Gift gegen Schwammspinner: Bei Gera fressen Raupen die Landschaft kahl

Millionen Schwammspinner bedrohen Wälder und Dörfer, mit Gift gegen sie vorzugehen ist seit 25 Jahren hochumstritten. Eine erneute Explosion der Population bei Gera wirft alte Fragen auf.
Titelbild
Eine Schwammspinner-Raupe (Lymantria dispar) auf einem Himbeerblatt.Foto: iStock
Epoch Times17. Juni 2019

Der Schwammspinner (Lymantria dispar) ist ein scheinbar harmloser Nachtfalter. Wie alle Schmetterlinge verbringt auch er einen Großteil seines Lebens als Raupe und diese Raupen breiten sich zurzeit rasant in Bayern, Hessen und Thüringen aus – und das millionenfach.

„Invasion der Ekelraupen“ titelt die „Bild“ und beschreibt den „Horror“ im thüringischen Gera-Liebschwitz. „Unzählige Ekel-Tierchen“ fallen über Sträucher her und verwandelten den Rasen in einen „haarigen Teppich“. Auch die umliegenden Wälder der 1.500 Bewohner starken Ortschaft sind größtenteils kahl gefressen.

Seit 70 Jahren habe es einen solchen Belagerungszustand nicht mehr gegeben, berichtete eine Anwohnerin, die die Ritzen an Fenster und Türen ihres Hauses mit Klebeband versiegelt hat. Frau Lorbeer sagte gegenüber „Bild“:

Die Lebensqualität ist komplett weg. […] Wenn die Raupen vom Dach oder der Wand fallen, klingt es wie Regen. Man träumt davon. Es ist einfach nur ekelhaft.“

Konrad Nickschick, Chef des Umweltamtes in Gera, sagte, dass der Angriff Schwammspinner in zwei bis drei Wochen vorbei sei.

Dann würden die Tiere sich verpuppen und schließlich zu Schmetterlingen werden. Der Einsatz von Pestiziden, um die Raupen vorzeitig zu vernichten, ist laut Stadt nicht möglich.

Alle Jahre wieder

Dabei folgt die Entwicklung der Schwammspinner-Population den Gesetzten der Natur. Das Räuber-Beute-Verhältnis ist momentan zugunsten des Schwammspinners verschoben: Günstige Lebensbedingungen für die Schmetterlinge und die verhältnismäßig geringe Zahl der Fressfeinde führten in den letzten Jahren zu einer starken Vermehrung – nicht nur in Gera.

Auch die fränkischen Förster kämpf(t)en mit den Folgen der Populationsexplosion. Wie der „Spiegel“ schreibt, wollte die bayerische Forstverwaltung dies jedoch mit allen Mitteln vermeiden und konnte im Gegensatz zur Stadtverwaltung Gera zur Giftspritze, beziehungsweise zum Helikopter greifen. Im Mai wurde vorsichtshalber auf rund 1.300 Hektar Eichenmischwäldern Gift ausgebracht.

Dieser Pestizideinsatz hat eine 25 Jahre alte Grundsatzfrage wieder ans Tageslicht geholt: Dürfen Wälder präventiv großflächig gespritzt werden, oder nicht? Besonders umstritten ist die Frage, da auf die Populationsexplosion der Beute automatisch auch die Explosion der Räuber folgt und die Schwammspinner für Jahre nachhaltig dezimiert.

Der Einsatz des Giftes schadet jedoch nicht nur den Schwammspinner-Raupen, sondern auch den etwa 500 anderen, teils bedrohten Tag- und Nachtfaltern in den artenreichen Mischwäldern – und auch den etwa 150 natürlichen Feinden, was dazuführen könnte, dass sich die Population schneller erholt, als es der natürliche Ablauf im Räuber-Beute-Zyklus zulassen würde.

