Brandbrief an den Kanzler: Vereine und Stiftungen fürchten um ihre Gemeinnützigkeit

Eine aktuelle Diskussion um die Auslegung der Gemeinnützigkeit schlägt hohe Wellen bis ins Bundeskanzleramt. Dorthin sandten über einhundert Vereine und Stiftungen einen Brandbrief, weil sie um ihre Gemeinnützigkeit fürchten. Eine Analyse.
Titelbild
Das Bundeskanzleramt in Berlin.Foto: fermate/iStock
Von 25. Juni 2024

Gemeinnützigkeit ist im Wesentlichen ein gesetzlich verankerter steuerlicher Vorteil überwiegend für Vereine und Stiftungen. Es geht also um Steuervergünstigungen. Festgeschrieben wurde das Gemeinnützigkeitsrecht in der Abgabenordnung unter § 52 „Gemeinnützige Zwecke“.

Was förderwürdig ist, wird hier aktuell in 26. Punkten aufgelistet. Die Förderung von Sport, von Wissenschaft und Forschung wird hier ebenso genannt wie etwa die Förderung des Tierschutzes und der Lebensrettung.

Unter Punkt 23 beispielsweise werden gleich eine ganze Reihe förderwürdiger Anliegen zusammengefasst:

„Die Förderung der Tierzucht, der Pflanzenzucht, der Kleingärtnerei, des traditionellen Brauchtums einschließlich des Karnevals, der Fastnacht und des Faschings, der Soldaten- und Reservistenbetreuung, des Amateurfunkens, des Freifunks, des Modellflugs und des Hundesports.“

Was Vereine und Stiftungen, die von Gemeinnützigkeit profitieren, nicht dürfen, ist, sich politisch zu aktivieren. Nach § 52 Absatz 1 muss die Tätigkeit immer darauf gerichtet sein, „die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern.“

In einem Brandbrief an den Bundeskanzler haben jetzt über einhundert Vereine und Stiftungen ihre Sorge zum Ausdruck gebracht, dass die AfD erfolgreich gerichtlich gegen Sie vorgeht mit dem Ziel, dass ihnen die Gemeinnützigkeit aberkannt wird.

Die Zivilgesellschaft ist gefragt

Im „Appell“ genannten Brandbrief ist von einer „Verunsicherung in weiten Teilen der Zivilgesellschaft“ die Rede. Als „Zivilgesellschaft“ betrachten sich hier die gemeinnützigen Vereine und Stiftungen, die um ihre Gemeinnützigkeit fürchten, „gerade angesichts des aktuell gebotenen Engagements für Demokratie“, wie sie selbst schreiben.

Wörtlich geht es um das politische Engagement dieser gemeinnützigen Körperschaften:

„Bislang bleibt es im Ermessen der jeweiligen Finanzbehörde, wie weit sich steuerbegünstigte Körperschaften im Rahmen ihrer gemeinnützigen Zweckverwirklichung auch politisch engagieren dürfen, ohne dabei die Aberkennung ihrer Steuerbegünstigung zu riskieren.“

Der Brandbrief fordert weiter, „dass sich zum Beispiel der Sport- oder der Musikverein an einer Anti-Rassismus-Demonstration beteiligen kann“ oder gemeinnützige Vereine auch zu einer Klimaschutzdemonstration aufrufen dürfen.

Schon 2015 hatten sich 200 Vereine überwiegend aus dem linken politischen Spektrum unter dem Slogan „Zivilgesellschaft ist gemeinnützig“ zu einer „Allianz“ zusammengetan, um dafür zu werben, dass politisches Engagement und Gemeinnützigkeit kein Widerspruch sein dürfen.

Anfang des Jahres fragte diese Allianz in einem Artikel auf ihrer Website: „Dürfen Vereine gegen Rechtsextremismus demonstrieren?“

Hier wird auch auf eine Änderung von 2022 im Anwendungserlass zur Abgabenordnung hingewiesen. Dort heißt es seitdem:

„In Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist es nicht zu beanstanden, wenn eine steuerbegünstigte Körperschaft außerhalb ihrer Satzungszwecke vereinzelt zu tagespolitischen Themen Stellung nimmt (z. B. ein Aufruf eines Sportvereins für Klimaschutz oder gegen Rassismus).“

Frage nach parteipolitischer Neutralität

Davon rechtlich unberührt bleibt aber weiterhin, dass politische Zwecke nicht zu den gemeinnützigen Zwecken im Sinne des § 52 AO zählen. Parteipolitische Betätigung bleibt unvereinbar mit der Gemeinnützigkeit. Zwar darf eine gemeinnützige Körperschaft auf die politische Meinungs- und Willensbildung und die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluss nehmen, sie muss dabei allerdings parteipolitisch neutral bleiben. Aber ist das in der Praxis überhaupt möglich?

