60 Jahre nach Mord an JFK: Neue Indizien nähren Zweifel an offiziellen Ermittlungsergebnissen
Zehn Jahre nachdem die Filmemacherin Jacquelynn Lueth sieben der Ärzte interviewt hatte, die den sterbenden Ex-US-Präsidenten John F. Kennedy (JFK) behandelten, ist nun ihre Dokumentation „JFK: What the Doctors Saw“ erschienen. Seit dem 14. November ist sie auf „Paramount+“ zu sehen.
Die Angaben der Ärzte, mit denen Lueth gesprochen hatte, und jüngste Aussagen eines früheren US-Geheimdienstmitarbeiters stärken Zweifel an der Qualität bisheriger Beweisergebnisse zum Kennedy-Mord. Einige der befragten Mediziner äußerten Zweifel an den offiziellen Ermittlungsergebnissen. Der 88-jährige Ex-Secret-Service-Mitarbeiter Paul Landis wiederum räumte ein, den Tatort verändert zu haben.
Bis heute gilt die Einzeltäter-These zum Mord an JFK
Am Mittwoch, 22. November, jährt sich das Attentat auf den 35. Präsidenten der USA zum 60. Mal. Kennedy starb, nachdem er in einem offenen Cabrio an der Dealey Plaza von Schüssen getroffen wurde. Schon zeitnah nach der Ermordung des erst seit zwei Jahren im Amt befindlichen Staatsoberhauptes waren dessen Todesumstände Gegenstand von Spekulationen.
Die von JFK-Nachfolger Lyndon B. Johnson mit der Untersuchung beauftragte Warren-Kommission bestätigte 1964 die Einschätzung der Ermittlungsbehörden. Dieser zufolge war der Lagerarbeiter Lee Harvey Oswald, ein schwieriger Charakter mit kommunistischen Neigungen, Todesschütze und Alleintäter. Oswald wurde nur zwei Tage nach seiner Verhaftung vom Nachtklubbesitzer Jack Ruby vor laufenden Kameras erschossen. Zuvor hatte er gegenüber Ermittlungsbeamten angegeben, nur ein „Sündenbock“ zu sein.
Bereits im Jahr 1992 hatte Hollywood-Regisseur Oliver Stone die Recherchen von Staatsanwalt Jim Garrison in seinem Film „JFK – Tatort Dallas“ aufgearbeitet. Dieser hatte eine Vielzahl an Ungereimtheiten bezüglich der Ermittlungsergebnisse zutage gefördert. Die vorzeitige Veröffentlichung von Akten in Sachen JFK-Attentat in den Jahren 2017 bis 2022 brachte zwar einige neue Erkenntnisse, sämtliche Zweifel an der offiziellen Darstellung ließen sich jedoch auch dadurch nicht ausräumen.
Auf wessen Bahre befand sich das „Geschoss 399“?
Zu einem Mysterium nahm jüngst ein Zeitzeuge Stellung. Es geht um die sogenannte „magische Kugel“. Einem 17 Tage nach dem Mord veröffentlichten FBI-Bericht zufolge seien drei Schüsse auf JFK abgefeuert worden. Der erste habe Kennedy in den Rücken getroffen, der zweite den mit im Wagen sitzenden texanischen Gouverneur John Connally, der dritte sei der tödliche Kopftreffer gewesen.
Die Warren-Kommission sei zu einem anderen Schluss gekommen, die dieser Annahme widersprochen habe. Zudem habe es unterschiedliche Angaben über Eintritts- und Austrittswunden gegeben.
Eine der wesentlichen offenen Fragen betraf das sogenannte Geschoss 399. Diese fast intakte Patrone wurde auf einer Tragbahre im Parkland Hospital gefunden und dem Secret Service übergeben. Bis dato war man davon ausgegangen, dass die Bahre für Gouverneur Connally bestimmt war. Er war durch einen Schuss verletzt worden, man ging davon aus, dass die Kugel 399 aus seinem Körper gefallen war.
Theorie von der „magischen Kugel“ durch Landis-Aussagen zusammengefallen?
Am 9. September veröffentlichte die „New York Times“ ein Interview mit dem heute 88 Jahre alten Ex-Secret-Service-Agenten Paul Landis. Dieser will sich nun daran erinnern, eine „nahezu perfekt erhaltene Kugel“ vom Rücksitz von Kennedys Limousine aufgehoben zu haben.
Um zu verhindern, dass jemand die Kugel als Souvenir einstecken würde, habe er sie eingesteckt und ins Krankenhaus gebracht. Dort habe man den Präsidenten gerade auf einer Bahre zur Untersuchung gebracht. Über seine damaligen Wahrnehmungen äußerte Landis:
„Es war niemand da, um den Tatort zu sichern, und das hat mich sehr, sehr gestört.“
Die Kugel wurde später auf der Bahre gefunden. Dass man sie nicht an ihrem ursprünglichen Auffindungsort aufgefunden habe, war die Quelle der umstrittenen Theorie von der „magischen Kugel“.
Erst 2014 sei ihm klar geworden, dass der von ihm angegebene Fundort der Kugel nicht mit dem von der Warren-Kommission genannten übereinstimmte, äußerte Landis. Er habe daraufhin bei mehreren US-Beamten nachgefragt, sei aber auf Skepsis gestoßen. Ein ehemaliger Kollege habe ihn gewarnt, sein Wissen für sich zu behalten – widrigenfalls könnte dies „viele Konsequenzen“ haben.
