Eisbären im hohen Norden profitieren vom dünner werdenden Eis

Weniger Meereis ist manchmal mehr: Eisbären im Kane-Becken zwischen Kanada und Grönland profitieren vom Rückgang des Eises. Sie sind heute gesünder – dicker – als noch vor 20 Jahren, denn weniger Eis lässt mehr Sonne auf das Wasser, es führt zu mehr Algen, mehr Fisch und mehr Robben.
Titelbild
Eine Eisbärenmutter läuft mit ihren Jungen auf Futtersuche über Eisschollen im Gebiet der Nordwest-Passage in Kanada.Foto: Hinrich Bäsemann/Archiv/dpa
Von 24. September 2020

Eine kleine Subpopulation von Eisbären lebt auf dem ehemals dicken, mehrjährigen Meereis weit über dem Polarkreis. Die etwa 300 bis 350 Bären im Kane-Becken, einem eisigen Kanal zwischen der kanadischen Insel „Ellesmere Island“ und Grönland, umfassen etwa ein Prozent der weltweiten Eisbären.

Wie neue Untersuchungen zeigen, geht es den Eisbären in den letzten Jahren im Durchschnitt besser als in den 1990er Jahren. Grund dafür ist ausgerechnet der Rückgang des Eises im hohen Norden.

Die am 23. September in „Global Change Biology“ veröffentlichte Studie zeigt, dass die Bären gesünder – und dicker – sind, weil das dünner werdende und schrumpfende Meereis mehr Sonnenlicht an die Meeresoberfläche gelangen lässt, was das System ökologisch produktiver macht.

Dicke Eisbären und weite Wege

„Wir stellen fest, dass eine kleine Anzahl von Eisbären auf der Welt, die in mehrjährigen Eisregionen leben, vorübergehend vom Klimawandel profitieren“, sagte Kristin Laidre, Polarwissenschaftlerin von der University of Washington. Die Beobachtungen stützen damit eine These, die Wissenschaftler vor der Jahrtausendwende aufstellten. Die Dauer dieser Vorteile sei jedoch – damals wie heute – unbekannt.

In der jüngsten Studie untersuchte Laidre die Bären im Kane-Becken mithilfe von Satellitendaten aus den Jahren 2012 bis 2016 sowie direkten physikalischen Messungen in den Jahren 1993 bis 1997. Der direkte Vergleich bezüglich der Körperkondition (Fettleibigkeit) zeigt Verbesserungen für alle Altersgruppen von Männchen und Weibchen. Die durchschnittliche Anzahl der Jungen pro Wurf, ein weiteres Maß für den allgemeinen Gesundheitszustand der Tiere, blieb unverändert.

Alle 19 Eisbären-Subpopulationen der Welt, einschließlich die des Kane-Beckens, erleben eine kürzere Eisjagdsaison. Zu diesem Ergebnis kam Laidre bereits in früheren Forschungen.

Eine andere Studie zeigte gleichzeitig, dass die etwa 2.800 Tiere umfassende Eisbären-Subpopulation der Baffin-Bucht südlich des Kane-Beckens tendenziell dünner sind und weniger Junge bekommen.

„Das Kane-Becken verliert auch sein mehrjähriges Eis, aber das hat nicht den gleichen Effekt auf die Jagdfähigkeit der Eisbären“, sagte Laidre. Satellitenbilder zeigten zudem, dass die Eisbären in den letzten Jahren größere Gebiete durchquerten. Sie legten doppelt so weite Strecken zurück und jagten weiter von ihrem Heimatgebiet entfernt.

Weniger Meereis ist mehr

Die Beobachtungen zeigen eine deutliche Verschiebung des Meereises im Kane-Becken zwischen den Untersuchungszeiträumen. In den 1990er Jahren war etwa die Hälfte des Gebietes im Hochsommer von mehrjährigem Eis bedeckt, während die Region 20 Jahre später fast vollständig von jährlichem Eis bedeckt war, das im Sommer vollständig schmolz.

Mit mehr offenem Wasser ist das Meeresökosystem produktiver geworden, so die Forscherin. Das einjährige Meereis lässt mehr Sonnenlicht durch, sodass mehr Algen wachsen, was mehr Fische ernährt und wiederum Robben anzieht. Die Eisbären auf der anderen Seite von Ellesmere Island, in der Norwegischen Bucht, könnten sich in einer ähnlichen Situation befinden, sagte Laidre. Für diese Tiere liegen keine Daten vor.

„Es ist wichtig, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen“, sagte Laidre abschließend. Sie warnt davor, den hohen Norden als Zufluchtsort für Eisbären zu sehen. „Wir sprechen von Vorteilen von unbekannter Dauer in einem begrenzten Gebiet und für eine kleine Anzahl von Bären.“ Der Arktische Ozean um den Nordpol sei eigentlich „ein Abgrund mit sehr tiefem Wasser, der nie so produktiv sein wird wie die seichteren Gewässer im Süden. Dort, wo die meisten Eisbären leben.“

(Mit Material der University of Washington)



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