Das Problem ist schon länger bekannt und war für die Ampelparteien auf eine Weise von Bedeutung, dass sie 2021 in ihren Koalitionsvereinbarungen festgeschrieben hatten, sich der Lösung dieses Problems anzunehmen und dafür zu sorgen, dass ein bestimmtes politisches Engagement nicht automatisch auf Kosten der Gemeinnützigkeit geht. Im Koalitionsvertrag hieß es dazu wörtlich:

„Wir modernisieren das Gemeinnützigkeitsrecht, um der entstandenen Unsicherheit nach der Gemeinnützigkeitsrechtsprechung des Bundesfinanzhofes entgegenzuwirken und konkretisieren und ergänzen gegebenenfalls hierzu auch die einzelnen Gemeinnützigkeitszwecke.“

Dieser Absatz in der Koalitionsvereinbarung bezieht sich auf ein Urteil des Bundesfinanzhofes gegen die globalisierungskritische Organisation Attac, der 2019 wegen politischer Kampagnen die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde.

Ein Verlust der Gemeinnützigkeit führt primär dazu, dass keine Spendenbescheinigungen mehr ausgestellt werden dürfen. In der Folge können Spender ihre Zuwendungen nicht mehr bei der Steuer absetzen und haben damit womöglich eine geringere Spendenmotivation. Zudem bedeutet der Verlust der Gemeinnützigkeit einen herben Imageschaden.

Im Koalitionsvertrag heißt es weiter:

„Wir wollen gesetzlich klarstellen, dass sich eine gemeinnützige Organisation innerhalb ihrer steuerbegünstigten Zwecke politisch betätigen kann, sowie auch gelegentlich darüber hinaus zu tagespolitischen Themen Stellung nehmen kann, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden.“

Wer fordert, muss auch fördern

Vereinfacht gesagt geht es hier darum, dass Vertreter der Ampelparteien Vereine und Stiftungen immer wieder konkret dazu auffordern, sich politisch zu betätigen, aber bisher keine Rechtssicherheit geschaffen haben, dass sie damit nicht ihre Gemeinnützigkeit gefährden.

So ist beispielsweise die Antonio Amadeu Stiftung als gemeinnützig anerkannt, aber gleichzeitig sitzt Geschäftsführer Timo Reinfrank gemeinsam mit der grünen Familienministerin Lisa Paus in einer Pressekonferenz, die über ein Treffen „im Kampf gegen Rechtsextremismus“ berichtet. Auf besagter Pressekonferenz wandte sich die Ministerin an die AfD, freilich ohne die Partei beim Namen zu nennen: „Wir dürfen unser Land nicht denjenigen überlassen, die gegen Menschen hetzen und die aus Menschenverachtung Politik machen wollen!“

Zentrale Frage also auch hier: Ist die auf dieser Pressekonferenz aufgestellte Forderung nach einer „wehrhaften Demokratie“ und „für gelebte Vielfalt und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft“ eine politische Forderung oder ist es keine?

Die AfD nutzt Neutralitätsgebot für Anzeigenflut

Die Tageszeitung „taz“, die von der größten Online-Enzyklopädie als grün-links und linksalternativ beschrieben wird, schrieb zum Brandbrief, das Neutralitätsgebot für gemeinnützige Vereine habe sich zuletzt die AfD zunutze gemacht.

Die öffentlich-rechtliche „Tagesschau“ titelte: „Gemeinnützige Organisationen im Fadenkreuz der AfD.“ Ein Beispiel des Vorgehens der AfD gegen die Gemeinnützigkeit bestimmter Organisationen sei eine Anzeige beim Finanzamt gegen den Verein „München ist bunt“.

Ein Vorwurf der anzeigenden AfD: Der Verein richte sich mit seinem Engagement fast ausschließlich gegen die AfD und ihre Aktivitäten. Gemeinnützige Körperschaften seien jedoch zu Parteineutralität verpflichtet.

Der Appell an den Bundeskanzler und die Bundesminister endet mit der Feststellung der Autoren, dass das zivilgesellschaftliche Engagement „für eine lebendige Demokratie und damit für ein vielfältiges und lebenswertes Land“ derzeit so wichtig sei, „wie vermutlich noch nie seit Gründung der Bundesrepublik.“ Ist das eine politische Forderung?



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion