Anstehende Ukraine-Friedenskonferenz von Kompromisslosigkeit überschattet

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zeigte sich in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag am 11. Juni 2024 kompromisslos und setzt auf Sieg. Da Putin auf exakt dem gleichen Standpunkt für Russland steht, ist nun klar: In der Schweiz gibt es am kommenden Wochenende bei der sogenannten Ukraine-Friedenskonferenz nichts zu verhandeln. Oder doch?
Titelbild
Schweizer Soldaten bereiten am 10. Juni 2024 einen Hubschrauberlandeplatz in Obburgen neben dem Bürgenstock Resort für den bevorstehenden Ukraine-Friedensgipfel vor.Foto: Elodie Le Maou/AFP via Getty Images
Von 12. Juni 2024

Am Wochenende, 15. und 16. Juni, berät in der neutralen Schweiz die halbe Welt darüber, wie in der Ukraine Frieden hergestellt werden könnte. So zumindest das Ziel der schweizerischen Regierung. Sie hat auf Wunsch Selenskyjs zur sogenannten Ukraine-Konferenz 160 Staats- und Regierungschefs sowie internationale Organisationen und religiöse Vertreter eingeladen – außer Russland.

Russland nicht dabei

Die schweizerische Bundespräsidentin Viola Amherd erklärt: „Russland hat schon im Vorfeld öffentlich und auch bilateral bekannt gegeben, dass es nicht teilnehmen will. Deshalb wäre eine Einladung nicht erfolgreich gewesen.“ Gegenüber dem „Schweizer Radio und Fernsehen“ fügte Amherd hinzu: „Wenn man trotzdem eingeladen hätte, dann hätte es auf ukrainischer Seite Irritationen gegeben. Wir wollten die ukrainische Seite nicht verlieren.“

Die Aussagen von Amherd bezüglich Russlands angeblicher Weigerung decken sich nicht mit früheren Äußerungen auf russischer Seite. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte in einem am 29. März veröffentlichten Interview mit der Moskauer Staatszeitung „Izvestia“ noch gesagt, er sei „mit Bern im Gespräch“ über eine Teilnahme an der Konferenz.

Seiner Meinung nach würde indes kein Friedensgipfel einen Erfolg zeitigen, wenn nicht einige Voraussetzungen geändert würden, einschließlich der Erlaubnis für Russland, daran teilzunehmen. „Wir sind auf jeden Fall bereit, Gespräche zu führen, aber nicht auf der Grundlage der ‚Friedensformel‘ des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj“, sagte Lawrow der russischen Tageszeitung.

Bürgenstock Resort über dem Vierwaldstättersee, Schweiz. Hier findet die Friedenskonferenz für die Ukraine vom 15. bis 16. Juni 2024 statt. Foto: Fabrice Coffrini/AFP via Getty Images

Alles bereits beschlossen? Propaganda oder Wahrheit?

Wie die „Berliner Zeitung“ am 11. Juni nachmittags berichtete, seien Teile der Abschlusserklärung der Friedenskonferenz, die erst am Samstag abgegeben werden soll, bereits bekannt! Zum Beispiel sei darin keine Forderung nach einem russischen Truppenabzug erwähnt.

Die „Berliner Zeitung“ beruft sich bei ihrer Meldung auf den japanischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk NHK. Dieser habe „den Entwurf der Abschlusserklärung vorab erhalten“. Darin würden nur drei Forderungen des Zehn-Punkte-Friedensplans des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj genannt: die Gewährleistung der Sicherheit der Kernkraftwerke, die Sicherstellung von ausreichend Nahrungsmitteln, die Freilassung aller Kriegsgefangenen und die Rückkehr der nach Russland verschleppten ukrainischen Kinder.

Ende Mai behaupteten russische Medien, das Ergebnis der Friedenskonferenz in der Schweiz stehe längst fest, sei an den russischen Geheimdienst geleakt worden und das russische Außenministerium verfüge über den Entwurf der Abschlusserklärung.

Während einige westliche Medien dies als Fake News und russische Propaganda abtaten, erhält diese russische Aussage von vor zwei Wochen durch die jetzige japanische Meldung eine neue Dimension. Wird in der Schweiz gemauschelt? Lassen 90-plus Staatschefs und Delegationsleiter, die noch nicht einmal angereist sind, so etwas mit sich machen?

Ziel: Zweite Konferenz mit Russen

Ziel des Friedensgipfels in einem Resort auf dem Bürgenstock, einem Berg hoch über dem Vierwaldstättersee bei Luzern, ist laut einer amtlichen Erklärung des Schweizer Bundesrats, „Wege zu einem umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden für die Ukraine auf der Grundlage des Völkerrechts und der UN-Charta“ zu diskutieren.

