Absage oder Klage: Streit um Sondersitzung zum Schuldenplan eskaliert

Werden die Pläne von Union und SPD für ein Milliarden-Schuldenpaket noch von höchster Stelle juristisch gestoppt? Die AfD-Fraktion hat nach eigenen Angaben per anwaltlichem Schreiben an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) eine Absage der geplanten Sondersitzungen des alten Bundestages gefordert. Die Sitzungen sind für kommenden Donnerstag, 13. März, und den darauffolgenden Dienstag, 18. März, geplant.
Konkret sollen mit einem entsprechenden Gesetzentwurf Artikel im Grundgesetz abgeändert werden, sodass die Pläne, auf die sich Union und SPD Anfang der Woche geeinigt hatten, umgesetzt werden. CDU-Chef Friedrich Merz hatte in einem Pressestatement angekündigt, dass die Änderungen im Grundgesetz regeln sollen, „dass die notwendigen Verteidigungsausgaben des Bundeshaushaltes, die oberhalb eines Betrags liegen, der einem Prozent unseres BIP entspricht, von den Beschränkungen der Schuldengrenze freigestellt werden“.
Zur Sanierung und zum Ausbau der Infrastruktur kündigte Merz ein kreditfinanziertes Sofortprogramm von 500 Milliarden Euro an. Finanziert werden sollen der Zivil- und Bevölkerungsschutz, die Verkehrsinfrastruktur, Krankenhausinvestitionen, Investitionen in die Energieinfrastruktur, in die Bildungs-, Betreuungs- und Wissenschaftsinfrastruktur, in Forschung und Entwicklung sowie in die Digitalisierung. Zur Umsetzung bedarf es ebenfalls Änderungen im Grundgesetz, wie Merz weiter im Pressestatement betont.
Verabschiedung des Gesetzes im Eiltempo
In der Regel sind in einem Gesetzgebungsverfahren drei Lesungen bis zur Abstimmung vorgesehen. Nach Einbringung in den Bundestag verweist dieser, meistens nach Aussprache im Plenum, das Gesetz in die Ausschüsse, wo es dann auch noch einmal beraten und in der dritten Lesung endgültig abgestimmt wird. Dieser Gesetzgebungsprozess, der sich in der Regel über Monate erstreckt, soll nun innerhalb weniger Tage abgeschlossen werden.
Am 25. März konstituiert sich der neue Bundestag, und die Mehrheitsverhältnisse im Parlament verändern sich. Laut Artikel 39 Absatz 2 des Grundgesetzes muss der neu gewählte Bundestag „spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl“ zusammenkommen.
AfD fordert Absage der Sondersitzungen
Im alten Bundestag wächst jetzt allerdings Widerstand dagegen, dass Union und SPD im Eiltempo ein Milliardenpaket durch den Bundestag bringen wollen. Nach Ansicht der AfD-Bundestagsfraktion ist die Einberufung der Sondersitzung durch die Bundestagspräsidentin nichtig. Das habe vor dem Grundgesetz keinen Bestand.
Tatsächlich findet man in der geltenden Geschäftsordnung des Bundestages den Begriff „Sondersitzung“ in der nun verwendeten Form überhaupt nicht. Die Geschäftsordnung verwendet diesen Begriff lediglich dann, wenn die Sitzungen außerhalb der im Voraus geplanten Sitzungswochen stattfinden. Ein Beispiel für eine solche Sitzung ist die Sondersitzung am 27. Februar 2022. Damals kam der Bundestag wegen des Angriffs Russlands auf die Ukraine sogar an einem Sonntag zusammen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach damals in seiner Regierungserklärung von einer „Zeitenwende“.
Allerdings besagt Artikel 39 Absatz 3 des Grundgesetzes, dass die Bundestagspräsidentin eine solche Sitzung einberufen muss, wenn ein Drittel des Deutschen Bundestages, der Bundespräsident oder der Bundeskanzler das verlangen. Ob das im vorliegenden Fall tatsächlich von der grundgesetzlich eingeforderten Mehrheit verlangt wurde, bezweifelt die AfD. In der Pressemitteilung heißt es dazu:
Aus den Willensbekundungen der Fraktionsführungen von CDU und SPD kann die Bundestagspräsidentin aber nicht automatisch schließen, dass jeder einzelne Abgeordnete der Fraktion dieser Forderung auch tatsächlich zustimmt. Dadurch werden die Rechte der einzelnen Abgeordneten des Bundestages verletzt.“
Zweifel, ob alter Bundestag zusammenkommen darf
Weiterhin bestehen bei der AfD-Fraktion grundsätzliche Zweifel, ob die Bundestagspräsidentin den alten Bundestag – abgesehen von Notfällen – zu weiteren außerordentlichen Sitzungen einberufen darf. „Das gilt insbesondere, wenn das alte Parlament über so wesentliche Fragen wie die Änderungen des Grundgesetzes entscheiden soll“, so die AfD.
Vielmehr sei die Bundestagspräsidentin verpflichtet, den neuen Bundestag statt des alten einzuberufen, sobald dies möglich ist. Nach Ansicht der AfD wäre das spätestens nach dem kommenden Freitag möglich. An diesem Tag kommt der Bundeswahlausschuss zu einer Sitzung zusammen und wird das amtliche Endergebnis der Bundestagswahl am 23. Februar feststellen.
Für den Fall, dass Bundestagspräsidentin Bärbel Bas die geplanten Sondersitzungen bis Montag nicht absagt, kündigt die AfD die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts an. Dieses hätte dann zu entscheiden, ob die Bundestagspräsidentin tatsächlich den Bestimmungen des Grundgesetzes entsprechend ordnungsgemäß zu den Sondersitzungen eingeladen hat. Weiterhin hätte Karlsruhe darüber zu entscheiden, ob der alte Bundestag so weitreichende Entscheidungen, wie die nun vorgesehen sind, treffen darf.
