
Der BRICS-Gipfel in Kasan setzte vor allem auf Symbolpolitik und das Demonstrieren von Stärke. Greifbare Ergebnisse gab es auf dem Gipfel am Ende nicht. Allerdings wäre es fatal, wenn der Westen nun daraus schlussfolgerte, man habe es beim BRICS-Bündnis mit einem Scheinriesen zu tun.
Im Interview mit der „Wirtschaftswoche“ geht der Geoökonom Heribert Dieter hart mit dem Westen ins Gericht und spricht von einem „totalen politischen Versagen des Westens“. Der Westen habe „weder eine geopolitische noch eine geoökonomische Strategie“.
Bemerkenswert sei, dass immer mehr Staaten dem Bündnis beitreten wollen, was eine institutionelle Eigendynamik entwickeln könnte. Das sei „eine potenziell bedrohliche Entwicklung für den Westen“.
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