Deutschlands Tierheime am Limit: Wohin mit Hund und Katze?
In Ursula Gerickes Büro liegt Cloe, eine Setter-Hündin mit braunen und schwarzen Flecken im weißen Fell. Schwer krank ist das Tier, wahrscheinlich aus Kummer. Nach neun Jahren in ihrer Familie wurde sie vor Kurzem im Tierheim Ludwigsburg nahe Stuttgart abgegeben: Die Eltern hatten sich getrennt, waren von einem Haus in zwei Wohnungen umgezogen. Kein Platz mehr für einen Hund.
Im Heim habe die Hündin nicht mehr gefressen, erzählt Leiterin Gericke der Deutschen Presse-Agentur, ein großes Drama sei das. Was nicht nur die Situation des Vierbeiners beschreibt – sondern auch die des Tierheims. Denn mittlerweile ist es so voll, dass Tiere auch im Pflegerzimmer oder eben in Gerickes Büro untergebracht werden müssen.
Bei Katzen stehe man sogar kurz vor einem Aufnahmestopp. In anderen Tierheimen ist das bereits Realität. So nimmt zum Beispiel das Tierheim Süderstraße in Hamburg seit Kurzem keine Hunde und Katzen mehr auf, nicht einmal solche, die auf der Straße gefunden oder vom Veterinäramt beschlagnahmt wurden.
Auch in Berlin sind die Kapazitäten ausgeschöpft, hier würden bereits mehr Tiere versorgt, als es Platz gebe, erklärt eine Sprecherin. „Voll bis zum Anstrich“ ist laut Leiter Michael Sperlich das Tierheim in Leipzig. In München gebe es zwar keinen formalen Aufnahmestopp, aber eine Warteliste, so Leiterin Eva-Maria Natzer. Halter, die ihre Tiere abgeben wollen, müssen in Einzelfällen Wochen oder Monate auf einen Platz warten.
Schwer vermittelbare Tiere
„Gerade Hunde, die Erziehungsdefizite oder schon einmal gebissen haben, sammeln sich in den Tierheimen“, weiß Natzer aus eigener Erfahrung. Hunde, die als schwierig wahrgenommen werden und kaum zu vermitteln sind – sie stellen eines der größten Probleme dar, ob in München, Berlin oder auch in Heidenheim in Baden-Württemberg. Dort berichtet Tierheimleiterin Julia Lambertz von einem zwei Jahre alten Hütehund-Mischling, der in der Vergangenheit mehrfach zugebissen hat: „Der sitzt wahrscheinlich die nächsten zehn, zwölf Jahre bei uns.“ Tierpfleger und -trainer arbeiten zwar mit solchen Hunden. Menschen, die sie aufnehmen wollen, gibt es Lambertz zufolge allerdings kaum. „Der Markt ist gesättigt und die Lage wird seit Jahren schlimmer.“
Die Masse an schwer vermittelbaren Hunden ist für Eva-Maria Natzer vom Münchner Tierheim die Folge einer regelrechten „Tier-Shopping-Mentalität“ vieler Menschen: „Schnell verliebt man sich in ein süßes Fellbündel. Doch dann zeigt sich im Alltag, wie zeitaufwendig und teuer das ist. Für einen Hund kann man im Laufe seines Lebens mehrere Zehntausend Euro für Futter, Ausrüstung, Pflege, Tierarzt und Hundeschule rechnen, das ist der Wert eines Kleinwagens.“
Ist das Tier dann erst einmal da, kann sich schnell Überforderung einstellen. Und sei es, weil der Hund nicht ohne Übung stundenlang allein zu Hause bleiben kann oder der süße Welpe in die kräftezehrende Pubertät kommt, wie Natzer schildert.
Traurige Tierschicksale
Erst kürzlich habe eine Frau einen Jack Russell Terrier heimlich bei den Mülltonnen hinter dem Tierheim Lahr in Baden-Württemberg angebunden – ohne einen Hinweis, dass dort ein Hund sei, berichtet Leiter Martin Spirgatis. „Rund zwölf Stunden hat er dort gesessen, völlig verstört.“ Dem Hund hätten fast alle Zähne gezogen werden müssen. „Ein richtig, richtig trauriges Schicksal.“
Mit Fällen wie diesem beginnt der Teufelskreis, in dem sich viele Tierheime deutschlandweit wiederfinden. Während vermeintlich anstrengende Hunde ihre Zwinger füllen, suchen Menschen bei unseriösen Züchtern oder Quellen im Ausland nach unkomplizierten Vierbeinern – die es oft doch nicht sind. Weshalb auch diese Hunde letztlich häufig im Tierheim landen. „So vergrößert sich die Zahl der Tiere immer mehr“, sagt Ursula Gericke vom Tierheim Ludwigsburg.
Zudem seien noch Nachwehen der Pandemie-Zeit zu spüren. Von einer Frau bekam Gericke zwei Bengal-Katzen mit den Worten überreicht: „Während Corona habe ich alles verkauft, was ich gezüchtet habe, aber jetzt kriege ich die nicht mehr weg.“
Für immer mehr verzweifelte Tierhalter geht es hingegen ums Geld. Seitdem im November 2022 eine neue Gebührenordnung der Tierärzte (Got) in Kraft getreten ist, sind viele Behandlungen und Eingriffe teurer geworden. „Bei uns im Raum Stuttgart bekommen sie eine Katze nicht mehr für unter 200 Euro kastriert, bei einer Hündin muss man mit 1.000 Euro rechnen. Das ist Wahnsinn“, meint Gericke. Zuschüsse für Menschen mit geringem Einkommen gibt es kaum, vielfach bleibt als einzige Lösung nur das Tierheim. Für viele chronisch kranke Tiere ist es die Endstation.
Lösungsansatz
Lösungen für die angespannte Lage in den Tierheimen müssten von der Politik kommen, so sieht es nicht nur Tanja Schnabel. Sie leitet das Tierheim in Nürnberg, das seit Monaten fast durchgängig einen Aufnahmestopp für Abgabetiere verhängt hat. „Es sollte einen Hundeführerschein und drastischere Strafen für die Einfuhr von Welpen aus dem Ausland geben“, fordert sie. Außerdem mangele es an finanzieller Unterstützung.
Tierheime würden mit der Pflege von Fund- und Verwahrtieren vom Amt kommunale Aufgaben übernehmen, dafür jedoch nicht kostendeckend von Gemeinden und Städten bezahlt. „Wir müssen immer betteln, weil damit kalkuliert wird, dass wir als Tierschützer schon nicht Nein sagen werden.“
Schon bald will sich Schnabel dem Bündnis Schattenhund anschließen, einem Zusammenschluss aus Tierschützern, Tierheimleitungen und Tiertrainern. Sie wollen laut Homepage die Lage all der „schwierigen Hunde“, die „zu Langzeitinsassen in den Tierheimen werden“, endlich verbessern. Wenn nichts getan werde, da ist sich Schnabel sicher, könnten immer mehr Tierheime an ihr Limit geraten. Mit möglicherweise drastischen Folgen: „Wir zielen auf Zustände wie in einigen südlichen Ländern zu, in denen Hunderudel durch die Städte streifen.“ (dpa/dl)
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