Keine rechtlichen Bedenken
Bei letzterer Entscheidung sehen Verfassungsrechtler, die sich in den vergangenen Tagen dazu äußerten, keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
„Es gibt keine parlamentsleere Zeit“, so Hans-Detlef Horn, Juraprofessor an der Universität Marburg, im ARD-Podcast „Die Justizreporter*innen“. Der Wortlaut des Grundgesetzes sei in Artikel 39 Grundgesetz eindeutig und lasse „keinen Spielraum für Interpretation“, so Horn. Kurz zusammengefasst: Der alte Bundestag ist nach wie vor voll handlungs- und beschlussfähig.
Der Professor bezieht sich dabei auf einen Satz im ersten Absatz des Artikels 39, in dem es heißt:
Seine Wahlperiode endet mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages.“
Auch der Heidelberger Verfassungsrechtler Hanno Kube vertritt im ARD-Podcast diesen Standpunkt. „Der Bundestag hat bis zu seiner letzten Sitzung alle ihm zustehenden Kompetenzen, einschließlich der Kompetenz zur verfassungsändernden Gesetzgebung“, so die Einschätzung Kubes, der die CDU/CSU 2021 bei ihrer erfolgreichen Klage gegen den Nachtragshaushalt der Ampelkoalition in Karlsruhe vertrat.
Der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht, Udo di Fabio, kommt im Sender „Phoenix“ zur gleichen Einschätzung. Solange sich der neue Bundestag nicht konstituiert hat, sei der alte in vollem Umfang handlungsfähig, einschließlich Verfassungsänderungen. Di Fabio wurde 1999 auf Vorschlag der CDU vom Bundesrat in den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts gewählt.
Lediglich ein „verfassungsrechtliches Störgefühl“
Von einem „verfassungsrechtlichen Störgefühl“ spricht der Verfassungsrechtler Kyrill-Alexander Schwarz, Juraprofessor an der Universität Würzburg, im „ARD-Brennpunkt“. Grundsätzlich könne der alte Bundestag, der bis zur Konstituierung eines neuen Parlaments „vollständig handlungsfähig“ sei, solche Entscheidungen treffen.
„Wenn der jetzige Bundestag Maßnahmen ergreift wie ein dreistelliges Milliardenpaket, wofür es ja durchaus sachliche Gründe gibt, dann entfaltet das eine Bindungswirkung gegenüber einem späteren Parlament, das ja bereits gewählt worden ist. Diese Bindungswirkung für die Zukunft empfinde ich als überaus problematisch“, so Schwarz.
Erste Bundestagsabgeordnete klagt in Karlsruhe
Während die AfD-Fraktion der Bundestagspräsidentin in einem anwaltlichen Schreiben eine Frist gesetzt hat, hat die fraktionslose Bundestagsabgeordnete Joana Cotar auf der sozialen Plattform X eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt.
Ich klage vor dem Bundesverfassungsgericht – gemeinsam mit @GGLuthe gegen den Schulden-Wahnsinn.
Die geplanten Sondersitzungen des Bundestages zur Änderung des Grundgesetzes halte ich für einen unfassbaren Betrug am Wähler, die geplanten Schulden angesichts der hohen Einnahmen… pic.twitter.com/NiBT5qYDo3
— Joana Cotar (@JoanaCotar) March 7, 2025
Die Abgeordneten sollen über „Milliardenbeträge im Schweinsgalopp entscheiden“, wobei zwischen der ersten Lesung und der Abstimmung nur wenige Tage lägen. „Dieses Vorgehen verletzt die Rechte der Mitglieder des Deutschen Bundestages, da uns die Zeit fehlt, ordnungsgemäß über die Vorschläge zu beraten“, so das Argument Cotars. Bei den Bundesrichtern in Karlsruhe könnte sie damit auf offene Ohren stoßen.
Beim Heizungsgesetz stoppte das Gericht die Abstimmung
Im Zusammenhang mit dem Heizungsgesetz hatte 2023 das Bundesverfassungsgericht einem Eilantrag des CDU-Bundestagsabgeordneten Thomas Heilmann stattgegeben. In seiner Entscheidung ordnete das Bundesverfassungsgericht an, dass die innerhalb einer Woche vorgesehene zweite und dritte Lesung des Heizungsgesetzes nicht stattfinden dürfe. Damit konnte das Gesetz, anders als von der Ampelregierung damals geplant, nicht vor der Sommerpause verabschiedet werden.
Den Abgeordneten stehe nicht nur das Recht zu, im Deutschen Bundestag abzustimmen, sondern auch das Recht zu beraten, befand damals das Bundesverfassungsgericht. Das setze ungeachtet der Verfahrensautonomie des Bundestages eine hinreichende Information über den Beratungsgegenstand voraus. Die Abgeordneten müssten dabei Informationen nicht nur erlangen, sondern diese auch verarbeiten können. Das Heizungsgesetz weise, so die Bundesverfassungsrichter, eine „nicht geringe Komplexität“ auf und könne daher nicht in „einer erheblichen Verdichtung der zeitlichen Abläufe“ verabschiedet werden.
Allerdings hat der Verfassungsrechtler Gregor Laudag in einem Interview mit dem Portal „Legal Tribune Online“ (LTO) Zweifel daran geäußert, ob das zeitliche Argument von Heilmann auch dieses Mal vor den Karlsruher Richtern bestehen kann: Wenn es lediglich um eine neue Kreditermächtigung für die Bundeswehr gehe, sei eine Gesetzesvorlage wohl „nicht besonders komplex“.
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