„Ein Spiel mit dem Feuer“

Ralf Petercord von der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) sagte, dass, wenn gar nicht gespritzt werde, die gesamten befallenen Eichenbestände bedroht sind. „So ein Risiko können wir nicht eingehen.“

Der Insektenkundler Matthias Dolek widerspricht der LWF und befürchtet, dass mit jedem Spritzen einzelne Arten verloren gehen. Allein in den betroffenen Wäldern wohnen 40 bedrohte Tagfalterarten und Raritäten wie der Eschenscheckenfalter (Euphydryas maturna) oder das Wald-Wiesenvögelchen (Coenonympha hero), die ebenfalls an dem ausgebrachten Gift sterben.

Es ist „ein Spiel mit dem Feuer“, sagte Dolek zum Spiegel. Auch Jörg Müller, Forstökologe der Uni Würzburg sieht keine „existenzielle Gefahren durch Raupenfraß“. Es gehe dabei um rein wirtschaftliche Interessen.

Das großflächig ausgebrachte Gift schadet nicht nur den Raupen des Schwammspinners, sondern auch den etwa 500 anderen heimischen Schmetterlingsarten, darunter auch dem bedrohten Eschenscheckenfalter oder dem „kleinen Maivogel“ (Euphydryas maturna). Foto: iStock

Problem erkannt, Problem ignoriert

Bereits 1993 hatte sich der Schwammspinner extrem ausgebreitet und schon vor 26 Jahren beschwor die Bild-Zeitung das Ende der deutschen Eiche: „Horrorraupen rotten die deutsche Eiche aus.“ Es ist jedoch zu befürchten, dass seitdem mehr Eichen der Kettensäge zum Opfer gefallen sind als den gefräßigen Raupen. Gesunde Eichen würden den einmaligen Kahlfraß überstehen bestätigte das zuständige Forstamt, lediglich der Zuwachs viele in diesem Jahr geringer aus.

Bislang ist der Nutzen des Giftspritzens völlig ungeklärt. Dabei müsste man lediglich zwei etwa ökologisch vergleichbare, gleich stark befallene Flächen ermitteln und beobachten. Die eine besprüht man, die anderen nicht, so Müller. Das LWF „sei für solche Studien im Prinzip offen“, sagte Petercord. Eine solche Studie gibt es bisher jedoch nicht.

Das Geld für die Giftausbringung per Helikopter hätte der Forstökologe sinnvoller angelegt, zum Beispiel für die Entschädigung der Waldbesitzer „falls ihnen doch mal ein paar Eichen eingehen.“ Nach dem Sturmtief „Kolle“ wurde geschädigten Waldbesitzer für die Risikobaumart Fichte, „bei der jeder weiß, dass sie mit unserem Klima Probleme bekommt“ 100 Millionen Euro Soforthilfe versprochen.

Da sollten uns auch die Eichenmischwälder mit ihrer Vielfalt an Insekten ein bisschen mehr Geld wert sein.“

Keine unmittelbare Gefahr durch Schwammspinner

Der Schwammspinner stellt jedoch im Gegensatz zum Eichenprozessionsspinner (Thaumetopoea processionea) keine unmittelbare Gefahr dar. Die Raupen sind nicht giftig, lediglich ihre Zahl und ihr gesunder Appetit lässt Betroffene Alpträume kriegen, die meisten Pflanzen treiben nach kurzer Zeit erneut aus.

Die feinen Haare der Raupen des Eichenprozessionsspinners (Thaumetopoea processionea) können schwere allergische Reaktionen auslösen, deswegen „Finger weg!“ Foto: iStock

Die feinen Haare des Eichenprozessionsspinners sind mikroskopisch kleine Widerhaken und verursachen Rötungen, Quaddeln oder Pusteln. In Einzelfällen können sie zudem zu einem allergischen Schock oder Atembeschwerden führen. Nester von Eichenprozessionsspinnern sollten umgehend dem zuständigen Forstamt oder der Stadtverwaltung gemeldet werden.

Wer nicht sicher ist, um welche Raupen es sich im Garten handelt, sollte im wahrsten Sinne des Wortes „die Finger davon lassen“. (ts)



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion