Aiwanger in der Erfolgsspur: Vier statt drei Ministerien ausverhandelt

Der neue Koalitionsvertrag der CSU und der Freien Wähler ist unterzeichnet. Nach dem schwierigen Wahlkampf war es Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger gelungen, ein viertes Ministerium herauszuschlagen und das Thema „Wölfe“ in sein eigenes Ressort zu holen.
Klaus Holetschek (r, CSU), Fraktionsvorsitzender der CSU im bayerischen Landtag, und Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, zum Start der Koalitionsgespräche zwischen CSU und Freien Wählern.
Archivbild: Markus Söder (CSU), der alte und neue Ministerpräsident von Bayern und sein Fraktionschef Klaus Holetschek beim Auftakt der Koalitionsgespräche 2023.Foto: Sven Hoppe/dpa
Von 28. Oktober 2023

Markus Söder (CSU) und Hubert Aiwanger (Freie Wähler, FW) haben am Donnerstag, 26. Oktober, bei ihrem ersten gemeinsamen Auftritt seit Beginn der Koalitionsverhandlungen ihren neuen Koalitionsvertrag unterzeichnet. Unter dem Motto „Freiheit und Stabilität“ wollen der Ministerpräsident und sein Stellvertreter nun bis 2028 gemeinsam die Geschicke Bayerns leiten.

Beide Seiten brauchten nur zwei Wochen, um sich auf die Kernpunkte des 85-seitigen Papiers zu einigen. Alle Versprechen aus dem Wahlkampf würden darin „eins zu eins“ umgesetzt, hatte Söder nach Informationen des „Münchener Merkur“ versichert.

Söder spricht von „neuem Vertrauen“

„Wir haben neues Vertrauen zueinander gefasst, sodass wir mit gutem Gewissen und voller Überzeugung die neue Staatsregierung bilden können“, erklärte der alte und neue Regierungschef Söder in Anspielung auf den mit harten Bandagen geführten Wahlkampf, bei dem insbesondere Aiwanger wegen einer vermeintlichen Jugendsünde schwer unter Druck geraten war (Video auf „Handelsblatt.de“)

Doch die Querelen hatten am Ende weder Aiwanger noch seiner Partei großen Schaden zugefügt. Im Gegenteil gelten die Freien Wähler für viele Beobachter als die großen Gewinner im politischen Bayern. Und das nicht nur, weil die Partei bei der Landtagswahl am 8. Oktober 3,9 Prozentpunkte mehr als vor fünf Jahren geholt hatte und am Ende bei 15,8 Prozent stand, während die CSU praktisch auf der Stelle getreten war (37,0 Prozent/minus 0,2 Punkte). Denn die Freien Wähler können mit dem Hoffnungsträger und Aiwanger-Vertrauten Dr. Fabian Mehring (34) nun einen Staatsministerposten mehr besetzen als in der vergangenen Legislatur.

Digitalministerium für die Freien Wähler

Mehring soll nach Informationen der „Welt“ Chef des neu zugeschnittenen Digitalministeriums werden. Bisher habe der „Politikwissenschaftler mit Lehrauftrag für Politik und internationale Beziehungen an der Universität Augsburg“ als parlamentarischer Geschäftsführer der FW-Landtagsfraktion gearbeitet.

Für die bisherige Digitalministerin Judith Gerlach (CSU) soll es einen neuen Posten geben: Söder hatte nach Informationen des „Merkur“ bereits zugesichert, dass sie sich „keine großen Sorgen“ machen müsse. Eventuell komme Gerlach als Nachfolgerin von Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) in Betracht, der an die Fraktionsspitze wechsele. Weitere Personalien wolle Söder „erst am 8. November bekanntgeben“.

Das Digitalressort stellt somit das vierte Ministerium dar, in dem die Freien Wähler das Sagen haben. Schon in der vergangenen Legislatur hatte sich Vize-Ministerpräsident Aiwanger persönlich um das Themenfeld Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie gekümmert. Das Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz unterstand seinem Parteikollegen Thorsten Glauber, das Kultusministerium Michael Piazolo. Piazolo wird seinen Platz nach Informationen des „Merkur“ aber zugunsten der bisherigen Staatssekretärin Anna Stolz räumen müssen.

Für ihr viertes Ministerium waren die Freien Wähler bereit, eine Staatssekretär-Planstelle zu opfern. „Das aber fällt nicht ins Gewicht“, meint der Autor Peter Fahrenholz vom Onlineportal „Table Media“, „denn Staatssekretäre haben politisch keine große Bedeutung“.

Aiwanger will sich um Wölfe kümmern

Für weit schwerwiegender hält Fahrenholz die Tatsache, dass es Aiwanger während der Verhandlungen über die künftigen Aufgabengebiete gelungen war, „die Bereiche Jagd und Staatsforsten vom Landwirtschaftsministerium in sein Wirtschaftsministerium zu verlagern“. Damit dürfe nun Aiwanger „die auch in Bayern auf dem Land hochemotional diskutierte Frage, wie man mit dem Wolf umgeht“, beantworten.

