Abstimmungskrimi im Bundestag – darum scheitert das Migrationsgesetz der Union
Der Bundestag hat das umstrittene Zustrombegrenzungsgesetz in dritter Lesung mehrheitlich abgelehnt. Am Nachmittag des 31. Januar 2025 stimmten 350 Parlamentarier dagegen, 338 dafür. Fünf Bundestagsabgeordnete (MdBs) enthielten sich. Damit sind schnelle Änderungen in der deutschen Migrationspolitik bis auf Weiteres nicht in Sicht.
Rein rechnerisch hätten Union, FDP, AfD und BSW die Mehrheit gehabt und das Gesetz damit verabschieden können. Im Vorfeld hatten diese vier Fraktionen auch ihre Zustimmung signalisiert. Nun ist klar: Einige der MdBs müssen sich kurzfristig umentschieden haben.
Merz: „Ich bin mit mir persönlich sehr im Reinen“
Aus der FDP-Fraktion gab es zwei Gegenstimmen und fünf Enthaltungen. 16 FDP-Abgeordnete gaben keine Stimme ab. Die AfD stimmte bei einer nicht abgegebenen Stimme ansonsten geschlossen für das Gesetz. SPD und Grüne stimmten geschlossen dagegen – bei vier beziehungsweise zwei nicht abgegebenen Stimmen. Wie viele Abgeordnete aus Krankheitsgründen fehlten, war nicht bekannt.
Aus der Unionsfraktion gab es nach Angaben des Bundestags keine Gegenstimmen. Allerdings gaben 12 Unionsabgeordnete ihre Stimme nicht ab, darunter der ehemalige Kanzleramts-Minister Helge Braun (CDU), die ehemalige Kulturstaatssekretärin Monika Grütters (CDU), der Außenpolitiker Roderich Kiesewetter (CDU), Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU) und der ehemalige Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz (CDU).
„Das respektiere ich selbstverständlich“, erklärte Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) nach dem Votum und verteidigte weiterhin seinen Kurs: „Ich bin mit mir persönlich sehr im Reinen, dass wir es wenigstens versucht haben.“
Die Debatten der vergangenen Tage hätten die programmatischen Unterschiede zwischen den Parteien in der Migrationspolitik deutlich gemacht. „Der deutsche Parlamentarismus ist der eigentliche Sieger“, konstatierte Merz.
Das Migrations-Gesetz der Union ist im Bundestag gescheitert – Merz sieht auch Schuld bei FDP, es gab mehrere Enthaltungen. Doch nun könne man der Union „wirklich glauben“, dass man es ernst meine „mit der Wende in der Asyl- und Einwanderungspolitik“. pic.twitter.com/z4sIkE4Li1
— Epoch Times Deutsch (@EpochTimesDE) January 31, 2025
Weidel sieht „Demontage von Friedrich Merz als Kanzlerkandidat“
AfD-Chefin Alice Weidel sieht hingegen eine „Demontage von Friedrich Merz als Kanzlerkandidat“ von CDU und CSU. Der CDU-Chef habe sich „selbst zu Fall gebracht“, sagte Weidel am Freitagnachmittag im Bundestag. Bei der AfD gebe es „keine Abweichler, die einem berechtigten Anliegen in den Rücken fallen“, sagte die Kanzlerkandidatin mit Blick auf ihre Fraktion.
Die Debatte um den Unionsantrag und dessen Ablehnung sei die „Implosion einer konservativen Volkspartei“ gewesen, so Weidel weiter. Unions-Kanzlerkandidat Merz steuere Deutschland auf eine „Regierungsunfähigkeit“ hin.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat das Scheitern des Unionsgesetzes zur Migrationspolitik als „historische Entscheidung“ bewertet. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) sei an der Mehrheit des Bundestags damit gescheitert, „den Weg zur AfD zu suchen“. Die Wähler müssten nun bei der Bundestagswahl am 23. Februar darüber befinden, „ob man einem solchen Kanzlerkandidaten das Schicksal unseres Landes in schweren Zeiten in die Hände legen darf“.
