Armut – eine Gefahr für die Demokratie?
Die Studie einer gewerkschaftsnahen Stiftung ermittelte einen Zusammenhang zwischen Armut und einem damit verbundenen sinkenden Vertrauen in die Demokratie. Gibt es eine solche Korrelation zwischen Einkommenshöhe und geringem Vertrauen in staatliche und demokratische Institutionen?
Und kommt die Kritik ärmerer Gesellschaftsschichten an einem nicht eingehaltenen Wohlstandsversprechen der Regierung hier zu kurz? Das ZDF berichtete im November 2022, besagtes „Wohlstandsversprechen“ sei Teil der deutschen Identität und ein „Fundament der deutschen Nachkriegsdemokratie“.
Ein Sprecher der Hans-Böckler-Stiftung teilt im Gespräch mit Epoch Times mit, die neue Studie aus seinem Hause frage wesentlich mehr ab als nur eine Haltung gegenüber der amtierenden Bundesregierung. Auch die Haltung zum Bundestag, zum Rechtssystem und weitere Institutionen des Staates wären eingeflossen.
Armut gleich Unzufriedenheit gleich Demokratieverdrossenheit: Geht dieser Dreisatz auf? Unbestritten ist, dass eine individuelle gesellschaftliche Teilhabe Geld kostet. Die Stiftung schreibt in einem einleitenden Text zur Studie:
„Insbesondere dauerhafte Armut (mindestens fünf Jahre in Folge) hat die gesellschaftliche Teilhabe schon vor der jüngsten Teuerungswelle stark eingeschränkt: Dauerhafte Arme müssen etwa deutlich häufiger auf Güter des alltäglichen Lebens wie neue Kleidung oder Schuhe verzichten, sie können seltener angemessen heizen. Und sie machen sich zudem deutlich häufiger Sorgen um ihre Gesundheit und sind mit ihrem Leben unzufriedener.“
Zudem befindet die Stiftung, dass das Gefühl, Anerkennung und Wertschätzung zu erfahren und das Vertrauen in demokratische und staatliche Institutionen stark mit dem Einkommen zusammenhänge. Ist der von Armut betroffenen Bürger enttäuscht von den Institutionen, weil er sprichwörtlich nichts mehr zu verlieren hat?
Armut und rechtspopulistische Einstellungen
Die Studie wurde vom „Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut“ der Stiftung erstellt. Diese Erhebungen werden jährlich vorgenommen und bei der Hans-Böckler-Stiftung als „Verteilungsbericht“ veröffentlicht.
Eine Grundthese der Studie hat die „Tagesschau“ in einem Zitat der Direktorin des Instituts festgehalten: „Ein geringes Institutionenvertrauen macht Menschen anfälliger für rechtspopulistische Einstellungen.“
An anderer Stelle bezeichnet Direktorin Bettina Kohlrausch Rechtspopulismus „als ein Gesellschaftsverständnis, in dem das ‚Volk‘ einer angeblich abgehobenen Elite in Politik, Medien und Justiz feindlich gegenübersteht“. Kohlrausch ist eine der beiden Autorinnen der Studie. In ihrem „Blick auf Rechtspopulismus“ aus Juni 2023 heißt es weiter:
„Während Zuwanderung radikal abgelehnt wird, erfahren demokratische Institutionen fast ebenso starke Verachtung“, so Kohlrausch. „Daraus ergebe sich ein gefährlich fruchtbarer Nährboden für Verschwörungsmythen, die während der Corona-Pandemie tiefe Wurzeln geschlagen haben.“
Die Direktorin nimmt hier direkt Bezug zur AfD. Ein weiterer Mitarbeiter der Stiftung habe ermittelt, „dass sich AfD-Wähler:innen gar nicht, wie so oft behauptet, als heimliche Mehrheit sehen oder als das ‚Volk schlechthin‘. Sie verstehen sich eher als ausgegrenzte und auserwählte Minderheit.“
Die „Frankfurter Rundschau“ titelte 2019 „Armut wählt AfD“. Der Artikel selbst klang dann allerdings ganz anders als seine Schlagzeile:
„Ihre größten West-Erfolge feiert die Partei dagegen in den reichsten Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg. Nach einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) ist die AfD – im Gegensatz zur NPD – ohnehin eher eine Partei, die viele Besserverdienende anzieht. Über ein Drittel ihrer Sympathisanten komme aus dem obersten Einkommensfünftel. Mit diesem Fakt wollte das arbeitgebernahe IW den Vorwurf entkräften, mangelnde Umverteilung sei für den Erfolg der AfD verantwortlich.“
Mehrheit der AfD-Anhänger chronisch pleite
Die Zeitung nahm hier zunächst Bezug auf Erhebungen von 2014. Neuerdings hätte sich das geändert: Zwar habe die Mehrheit der AfD-Anhänger ein unterdurchschnittliches Einkommen, aber „eine substanzielle Minderheit steht gut da“.
