„Bild“ setzt jetzt auch auf Glotze – „Fox News“ als Vorbild?
Deutschlands bekannteste Boulevardzeitung „Bild“ gibt es künftig auch als Fernsehen. Ab Sonntag (22. August), wenige Wochen vor der Bundestagswahl, tritt die journalistische Marke mit einem 24-Stunden-Programm in Konkurrenz zu den privaten und öffentlich-rechtlichen TV-Sendern.
Es geht um Reichweite und um einen Markt, der mit Fernsehwerbung Milliarden-Umsätze erzielt. In der Branche fragt man sich: Wie stark wird der Sender Bild die Fernsehlandschaft verändern?
Stundenlange Live-Berichterstattung
Einen Vorgeschmack auf das Programm, das frei und unverschlüsselt empfangbar sein wird, gibt es seit Monaten. Das „Bild“-Online-Angebot wurde mit Videoinhalten verstärkt. Das journalistische Flaggschiff des Axel-Springer-Konzerns setzte einen Schwerpunkt auf stundenlange Live-Berichterstattung. Beispiele: Die Flutkatastrophe in Westdeutschland, die Lage in Afghanistan und die Treffen der Länderchefs zur Corona-Pandemie.
Daneben war auch ein Politik-Talkformat zu sehen: Sendezeit sonntagabends, also nach der klassischen „Tatort“-Zeit und genau dann, wenn im Ersten die Talkshow von Anne Will läuft. Dass es die Marke Bild mit dem Konkurrenzkampf ernst meint, zeigt sich auch daran, dass der TV-Sender um 20.15 Uhr einen weiteren Politik-Talk ausstrahlen wird, der sich um die Schlagzeilen und Themen des Tages dreht – bis zur Bundestagswahl vorerst montags bis freitags. Zu dieser Zeit läuft traditionell das Abendprogramm mit Shows, Dokus, Krimis und Spielfilmen der anderen Sender an. Es ist eine Zeit, zu der besonders viele vor dem Fernseher sitzen – die Prime Time.
„Kanzlernacht“ am Abend
Am Sonntag als erstem Sendetag wird Bild abends eine mehrstündige „Kanzlernacht“ präsentieren. Getrennt voneinander werden demnach in einem Spezial des Talkformats „Die richtigen Fragen“ ab 20.15 Uhr zunächst Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) und dann in einer weiteren Runde um 21.45 Uhr SPD-Kontrahent Olaf Scholz befragt.
Bild-TV-Programmchef Claus Strunz sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Wir verstehen uns weder als ein Vollprogramm noch sehen wir uns in der Gruppe der Nachrichtensender. Wir selber verstehen uns als ein eigenes Genre – als Geschichten-Sender.“ Der 54 Jahre alte Journalist und Moderator, der auch die Produktion des Sat.1-„Frühstücksfernsehens“ verantwortet, sieht eine Marktlücke. „Die Nachrichtensender würden immer eine Chronistenpflicht für sich in Anspruch nehmen und sind sehr stark auf Politik und Wirtschaft konzentriert.“ Für den neuen Sender empfinde man keine breitgefächerte Chronistenpflicht.
„Bild Live“ von 9.00 bis 14.00 Uhr
Herzstück des Programms wird von Montag bis Freitag die Sendung „Bild Live“ von 9.00 bis 14.00 Uhr sein. Programmchef Strunz erläuterte: „Wir werden diese Strecke als Ankerplatz benutzen, aber wir gehen danach nicht in den Doku-Schlummer.“ Zwar sende man Dokus, man sei aber quasi immer auf Live-Modus, wenn etwas Außergewöhnliches zu anderen Zeiten des Tages passiere. „So dass eine Sogwirkung entsteht und man den Sender am besten immer laufen lässt, weil man sonst etwas Wichtiges verpasst. Das ist die eigentliche Idee.“
Als Zielgruppe nannte der Programmchef „alle“, zugleich ergänzte er: „Wir wissen, dass wir in der Tendenz, wenn wir die Menschen adressieren, die die Marke Bild bereits nutzen, eher mehr Männer als Frauen erreichen. Deshalb setzen wir in unserem Programm auch viel auf Sport.“ Beim neuen TV-Sender wird auch Sportkommentator Marcel Reif weiter mit einem Fußball-Talk montags und freitags dabei sein. Zudem gibt es sonntags einen stundenlangen Schwerpunkt Sport, darunter ist auch ein Fußball-Talk mit den Bild-Moderatoren Alfred Draxler und Walter M. Straten.