Kurzfristiges FDP-Angebot an SPD und Grüne
Die Abstimmung war weit später am Tag erfolgt als ursprünglich gedacht. FDP-Fraktionschef Christian Dürr hatte nach Anregung von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich kurz vor der Sitzung vorgeschlagen, die Abstimmung auf den 11. Februar zu vertagen. Bis dahin solle der Entwurf wieder in den Innenausschuss retourniert werden. Dort wolle man eine Lösung finden, die die „demokratische Mehrheit“ einbinde und nicht auf die Stimmen der AfD angewiesen wäre. Dürr:
Wenn SPD und Grüne […] sich weiteren Verhandlungen verweigern, dann weiß die deutsche Öffentlichkeit, dass Sozialdemokraten und Grüne in Wahrheit kein Interesse an der Lösung der Migrationsfrage haben.“
Sollten sich SPD und Grüne nicht auf das FDP-Angebot einlassen, werde man noch am selben Tag über das Gesetz abstimmen, kündigte Dürr an.
Angesichts der Herausforderung hatte Thorsten Frei (CDU), der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, kurz vor Debattenbeginn eine Unterbrechung beantragt. Aus der erbetenen halben Stunde Pause wurden schließlich fast vier Stunden. Doch Union, FDP, SPD und Grüne konnten partout keinen Konsens über das weitere Vorgehen und eventuelle inhaltliche Differenzen finden.
Bei der anschließenden, emotional geführten Debatte kristallisierte sich schnell heraus, dass Union und FDP doch bei ihrem ursprünglichen Plan bleiben würden, noch an diesem Tag über den Gesetzentwurf abstimmen zu lassen.
Die Redner aus den Reihen von SPD und Grünen bemühten sich vergeblich, Union und FDP dazu zu bewegen, den Gesetzentwurf doch noch einmal in den Innenausschuss zu überweisen. Dort hätte man um einen „demokratischen“ Konsens ringen können, der die Stimmen der AfD überflüssig gemacht hätte.
Baerbock und Faeser gegen nationalen Alleingang
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) etwa betonte, wie wichtig es sei, „die Schande vom Mittwoch einigermaßen“ zu korrigieren. Denn „der giftige Rauch der Brandstifter“ ziehe „schon jetzt in die Lungen unserer Gesellschaft“. Zudem sei manches von dem, was im Entwurf stehe, „verfassungs- und europarechtswidrig“. Ein „nationaler Alleingang“ aber werde „Europa kaputt“ machen. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) warnte vor dem „Bruch mit unseren europäischen Partnern“.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warf Friedrich Merz vor, seit Tagen keine Änderungen an seinem Gesetzentwurf und auch keine „Augenhöhe“ mehr zugelassen zu haben: „Das Prinzip ‚friss oder stirb‘“ müsse aber für immer vorüber sein. Die SPD lasse sich nicht erpressen.
Merz betont tiefe Gräben zur AfD
CDU-Fraktionschef Friedrich Merz und sein FDP-Pendant Christian Dürr betonten dagegen immer wieder die Notwendigkeit, nach Aschaffenburg schnell „in der Sache“ zu entscheiden. Man sei sich mit SPD und Grünen schon bei früheren Verhandlungen grundsätzlich über die nun im Raum stehenden Schritte einig gewesen. Insofern sei es unverständlich, dass die Regierungsfraktionen nicht auch jetzt zustimmen könnten.
Befürchtungen, dass die Union später mit der AfD zusammenarbeiten könne, wischte Merz als unbegründet vom Tisch: „Sie werden mich und uns nicht in die Nähe dieser Partei rücken können“, betonte Merz. Aus den Reihen der Union werde niemand der AfD die Hand reichen.
AfD hält Union nicht für vertrauenswürdig
Bernd Baumann, der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, warf Merz die lange Beratungspause vor. Ursprünglich habe der CDU-Chef den Entwurf um 10:30 Uhr einbringen wollen, doch dann habe er wieder angefangen, „zu zaudern und zu tänzeln“.
Schon am vergangenen Mittwoch habe seine Fraktion versucht, die Union „erstmals aus der Umklammerung von Rot-Grün zu befreien“. Doch Merz habe sich nach der erfolgreichen gemeinsamen Abstimmung „bei SPD und Grünen mit schlotternden Knien entschuldigt“, weil er seinen Antrag durchbekommen habe.