Im Artikel von 2019 wird auch die Hans-Böckler-Stiftung zitiert:
„Insgesamt, so die Böckler-Stiftung, seien es ‚weniger reale Entbehrungen, sondern vor allem eine Kombination aus wahrgenommenem Abstieg in der Vergangenheit und Abstiegsängsten in Bezug auf die Zukunft‘, die die AfD-Wähler kennzeichneten.“
Diese Einschätzung der Hans-Böckler-Stiftung hat sich vier Jahre später verändert. Heute sei es keine gefühlte oder erinnerte Armut mehr, sondern eine ganz reale.
Die „WSI-Report Nr. 90“ genannte Studie ist 22 Seiten lang und trägt den Titel „Einkommensungleichheit als Gefahr für die Demokratie“. Auf der Website der Hans-Böckler-Stiftung wird eine Zusammenfassung angeboten. Medienvertreter sind hier allerdings gut beraten, die Studie selbst zu lesen, vergleichbare Zusammenfassungen von Studien bilden üblicherweise die von den Studienmachern gewünschte – in diesem Fall eine gewerkschaftsnahe – Lesart ab.
Wie misst man Armut? Die Studie greift hier auf eine Armutsdefinition des SPD-nahen Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zurück („Anmerkung“ auf Seite 13). Das DIW wiederum arbeitet seinerseits mit einem externen Erhebungsinstitut, man spielt also über Doppelbande:
„Dauerhaft Arme: Das verfügbare Einkommen lag zwischen 2017 und 2021 durchgängig unter 60 Prozent des Medianeinkommens. Temporär Arme: Das verfügbare Einkommen lag 2021 unter 60 Prozent des Medianeinkommens, aber nicht durchgehend seit 2017.“
Die dazugehörigen Erhebungen des DIW sind zwei Jahre alt und Grundlage der Studie der Hans-Böckler-Stiftung für 2023. Die Studie besteht demnach im Wesentlichen aus gewerkschaftsnahen Interpretationen auf Basis von zwei Jahre alten Befragungen.
Wie wütend macht Armut?
Interpretationen der Stiftung klingen wie folgt:
„Effektive gesellschaftliche und politische Antworten auf Krisen setzen ein gewisses Maß an sozialem Zusammenhalt und Vertrauen voraus. Zu große soziale Ungleichheiten und ihre individuellen Folgen gefährden jedoch diese Grundlagen des demokratischen Systems.“
Wie zeitgemäß ist das noch? In den vergangenen Jahren wird die gesellschaftliche Situation zunehmend davon geprägt, dass Kritiker der Regierung vorhalten, die aktuellen Krisen seien hausgemacht: Die Corona-Politik kann damit ebenso gemeint sein wie die Milliardenkosten der Massenzuwanderung, die ausufernden Kosten der Energiewende und Milliardenzahlungen an Waffenhilfe für die Ukraine.
Was meinen die Studienmacher an der Stelle mit „Zusammenhalt und Vertrauen“? Und inwiefern gefährdet Kritik die „Grundlagen des demokratischen Systems“? Die Studie wirft hier mehr Fragen auf, als sie beantworten kann.
Ein Kernsatz der Studie lautet: „Besonders eine fehlende Anerkennung durch andere ist dabei ein Faktor, der in einem engen Zusammenhang mit der Unzufriedenheit mit der Demokratie insgesamt steht“. Dazu wird in der 2023er-Studie eine Quelle von 2019 angegeben. Eine weitere Irritation. Es werden, so heißt es vorab, „einige Grundüberlegungen zu sozialer Ungleichheit vorgestellt, um die Ergebnisse in den weiteren Kontext der längerfristigen Entwicklung der Ungleichheit in Deutschland einzubetten.“
Frustration und Vertrauensverlust
Für eine Bewertung dieser Studie ist es dringend angeraten, den gewerkschaftlichen Auftraggeber immer mitzudenken. Es wird ebenso Kritik am Mindestlohn geübt, an der Absenkung der Vermögenssteuer sowie an den „Hartz-Reformen“ (S. 5 der Studie).
Die Studie kommt zum Ergebnis, dass eine „eingeschränkte gesellschaftliche Teilhabe, große persönliche Sorgen und Unzufriedenheiten“ zu Frustration und einem Vertrauensverlust in politische Institutionen führen. Das gefährde wiederum „die Basis unserer Demokratie“.
Nun führen Unzufriedenheit und Armut aber auch zu wachsender Kritik etwa an der Bundesregierung, den Parteien und speziell auch an den Gewerkschaften, die für gerechte Löhne eintreten, was natürlich übersetzt bedeutet: auch gegen Armut. Diese Unterscheidung kommt in der Studie nicht zum Tragen. Daraus leitet sich die Frage ab: Ist wirklich die Demokratie gefährdet oder vielmehr die Macht der Herrschenden und hier beispielsweise auch jene der Gewerkschaften?
In der Studie heißt es weiter: „Das politische System und konkrete politische Maßnahmen sind in einer Demokratie auf die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen.“ Das allerdings kann in der Demokratie kein Selbstläufer sein. Demokratie in ihrer reinsten Form bedeutet vor allem, den Herrschenden die Macht per Abwahl auch wieder entziehen zu können.
Wenn das Bundesfamilienministerium einen hunderte Millionen schweren Fonds „Demokratie leben!“ öffnet und Nichtregierungsorganisationen (NGO) wie die Amadeu Antonio Stiftung finanziert, um die politischen Maßnahmen der Bundesregierung in die Institutionen zu tragen, dann wird hier der Begriff „Demokratie“ ganz neu interpretiert.
Ein Jungbrunnen für die Demokratie
„Tagesschau.de“ etwa fasst das Dilemma, in dem sich die Studie der Gewerkschaft befindet, so zusammen:
„Gegenüber Politikerinnen und Politikern hat demnach sogar eine Mehrheit der Armen eine erhebliche Distanz: Gut 58 Prozent der dauerhaft und fast 54 Prozent der temporär Armen sprechen von geringem Vertrauen. Auch gegenüber Parteien tun das 56 beziehungsweise knapp 54 Prozent. Allerdings äußert in beiden Fällen knapp die Hälfte der Menschen mit mittleren Einkommen ebenfalls erhebliche Skepsis.“
Das klingt dramatisch. Man könnte aber auch eine viel weniger dramatische und eine demokratienahe Antwort finden:
Wenn so viele Bürger mit der Politik unzufrieden sind, dann kann das auch Beleg für einen besonders demokratischen Geist der Unzufriedenen sein. Dann ist es sogar nachgereicht, ob diese Unzufriedenheit auf einem knurrenden Magen beruht. Dann ist es in Demokratien Zeit für einen Politikwechsel.
Nach zweimal 16 Jahren Regierungszeit mit vier Legislaturen (Helmut Kohl und Angela Merkel – beide CDU) können besonders lange Herrschaftszeiträume zu einer Demokratiemüdigkeit geführt haben. Der „Spiegel“ zitierte dazu im April 2021 den späteren CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, der befand: „So werden Parteien gezwungen, sich permanent zu erneuern“. Wäre eine solche Erneuerung ein Jungbrunnen für die Demokratie? Und idealerweise auch ein Ende der Armut?
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