Zum Ausgleich sei Aiwanger die Verantwortung für die Bereiche Tourismus, Hotelwesen und Gastronomie losgeworden: Diese wurden ins Landwirtschaftsministerium verlagert. An die Stelle des bei Aiwanger in Ungnade gefallenen Roland Weigert wird Tobias Gotthardt dessen Posten als Staatssekretär in Aiwangers Wirtschaftsministerium übernehmen, wie der „Merkur“ berichtet.

Hinter vorgehaltener Hand: CSU-Kreise kritisieren Söder

Dass Aiwanger damit seine Wünsche weitgehend durchsetzen konnte, sähen „erfahrene CSU-Politiker von ganz unterschiedlichen Parteiflügeln“ als Beleg für eine geschwächte Position Söders, berichtet „Table Media“. Diese habe er sich allerdings selbst zuzuschreiben, weil er „sich von vornherein auf die Freien Wähler als Koalitionspartner“ festgelegt habe. „Wer gefesselt ist, hat keinen Bewegungsspielraum“, zitiert das Portal einen aktuellen Spruch aus CSU-Kreisen.

Mit „Bangen“ blicke die CSU deshalb auch auf das nächste große Wahlevent in Bayern, die EU-Parlamentswahl im Juni 2024. Die Freien Wähler hätten dafür mit der „Landesbäuerin“ Christine Singer bereits eine Spitzenkandidatin gekürt, die „mit Kritik an der notorisch unbeliebten EU-Agrarpolitik Stimmung auf dem Land“ machen werde, so „Table Media“. Diese EU-Wahl könne eine weitere Sprosse auf der Karriereleiter Aiwangers bedeuten: Ein gutes Abschneiden der FW vorausgesetzt, könnte Aiwanger seine Chancen erhöhen, 2025 mit den Freien Wählern in den Bundestag einzuziehen. Seine eigenen Ambitionen auf das Amt des Bundeswirtschaftsministers hatte er bereits öffentlich zugegeben.

Und Söder? Der müsste sich nach Einschätzung von „Table Media“-Autor Peter Fahrenholz eigentlich etwas einfallen lassen, um seine Partei und damit auch seine eigene Karriere wieder zu stabilisieren oder gar zurück zu alter Stärke zu führen. Damit sei aber nicht unbedingt zu rechnen, weil parteiintern wenig Widerstand gegen den Franken zu erwarten sei – und Söder deshalb wohl bei seinem wenig selbstkritischen Kurs bleiben könnte. „Söder hat die Partei derart stark auf sich zugeschnitten, wie es selbst Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber nicht vermocht haben“, schreibt Fahrenholz.

Ministerpräsidentenwahl am Dienstag

Von Söders „Intimfeind“ Manfred Weber, von Theo Waigel oder Erwin Huber sei höchstens gelegentlich Kritik auf CSU-Vorstandssitzungen zu hören, aber keine Rebellion zu erwarten. Söders alter Rivale Horst Seehofer erscheine erst gar nicht mehr bei Gremiensitzungen und schweige eisern zu seinem Nachfolger. „Deshalb ist es sehr wahrscheinlich, dass trotz all der Unsicherheit erstmal alles bleibt, wie es ist“, resümiert Fahrenholz.

Damit alles so bleiben kann, wie es ist, muss Markus Söder aber erst noch einmal offiziell zum Ministerpräsidenten gewählt werden. Diese Formsache soll nach Angaben der Münchener „tz“ am Dienstag, 31. Oktober, über die Bühne gehen. Am Tag davor treffe sich der neue Landtag zu seiner konstituierenden Sitzung. Mit 122 von 203 Sitzen besitzen die Regierungsparteien CSU und Freie Wähler eine bequeme Stimmenmehrheit.

Bayern soll „führendes, starkes, soziales, innovatives Land“ bleiben

Zu den ganz zentralen Punkten des neuen „Koalitionsvertrag[es] für die Legislaturperiode 2023 – 2028“ gehört nach einer Zusammenfassung der „Welt“ die Solidarität mit Israel als „bayerische Staatsräson“ und eine härtere Gangart im Kampf gegen Antisemitismus und Terrorismus: „Wer die Existenz des Staates Israel infrage stellt, wird bei uns keine Heimat finden“.

Außerdem will die neue „Bayern-Koalition“ nach Informationen des „Merkur“ 180.000 neue Kita-Plätze, weitere 8.000 Pflegeplätze und sogar 9.000 neue Planstellen an Schulen einrichten. Zudem sollen 2.000 zusätzliche Polizisten eingestellt werden. Söders zusammenfassender Wunsch auf der Pressekonferenz zur Präsentation des Koalitionsvertrags: „Wir wollen gleichzeitig Hoffnung geben, dass Bayern weiter seinen Platz in der Welt als ein führendes, ein starkes, ein soziales, ein innovatives Land behalten kann.“

Der Vertrag ist sowohl über die Netzseite der CSU als auch über jene der Freien Wähler jeweils als PDF-Dokument abrufbar, die Präambel steht unter anderem auf „Bayern.de“.



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