Baerbocks Chancen im Nahen Osten
Das Auswärtige Amt nennt die achte Reise der Außenministerin in die Region seit dem brutalen Angriff der palästinensischen Terrororganisation Hamas eine „Pendeldiplomatie“.
Dieser Begriff wurde geprägt durch den einstigen US-Außenminister Henry Kissinger, der im April und Mai 1974 vier Wochen lang ununterbrochenen im Nahen Osten hin- und herreiste, um nach dem Jom-Kippur-Krieg von 1973 die Konfliktparteien zu einer Friedenslösung zu bewegen.
Das tut Baerbock nicht. Insofern ist der Begriff „Pendeldiplomatie“ ihres Ministeriums falsch und der Vergleich mit Kissinger ohnehin zu hoch gegriffen. Was dennoch bleibt, ist das standhafte Bestreben der Außenministerin, dass Deutschland zur Lösung des verhärteten Nahost-Konflikts beitragen sollte.
Denn schließlich ist „die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson“, heißt es im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung. Dann ist es nur konsequent, wenn dieser selbst gegebene Auftrag auch ausgeführt wird.
Baerbocks Klartext
Die deutsche Außenministerin ist durch ihr Auftreten weltweit bekannt. Die Großmacht China hat schon häufig ihre scharfzüngige Kritik zu spüren bekommen. Damit geniest sie ein Alleinstellungsmerkmal. Außerhalb der USA gibt es keinen Politiker, der gegenüber autoritären Regimen so deutlich Klartext redet, wie sie.
Weichgespülte Diplomatensprache ist im Nahen Osten ohnehin fehl am Platz. Dort ist unmissverständliche Sprache an der Tagesordnung – wie man täglich alleine schon in arabischen TV-Sendungen sehen kann.
Das wird in Deutschland oft missverstanden. Baerbock reiste dieses Mal nach Israel, ins palästinensische Westjordanland und nach Beirut, weil sie für jeden ihrer Gesprächspartner unangenehme Wahrheiten im Gepäck hatte. Dass sie in neun Monaten achtmal in der Region Gehör findet, spricht für sie.
Auch wenn sich mancher ihrer Gesprächspartner – wie etwa der konservative israelische Premier Benjamin Netanyahu – nach der Zusammenkunft mit ihr im April empört zeigte.
Neuer Anlauf für Zweistaatenlösung
Empörung gab es dieses Mal keine. Vielmehr aufmerksames Zuhören. Vielleicht auch deshalb, weil der Krieg im Gaza-Streifen nicht in ihrem Fokus lag. Die Außenministerin warb in Israel für den dort unbeliebten Plan des US-Präsidenten Joe Biden. Dieser sieht eine dauerhafte Waffenruhe im Gaza-Streifen vor.
Der mehrstufige Plan zeige einen „klaren Weg, um dauerhafte Sicherheit aufzubauen“, sagte Baerbock am Montag bei der jährlichen Herzlija-Sicherheitskonferenz in Tel Aviv, die gemeinsam vom Institut für Politik und Strategie und der Reichman-Universität ausgerichtet wird.
Video: In Jerusalem gab es einen Großbrand. Behörden vermuten, dass die Brände durch Molotow-Cocktails ausgelöst wurden, die aus dem nahe gelegenen palästinensischen Viertel Issawiya geworfen wurden. Ein Sprecher der IDF sagte, es bestehe der Verdacht, dass das Feuer absichtlich gelegt worden sei.
Aber auch sie selbst hatte Vorschläge im Diplomatenkoffer: Einen erneuten Anlauf für die Zweistaatenlösung, die seit 1991 mehrfach im Gespräch war. Neben Israel soll es demnach auch einen international anerkannten Staat Palästina geben.
„Dauerhafte Sicherheit für alle Israelis wird nur möglich sein, wenn es dauerhafte Sicherheit für die Palästinenser gibt. Und gleichzeitig: Dauerhafte Sicherheit für die Palästinenser wird nur möglich sein, wenn es dauerhafte Sicherheit für die Israelis gibt“, mahnte Baerbock in ihrer Rede und warnte insbesondere Israel vor einem „endlosen Krieg“, wenn nicht endlich eine Lösung für den mehr als 70 Jahre andauernden Konflikt gefunden werde.
Vertreibungen im Westjordanland
Am Dienstag führte die Grünen-Politikerin Gespräche im palästinensischen Autonomie-Gebiet, dem sogenannten Westjordanland. In der „Hauptstadt“ Ramallah, in der die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) regiert, traf sie sich mit dem PA-Ministerpräsidenten Mohammed Mustafa. Angesprochen wurde nach Angaben des Auswärtigen Amts ein Reformprozess, dem sich die PA unterziehen müsse.
Hierzu sei es nach den Worten Baerbocks nötig, die künftige Rolle der PA zu definieren. Wenn es das Ziel sei, dass die PA nach der Beseitigung der Hamas die Rolle der legitimen Regierungsbehörde auch in Gaza übernehmen soll, müsse diese auch in die Lage versetzt werden, sich durchzusetzen. Dazu zählen laut Baerbock palästinensische Polizei- und Sicherheitskräfte.
