Schildkröten-Invasion im Ländle – neue invasive Arten in Deutschland nachgewiesen

Invasiven Schildkröten geht es in Deutschland gut
Invasive Arten wie die Nordamerikanische Buchstaben-Schmuckschildkröte machen sich in Deutschland breit und werden heimisch.Foto: iStock
Von 9. Februar 2023

Ein deutsches Forschungsteam konnte erstmals zeigen, dass sich drei ursprünglich in Nordamerika beheimatete Schildkrötenarten in Deutschland in der Natur fortpflanzen. Die Untersuchungen der gepanzerten Reptilien legen nahe, dass dies regelmäßig geschieht und sie sich in ihrem neuen Lebensraum in Baden-Württemberg eingewöhnt haben.

Nun weisen Forscher aus Dresden und Freiburg auf mögliche Gefahren hin. Die drei Schildkrötenarten wurden als invasive Arten eingestuft, die als Bedrohung für die heimischen Arten und Ökosysteme gelten. Wie diese Gefahr für heimisches Leben konkret aussieht, müsse jedoch noch erforscht werden.

Einst beliebte Haustiere

Invasive Tierarten verursachen weltweit wirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe. „Sie sind zu einem großen Anteil mitverantwortlich für das fortschreitende globale Artensterben – und ihre Zahl wächst kontinuierlich“, so eine Pressemitteilung von der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung.

Auch exotische Reptilien geraten in Deutschland regelmäßig in die Natur. Am häufigsten handelt es sich dabei um Tiere, die von ihren Besitzern ausgesetzt werden. Die Nordamerikanische Buchstaben-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta) ist eine von ihnen. In den 80er- und 90er-Jahren wurde sie in großer Zahl als Haustier in die Europäische Union importiert. Die später ausgesetzten Tiere überlebten in der ihnen fremden Natur, was sie zur weltweit weitverbreitetsten und schädlichsten invasiven Reptilienart machte. 1997 stoppte die EU den Import der Schildkröte – 2016 folgte sogar ein Verbot zum Verkauf hier geborener Tiere.

Aufgrund des Verbots verkaufte der Tierhandel fortan andere importierte Süßwasser-Schildkrötenarten wie die Gewöhnliche Schmuckschildkröte (Pseudemys concinna) und die Falsche Landkarten-Höckerschildkröte (Graptemys pseudogeographica). Auch die unerwünschten Exemplare dieser Arten fanden ihren Weg in die heimische Natur.

Nun haben die Forscher größere Populationen dieser drei Süßwasser-Schildkrötenarten in Seen in Freiburg im Breisgau und Kehl entdeckt. „Wir wollten herausfinden, ob die Schildkrötenarten als invasiv anzusehen sind – also ob sie sich hier selbständig und regelmäßig in der Natur fortpflanzen“, erläutert Dr. Melita Vamberger, Wissenschaftlerin der Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden.

„Für alle drei Arten konnten wir das jetzt erstmals zeigen: Sie sind in Baden-Württemberg heimisch geworden. Das ist der erste Nachweis erfolgreicher Fortpflanzung nicht-heimischer Schildkrötenarten in Deutschland“, fährt die Biologin fort.

Schildkröten trotzen der Kälte

Die Wissenschaftler untersuchten insgesamt knapp 200 Tiere verschiedenen Alters und führten genetische Analysen durch. „Überraschend ist, dass sich die invasiven Arten so weit im Norden etabliert haben“, erklärt Benno Tietz von der Universität Freiburg, „gerade die Falsche Landkarten-Höckerschildkröte ist eigentlich eher kälteempfindlich.“ Erfolgreiche Fortpflanzung und sich selbst erhaltende Populationen seien in Europa bisher aus den Mittelmeerregionen und der kontinentalen Klimazone Sloweniens bekannt gewesen.

So könnten invasive Arten auch für die einheimischen Artgenossen zum Problem werden. Besonders betreffe dies die Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis), die in vielen europäischen Ländern unter Schutz steht und nur noch in Teilen Brandenburgs zu finden sei. Laut den Forschern neige die Anwesenheit invasiver Artgenossen zu Gewichtsverlust und einer hohen Sterblichkeit. „Die wahrscheinlichste Erklärung ist, dass die größeren gebietsfremden Arten die kleineren einheimischen von den Sonnenplätzen verdrängen“, erklärt Dr. Johannes Penner von der Universität Freiburg. „Möglicherweise haben sie auch Vorteile beim Nahrungserwerb.“

In Gewässern stehen sie am oberen Ende der Nahrungskette und ernähren sich von Pflanzen und Fleisch. Deshalb könnten sie auch einen potenziell schädlichen Einfluss auf andere Teile des Ökosystems wie Amphibien, Fische oder Wasserpflanzen haben, so die Forscher. Darüber hinaus können Wasserschildkröten als Wirte von Viren und Parasiten eine Rolle bei der Übertragung von Krankheiten spielen.

Andererseits geben die Forscher in ihrer Studie zu bedenken, dass die nicht-heimischen Arten möglicherweise wichtige Ökosystemleistungen in geschädigten Ökosystemen übernehmen könnten. „Alle diese Fragen müssen dringend weiter erforscht werden. Gleichzeitig brauchen wir eine breite Aufklärung der Bevölkerung, damit künftig keine Tiere – egal welcher Art – mehr ausgesetzt werden“, schließt Vamberger.

Die Studie erschien am 1. Februar 2023 in der Fachzeitschrift „NeoBiota“.

(Mit Material der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung)



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