Bekannte Journalisten abgeworben
Der Senderstart fällt in eine Zeit, in der die privaten TV-Gruppen RTL in Deutschland und ProSiebenSat.1 ihre News-Angebote aufstocken. Sie warben dafür bekannte Journalisten von den ARD-Flaggschiffen „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ ab. Auch für „Bild Live“ hat es mit NDR-Mann Thomas Kausch und RTL-Frau Sandra Kuhn Moderatorenzugänge gegeben.
Springer hatte im Herbst 2019 angekündigt, dass in den drei Folgejahren insgesamt mehr als 100 Millionen Euro im Bereich News Media National und dabei vor allem in eine Live-Video-Strategie der Marke Bild fließen. Ende 2020 hieß es weiter, dass davon 22 Millionen Euro insbesondere in die Einstellung von 70 weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den Ausbau des Programms investiert werden.
Auflagen der gedruckten Zeitungen rückläufig
Die Auflage der gedruckten Zeitung ist rückläufig – das ist seit Jahrzehnten ein Trend in der gesamten Verlagsbranche. „Bild“ ist zugleich immer noch das auflagenstärkste Blatt Deutschlands mit einer verkauften Auflage von mehr als 1,2 Millionen (IVW, zweites Quartal, mit „B.Z.“). Mit TV kommt ein neuer Ausspielweg hinzu, neben Print und Online. Die Reichweite, auf die die Marke Bild crossmedial kommt, wird vom Unternehmen selbst auf mehr als 40 Millionen Menschen im Monat beziffert.
Springer war 2019 eine strategische Partnerschaft mit dem US-Finanzinvestor Kohlberg Kravis Roberts (KKR) eingegangen und zog sich dazu auch 2020 von der Börse zurück. Ziel ist, schneller in den digitalen Geschäften zu wachsen.
Drei TV-Sender im Portfolio
Mit Senderstart hat Springer mit Sitz in Berlin dann drei TV-Sender im Portfolio: Bild, Welt und N24 Doku. Die beiden letztgenannten Programme haben im Juli zusammengezählt einen Marktanteil von 1,2 Prozent beim Gesamtpublikum erzielt, wie die AGF Videoforschung, die tägliche Nutzungsdaten der Sender misst, auflistet.
Auf Platz eins landete das ZDF mit 16,2 Prozent. Wenn man speziell die Zielgruppe 14 bis 49 Jahre betrachtet, kamen die beiden Springer-Sender auf einen Anteil von 1,6 Prozent. Strunz glaubt, dass die neue Senderfamilie große Chancen habe, sich zusammen immer mehr Marktanteile zu erobern. Eine Zielmarke nannte er nicht.
Dass ein neues bundesweit verbreitetes Programm startet, ist gar nicht so selten, wie es von den Landesmedienanstalten heißt, die als Medienregulierer für Rundfunklizenzen zuständig sind. Allein in diesem Jahr hätten zum Beispiel Amazon und DAZN Zulassungen beantragt. Ende 2020 waren in Deutschland demnach 202 private Fernsehprogramme mit bundesweiter Zulassung auf Sendung. „Insgesamt steigt die Zahl der in Deutschland zugelassenen TV-Programme sowie der bundesweit empfangbaren TV-Programme kontinuierlich an. Eine Trendumkehr zeichnet sich derzeit nicht ab.“
„Fox News“ als Vorbild?
Als die Pläne für den neuen Bild-TV-Sender bekannt wurden, kam im Netz auch die Frage auf, ob ein deutsches Fox News entstehen würde. Der konservative Sender in den USA galt lange Zeit als „Haus-und-Hof“-Sender von Donald Trump.
Programmchef Strunz sagte: „So ein Vergleich stellt sich nicht für Bild, wir sind kein deutsches Fox News. Deren Ansatz fußt auf einem bipolaren politischen System wie in den USA.“ In einem Mehrparteiensystem wie Deutschland hingegen, wo immer auch Regierungskoalitionen geschmiedet werden müssen, wäre ein solcher Ansatz, sich als TV-Sender auf eine Seite zu schlagen, naiv und würde laut Strunz nicht zum Ansatz passen, die Stimme des Volkes zu sein und den Menschen „aus der Seele zu sprechen“. Er sagte zum TV-Programm: „Wir positionieren uns mit klaren Haltungen in dem doch sehr diversifizierten Meinungsspektrum.“ (dpa)
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