Mysteriöse Doppelherrschaft: Kunsthistorikerin entdeckt bisher unbekannte altägyptische Königin
Valérie Angenot, Professorin für Kunstgeschichte an der Université du Québec à Montréal (UQAM) in Kanada, gab kürzlich in einer Pressemitteilung die Entdeckung einer neuen ägyptischen Königin bekannt. Ihren Forschungsergebnissen zufolge herrschten unmittelbar vor der Regentschaft von Tutanchamun zwei Frauen über Ägypten – Nofretete war keine von ihnen.
Eine mysteriöse Königin
Seit fünfzig Jahren war bekannt, dass zwischen dem Tod des Pharaos Echnaton und der Thronbesteigung seines Sohnes, dem berühmten Tutanchamun, eine Königin über Ägypten herrschte. Die Analyse mehrerer Stücke aus dem Schatz des jungen Königs ergaben, dass dieser einen großzügigen Teil der Beigaben einer Person namens Neferneferuaton Ankhkheperure erhielt.
Ägyptologen streiten seit langem über die Identität dieser mysteriösen Person. Einige glaubten, sie sei Königin Nofretete, die Frau des Echnaton, die nach dem Tod ihres Mannes zur „Pharaonin“ ernannt wurde. Wiederum andere vermuten, dass es sich hierbei um die älteste Tochter des Echnaton handelt: Prinzessin Meritaton.
Durch eine sorgfältige ikonographische Analyse konnte Valérie Angenot nun zeigen, dass nicht nur eine, sondern gleich zwei der Töchter nach dem Tod ihres Vaters auf dem Thron saßen. Ihr kleiner Bruder Tutanchamun, damals vier oder fünf Jahre alt, war zu jung, um die Führung über Ägypten zu übernehmen.
Tutanchamuns Schwestern auf dem Thron
Echnaton, Vater von sechs Töchtern und einem Sohn, hatte laut der Forscherin seine älteste Tochter Meritaton geheiratet, um sie auf die Thronfolge vorzubereiten und zu legitimieren. Bestimmte epigraphische Dokumente scheinen darauf hinzudeuten, dass er dann einer zweiten Tochter, Neferneferuaton Tascherit, die Macht als „Königin“ von Ägypten verlieh.
Nach seinem Tod seien die beiden Frauen gemeinsam unter einer gemeinsamen Krönung auf den Thron gestiegen und hätten unter den Ägyptologen für große Verwirrung gesorgt.
Skulpturen der Königinnen schon lange unbemerkt in den Sammlungen
Professor Angenot erklärte weiterhin, dass bestimmte Skulpturen von bislang unbekannten Königen, die in Verbindung mit Echnaton oder Nofretete stehen, tatsächlich Porträts der Prinzessinnen sind. Ein Beispiel dafür sei ein fein gearbeiteter Kopf mit weiblichen Zügen, der im Kestner-Museum in Hannover aufbewahrt wird. Dieser wurde zuvor als „junger Echnaton“ identifiziert. Tatsächlich zeige der Kopf aber eine seiner Töchter und datiere stilistisch gegen Ende von Echnatons Herrschaft.
Weiterhin stellte Angenot fest, dass die Merkmale dieser Statue denen des prächtigen braunen Quarzitkopfes im Berliner Museum ähneln. Diesen sollen Forscher auch, wie die Büste der Nofretete, im Atelier des Bildhauers Thutmosis entdeckt haben. Andere Statuen von Prinzessinnen, einschließlich eine Uschebti, eine Grabstatue der Königin Nofretete und Statuen aus Tutanchamuns Schatz, haben ebenfalls Merkmale, die denen des königlichen Kopfes in Hannover entsprechen.
Ein Vergleich des hannoveranischen Königskopfes und des Prinzessinnenkopfes aus Berlin zeigt zudem, dass die allgemeine Form des Gesichts, des Kinns, der Lippen und der Nase nahezu identisch sind.
Theorie eröffnet völlig neue Einblicke
Die Theorie von zwei Königinnen auf dem ägyptischen Thron wurde von Ägyptologen bislang noch nie zuvor in Betracht gezogen. Dennoch wirft sie ein neues Licht auf eine Reihe von Artefakten, die seit fast einem Jahrhundert Gegenstand der Debatte sind.
Eine Stele im Berliner Museum zeigt beispielsweise zwei Personen, die Ägyptologen anfangs als Echnaton und seinen Vater Amenhotep III. identifizierten. Später gab es weitere Interpretationen der Figuren als Echnaton und seine Frau Nofretete oder Echnaton und sein männlicher Mitregent Semenchkaré. Letztere Deutung fand den größten Anklang in der Forschung.
Ein entscheidendes Detail der Stele, nämlich das „Streicheln des Kinns“, gab Professorin Angenot nun den Hinweis über die möglicherweise wahre Identität der gezeigten Figuren. Durch die semiotische Analyse ägyptischer Gesten und dem Vergleich mit anderen Darstellung der Echnaton-Familie entdeckte sie, dass das Streicheln des Kinns im ägyptischen ikonographischen Repertoire nur für die Töchter von Echnaton und Nofretete erscheint.
Außerdem, so die Historikerin, versucht die Berliner Stele, die traditionelle Ikonographie der Prinzessinnen in einen königlichen Kontext zu überführen. Dies führe wiederum zu dem Schluss, dass die beiden ägyptischen Prinzessinnen tatsächlich gleichzeitig als „Pharaonen“ regiert haben.
Diese Entdeckung bringt somit die seit Jahren festgefahrene Debatte über die Identität von Echnatons mysteriösen weiblichen Nachfolgern wieder in Gang. Es scheint, dass Nofretete nun zugunsten ihrer beiden Töchter ausgeschlossen ist. (ts)
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