Ein weiteres Ziel des Treffens sei es, „gemeinsam einen Fahrplan“ zu definieren, um sowohl Russland als auch die Ukraine in einen künftigen Friedensprozess einzubinden. Dies bestätigte auch Bundespräsidentin Amherd: „Die Idee ist, dass es eine zweite Konferenz gibt mit beiden Parteien.“

China ziert sich

Inzwischen steht fest, dass nur 90 Staaten und Organisationen teilnehmen werden. Hinzu kommen einige Wackelkandidaten: Mit Südafrika und China würden derzeit immer noch Gespräche über deren Teilnahme geführt, sagte Amherd.

Mit China werde man „bis zum letzten Tag“ verhandeln. Auch mit Südafrika sei die Schweiz weiterhin im Gespräch. Brasilien, das gemeinsam mit China einen Friedensplan vorgestellt hatte, bleibt nach derzeitigem Stand der Konferenz fern.

Indien habe zugesagt. Aufgrund der kürzlich erfolgten Wahl sei indes noch unklar, auf welcher Ebene die indische Delegation anreisen werde.

„Brotkorb der Welt“: Warum die halbe Welt teilnimmt

Der Schweiz war es von Anfang an wichtig, dass nicht nur westliche Länder an dem Ukraine-Gipfel teilnehmen, sondern auch afrikanische Staaten, die nahezu allesamt vom Krieg mittelbar betroffen sind.

Neven Mimica, der „Goodwill-Botschafter“ der von Selenskyj 2022 ins Leben gerufenen Initiative „Getreide von der Ukraine“, mahnte etwa am 10. Juni in einem Beitrag für „Euronews“, dass sich nicht alle Entscheidungsträger bewusst seien, dass die Ukraine eine entscheidende Rolle bei der globalen Ernährungssicherheit spielt.

Die Ukraine sei mit ihrer Getreideproduktion gewissermaßen der „Brotkorb der Welt“. Seit der russischen Invasion seien jedoch die Lieferketten unterbrochen worden. Dadurch seien „mindestens 70 Millionen Menschen weltweit an den Rand des Hungers“ gebracht worden.

Als jüngstes drastisches Beispiel führte Mimica Nigeria an. Dort würden 4,4 Millionen Menschen an „Ernährungsunsicherheit leiden“. Die Ukraine habe im Februar eine Lieferung von 25.000 Tonnen Getreide nach Nigeria geliefert, um die Gefahr einer Hungersnot einzudämmen.

Für die Ukraine-Konferenz liegt eine Reihe von „Friedensplänen“ auf dem Tisch, deren Kernpunkte im Vorfeld bekannt gegeben wurden und die teilweise mehr als ein Jahr alt sind. Es handelt sich im Wesentlichen um Forderungen, wie ein Waffenstillstand erreicht werden könnte, als Vorstufe zu Friedensverhandlungen.

Ukraine-Plan

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat am 11. Juni 2024 vor dem Deutschen Bundestag sein ultimatives Friedensziel für die Ukraine deutlich zum Ausdruck gebracht: „Wir werden diesen Krieg nicht an unsere Kinder vererben. Wir werden diesen Krieg zu unseren Bedingungen beenden.“

Und er betonte: Die Ukrainer „verdienen eine Beendigung des Krieges, die keinen Zweifel darüber lässt, wer gesiegt hat“. Auf die Nachkriegsteilung Deutschlands anspielend machte Selenskyj zudem deutlich, dass für ihn eine Teilung der Ukraine nicht infrage komme. Die Ukraine werde „alles tun, um eine Mauer zwischen Teilen unseres Landes zu verhindern“, sagte der ukrainische Präsident in Berlin.

Bereits am 11. August 2023 hatte Selenskyj seinen Zehn-Punkte-Plan vorgestellt. Darin zählt er alle Probleme auf, die aus seiner Sicht gelöst werden müssen: Es soll sichergestellt werden, dass es nicht zu einem Atomwaffenkrieg kommt, sowie die Sicherstellung von ausreichend Nahrungsmitteln und Strom, die Freilassung aller Kriegsgefangenen, Wiederherstellung der territorialen Integrität, Rückzug der russischen Truppen, Sühne von Kriegsverbrechen, Schutz der Umwelt, Sicherheitsgarantien und schließlich einen von beiden Seiten unterzeichneten Vertrag über die Beendigung des Krieges.

Russland-„Plan“

Aus Russland sind bisher nur öffentliche Äußerungen bekannt. Kreml-Sprecher Dimitri Peskow etwa hatte Ende Mai bekannt gegeben, der russische Präsident Wladimir Putin habe wiederholt seine Bereitschaft zu einem Waffenstillstand und darauffolgende Verhandlungen mit der Ukraine erklärt.

Allerdings machte Peskow deutlich, dass die bereits annektierten Gebiete – darunter die 2014 annektierte Krim – sowie jene, die noch „durch die militärischen Spezialoperationen“ hinzukämen, nicht verhandelbar seien. Mit anderen Worten: Putin erhebt bei Friedensverhandlungen sogar Anspruch auf Regionen, die noch nicht von russischen Truppen erobert worden sind.

Außenminister Lawrow wurde Anfang April in der „Moskau Times“ zitiert, dass bei Friedensverhandlungen zudem eine „neue Weltordnung“ entstehen müsse. Die „Vorherrschaft der USA“ müsse beendet werden.

Peking-Plan

Lawrows Äußerungen decken sich eins zu eins mit einigen von den im Februar 2023 veröffentlichten zwölf Punkten Pekings. Auf vielfaches Drängen hin, auch seitens Deutschlands, hat Peking diesen Plan erstellt. Darin verlangt das kommunistische Regime in Peking unter anderem die Respektierung der „Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Integrität aller Länder“.

Dieser Punkt könnte sich explizit gegen Russland richten. Allerdings vermeidet Peking, zu definieren, welchen Grenzverlauf es meint, und spielt hier nach Meinung einiger China-Experten auch auf Taiwan an, das für Peking zur VR China gehört. Weiterhin fordert Peking die „Abkehr von der Mentalität des Kalten Krieges“ und meint damit die USA. Denn China unterstellt den USA, eine Mitschuld an dem Ausbruch und der Eskalation des Krieges in der Ukraine zu haben.

Nach einem Waffenstillstand und Friedensgesprächen bietet China sodann umfangreiche wirtschaftliche Förderungen beim Wiederaufbau der Ukraine an. Auch hebt der Zwölf-Punkte-Plan hervor, dass ein Atomwaffeneinsatz inakzeptabel sei und die Getreidelieferungen aus der Ukraine in alle Welt möglich sein müssten. Ungarn ist das einzige EU- und NATO-Land, das diesen Plan unterstützt.

Zu Pekings möglichen Eigeninteressen bei dem Zwölf-Punkte-Plan hat sich im vergangenen Jahr in der US-Vierteljahreszeitschrift „Foreign Policy“ Jo Inge Bekkevold geäußert, einer der führenden europäischen China-Experten vom Norwegischen Institut für Verteidigungsstudien. Er kritisiert, China würde damit versuchen, „sich beim Wiederaufbau der Nachkriegsukraine zu positionieren“, verfolge in erster Linie wirtschaftliche Eigeninteressen und würde damit sein „Gesamtengagement mit Europa stärken“. Deshalb sei „Chinas Friedensplan kein Friedensplan“, noch nicht einmal eine „Roadmap für den Frieden“.

Im Mai 2024 schloss sich das „blockfreie“ Brasilien in weiten Teilen der chinesischen Initiative an, sodass es nun außerdem den sogenannten China-Brasilien-Friedensplan gibt, der im Wesentlichen jedoch dem Original entspricht.

Beide Länder, Brasilien und China, verweigern derzeit die Teilnahme an der Konferenz in der Schweiz, weil Russland nicht eingeladen ist. Sie gehen dennoch davon aus, dass ihr politisches Gewicht groß genug ist, dass der von ihnen vorgelegte Friedensplan auch bei Abwesenheit nicht ignoriert werde.

Fazit: Ob tatsächlich alle im Vorfeld bekannt gewordenen „Friedenspläne“ auf dem Bürgenstock binnen zwei Tagen am kommenden Wochenende diskutiert werden, wissen noch nicht einmal die gastgebenden Schweizer. Und auf beiden Seiten der Kriegsparteien ist nach wie vor eine maximale Verhärtung der Positionen erkennbar. Denn es gibt keine Großmacht oder Staatengruppe, die einen oder beide Kontrahenten derart unter Druck setzen kann oder will, dass ein Kompromiss zustande kommen könnte.

Laut Amherd steht lediglich fest, dass es eine zweite Friedenskonferenz geben soll. Die Schweiz stellt sich zumindest darauf ein.

 

Über den Autor:

Tom Goeller ist Journalist, Amerikanist und Politologe. Als Korrespondent hat er in Washington, D.C. und in Berlin gearbeitet, unter anderem für die amerikanische Hauptstadtzeitung „The Washington Times“. Seit April 2024 schreibt er unter anderem für die Epoch Times.



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