Kritisch äußerte sich die Ministerin über die zunehmende Spannung zwischen Palästinensern und jüdischen Siedlern im Westjordanland. Berichte über die Vertreibung von Palästinensern durch Siedler, die sie als „illegal“ bezeichnete, sowie der jüngste Vorfall, bei dem ein palästinensischer Angreifer auf die Motorhaube eines israelischen Militärfahrzeuges gefesselt worden sein soll, seien „verstörend“.
Der Horror der Hamas
In Jerusalem traf die Außenministerin ihren israelischen Amtskollegen Israel Katz. Mit ihm sprach sie laut ihres Ministeriums „vor allem über die katastrophale humanitäre Lage in Gaza sowie über die Bemühungen um die Freilassung der verbliebenen Geiseln“.
Seit mehr als acht Monaten hält die Hamas mehr als 100 israelische Frauen, Männer und Kinder weiterhin in ihren Tunneln gefangen. Baerbock traf zudem erneut mit Angehörigen der Entführten zusammen.
Auch Deutschland war vom Hamas-Terror betroffen: Der Tod der Deutschen Shani Louk beim Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober bewegte viele Menschen. Ihre Leiche wurde erst im Mai dieses Jahres von der israelischen Armee im Gaza-Streifen gefunden.
Libanon: „brandgefährlich“
Am späten Dienstagnachmittag flog Baerbock weiter nach Beirut, um sich mit Libanons Ministerpräsident Najib Mikati zu beraten. Die zunehmenden Spannungen an der Grenze zwischen Israel und der vom Iran ferngesteuerten Hisbollah-Miliz im Libanon nannte die Ministerin unmittelbar vor ihrer Reise am Rande des EU-Außenministertreffens in Luxemburg am Montag „mehr als besorgniserregend“.
Mit hocheffektiven iranischen Drohnen und Raketen destabilisiert die Hisbollah die gesamte Region unter dem Vorwand, „die gerechte Sache der Hamas“ im Gaza-Streifen zu unterstützen. Zahlreiche Gebiete im Süden des Libanon, darunter Landwirtschaftsflächen, sind durch die Miliz-Aktivitäten verwüstet.
Zehntausende Menschen wurden auf beiden Seiten durch die Kampfhandlungen vertrieben. Zudem befindet sich der Libanon seit Jahren in einer desaströsen wirtschaftlichen Lage und die politischen Parteien blockieren sich gegenseitig. Auch hier spielt die Hisbollah, die auch eine politische Partei ist, eine zerstörerische Rolle.
Eine militärische Eskalation hätte katastrophale Folgen für das Land und die gesamte Region, warnt etwa der Nahostkenner und Islamwissenschaftler Guido Steinberg.
Die Ministerin äußerte sich am späten Abend in Beirut vor der Presse: „Die Situation an der Grenze zwischen Israel und Libanon ist brandgefährlich.“ Alle, die Verantwortung trügen, müssten daher „äußerste Zurückhaltung walten lassen“, forderte die Ministerin nach ihrem Gespräch mit Mikati.
Und sie forderte: „Vor allen Dingen muss die Hisbollah aufhören, Israel zu beschießen. Das mache ich bei meinem Besuch in Beirut deutlich.“ Offensichtlich mit Blick auf den Iran fügte die Ministerin hinzu: „Ich mache es auch deutliche gegenüber denjenigen, die die Hisbollah in der Vergangenheit unterstützt haben, die Hisbollah weiterhin unterstützen, weil sie offensichtlich ein Interesse an einer weiteren Eskalation in der Region haben.“
Baerbock bleibt konfrontativ
Da blitze es wieder auf, die klare Ansage an „die Bösen dieser Welt“. Die deutsche Außenministerin nimmt kein Blatt vor den Mund. Das mag im In- und Ausland vielen nicht passen. Es passt aber in unsere Zeit. Denn allzu lange war in der deutschen Außenpolitik – angefangen mit Hans-Dietrich Genscher (FDP) bis zu Frank-Walter Steinmeier (SPD) – die sprachliche Zurückhaltung eine Tugend.
Genau diese hat jedoch wesentlich dazu beigetragen, dass sich Deutschland heute außenpolitisch in einer schwierigen Lage befindet – auch was Russland anbelangt. An der engagierten Nahost-Reisediplomatie der Außenministerin ist abzulesen, dass sie sich darin verbissen hat, zu einer Friedenslösung beizutragen. Kritiker mögen darin reines Wahlkampfkalkül Baerbocks vermuten.
Auszuschließen ist das nicht, aber mit ihren bewussten direkten Worten nimmt sie auch in Kauf, nicht jedem Wähler wohlfeil nach dem Mund zu reden. Und es steht Deutschland gut an, gerade im Konflikt zwischen Israel und arabischen Kontrahenten zu vermitteln.
Über den Autor:
Tom Goeller ist Journalist, Amerikanist und Politologe. Als Korrespondent hat er in Washington, D.C. und in Berlin gearbeitet, unter anderem für die amerikanische Hauptstadtzeitung „The Washington Times“. Seit April 2024 schreibt er unter anderem für die Epoch Times.
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