Die Menschen könnten der Union nicht vertrauen, weil diese „einfach unglaubwürdig“ sei. „Jeder muss jetzt sehen: Eine grundlegende Änderung gibt es nur mit der AfD“, so Baumann. Das Ziel seiner Partei sei es, Rot-Grün zu „überwinden“.
Bundesrat hätte Vorhaben wohl ohnehin gestoppt
Damit das Gesetz hätte in Kraft treten können, hätte zudem noch der Bundesrat seinen Segen geben müssen. Doch genau das erschien schon im Vorfeld kaum denkbar.
Mit Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner und dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther hatten bereits zwei CDU-Landesregierungschefs ihren Widerstand gegen alles angekündigt, was im Bundestag nur unter Mithilfe der AfD-Fraktion beschlossen werden könnte.
Auch das grün-schwarze Baden-Württemberg wäre unter seinem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann kaum zu einem Ja zu bewegen gewesen. Die „Welt“ rechnete in den unionsgeführten Ländern, die zusammen mit den Grünen oder der SPD regieren, generell mit Enthaltungen.
Aus den sieben Ländern, in denen die SPD den Ton angibt, war schon gar keine Zustimmung zu erwarten. Sie allein besitzen in der 69-köpfigen Länderkammer bereits 26 Stimmen. Mit den 14 mutmaßlichen Nein-Stimmen aus Berlin (4 Stimmen), Schleswig-Holstein (4) und Baden-Württemberg (6) hätten sie das Zustrombegrenzungsgesetz leicht mit 40 Stimmen scheitern lassen können. Die Oppositionsparteien der 16 Bundesländer sind im Bundesrat nicht vertreten.
Was steht im Zustrombegrenzungsgesetz?
Der abstimmungsreife Entwurf des Zustrombegrenzungsgesetzes (BT-Drucksache 20/12804, PDF) zielte unter anderem darauf ab, das Wort „Begrenzung“ wieder „als ausdrückliche übergeordnete Vorgabe“ in Paragraf 1 des Aufenthaltsgesetzes aufnehmen zu lassen. CDU und CSU forderten im Gesetzentwurf auch ein Ende des Familiennachzugs für subsidiär geschützte Flüchtlinge.
Ferner sollten Beamte der Bundespolizei in ihrem Zuständigkeitsbereich – hier sind unter anderem die Bahnhöfe gemeint – aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchführen dürfen, sobald sie Ausreisepflichtige antreffen. Die Bundespolizei sollte auch befugt werden, selbstständig Anträge auf Haft und Gewahrsam zu stellen, um Abschiebungen zu erleichtern.
All das sollte mit „umfassenden Grenzkontrollen und Zurückweisungen an den deutschen Grenzen“ einhergehen. Diese seien „allerdings auf Basis des geltenden Rechts bereits möglich, sodass insofern keine gesetzlichen Änderungen erforderlich sind“, heißt es im Entwurf.
Straßenproteste gegen Union – Merz im Dilemma
Seit die Fraktion von CDU und CSU am vergangenen Mittwoch einen Fünf-Punkte-Entschließungsantrag für strengere Maßnahmen an den deutschen Außengrenzen (BT-Drucksache 20/14698, PDF) nur mit den Stimmen der AfD im Parlament hatte durchsetzen können, ergießt sich bundesweit eine Welle des Protests – obwohl es Kanzler Olaf Scholz (SPD) und seinem Kabinett völlig frei steht, irgendeine der fünf geforderten Maßnahmen umzusetzen.
Besonders Friedrich Merz geriet damit immer weiter unter Druck. Alle seine bisherigen Bitten an SPD, Grüne und FDP, seine Vorstöße für eine strengere Migrationspolitik im Bundestag zu unterstützen, um nicht auf die AfD-Fraktion angewiesen zu sein, wurden von den Grünen und den Sozialdemokraten trotz der Messermorde von Aschaffenburg ignoriert. Daran konnte auch das Bedauern von Merz über die anscheinend festgefahrene Lage bislang nichts ändern.
Merkel kontra Merz
Den Druck auf den Merz erhöht hatte zuletzt auch seine alte Rivalin, Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie veröffentlichte am Donnerstag auf ihrer Website eine Stellungnahme, in der sie Merz dafür kritisierte, „am 29. Januar 2025 sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD“ ermöglicht zu haben.
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