„Aussehen des Präsidenten stimmte nicht mit Bethesda-Krankenhausbildern überein“
Während die Angaben von Landis eine mögliche Schwäche der offiziellen Darstellung beseitigen könnten, nähren die Aussagen der Ärzte von 2013 aus Lueths Dokumentation Zweifel.
Die Warren-Kommission hatte festgestellt, dass zwei Schüsse, die Oswald aus dem sechsten Stock des Texas School Book Depository abgefeuert habe, Präsident Kennedy von hinten trafen. Eine der Kugeln sei in seinen oberen Rücken eingedrungen und sei in der Nähe des Kehlkopfes ausgetreten. Die zweite sei in die rechte Seite seines Kopfes eingedrungen und über die Stirn ausgetreten.
Die Ärzte äußerten in ihren Gesprächen von 2013 teils übereinstimmend Zweifel an diesen Beweisergebnissen. So hielten sie eigenen Angaben zufolge die Wunde am Hals des Präsidenten für eine Eintrittswunde. Demgegenüber erklärten sie, ein „klaffendes Loch im Hinterkopf von JFK“ wahrgenommen zu haben. Auch erklärten die befragten Mediziner übereinstimmend, dass „das Aussehen des Präsidenten in Parkland nicht mit den Autopsiefotos übereinstimmte, die im Bethesda-Krankenhaus aufgenommen wurden, noch bevor die offizielle Autopsie begann“.
Ärzte hielten Wunde am Hals von JFK für eine Eintrittswunde
Der Chirurg Dr. Malcolm Perry, der JFK ebenso wie Oswald zu retten versuchte, habe auf einer Pressekonferenz ebenso von einer Eintrittswunde am Hals gesprochen. Dies behauptete sein Kollege Dr. Robert McClelland. Man sei davon ausgegangen, dass es eine Eintritts- und eine Austrittswunde gegeben haben musste:
„Das war die einzige Möglichkeit, wie wir es zusammensetzen konnten. Und so dachte ich, es sei eine Eintrittswunde.“
Eine Person, die McClelland für einen Geheimagenten hielt, soll anschließend an Perry herangetreten sein und diesen vor weiteren Aussagen dieser Art gewarnt haben. Er soll geäußert haben:
„Sie dürfen nie wieder sagen, dass das eine Eintrittswunde war, wenn Sie wissen, was gut für Sie ist.“
Warum, habe der 2019 im Alter von 89 Jahren verstorbene McClelland sich erst später zusammenreimen können. Wäre es eine Eintrittswunde gewesen, hätte der Schuss von vorne kommen müssen – und nicht aus dem sechsten Stock eines schräg dahinter gelegenen Lagerhauses. Auch hätte ein Schuss von dort keine so massive Austrittswunde am Hinterkopf hinterlassen.
Für McClelland stand fest, dass es „höchstwahrscheinlich eine Verschwörung, das heißt, mehr als einen Schützen“ gegeben haben musste.
Authentische Erinnerungen der Zeugen oder Mandela-Effekt?
Inwieweit die Angaben der nun präsentierten Zeugen authentisch sind und zur Klärung offener Fragen beitragen können, ist ungewiss. Die Befragten weisen ein hohes Lebensalter auf, die Ereignisse, über die sie berichten, liegen zum Teil mehr als ein halbes Jahrhundert zurück.
Falsche Erinnerungen gelten jüngsten psychologischen Erkenntnissen zufolge nicht nur als ein individuelles Phänomen. Sie können auch in Kollektiven auftreten – wie Erkenntnisse zum sogenannten Mandela-Effekt zeigen. Von daher müssen sich auch von allen JFK-Ärzten nach 50 Jahren bezeugte Darstellungen nicht zwingend so zugetragen haben.
Die Annahme, die offiziellen Ermittlungsergebnisse im Fall der Ermordung eines Präsidenten seien unvollständig, hat jedoch Verschwörungserzählungen den Weg geebnet. Dies gilt umso mehr, als heute einwandfrei feststeht, dass die Warren-Kommission eine andere Möglichkeit als eine Alleintäterschaft Oswalds von vornherein ausgeschlossen hat. Als mögliche Drahtzieher des Mordes gelten Gegnern der Alleintäter-These die Mafia, die Sowjetunion, Kuba – aber auch die CIA.
Geburtsstunde der Vorstellung vom „Deep State“ in den USA
Vielen gelten die Spekulationen um eine mögliche Verschwörung hinter dem Mord an JFK als Ausgangspunkt für die Theorie eines „Deep State“. Demzufolge soll es Netzwerke geben, die innerhalb des Staatsapparates, des Militärs oder der Nachrichtendienste wirken.
Sie sollen sich einem bestimmten Mindset verpflichtet fühlen, das vor allem längerfristige Festlegungen gegen Anfechtungen schützen sollen. Solche bestehen unter anderem in der Außenpolitik. Auch Ex-Präsident Donald Trump und viele seiner Anhänger sind der Überzeugung, dass Kräfte eines sogenannten Deep State dessen Präsidentschaft teils von innen heraus unterminiert haben.
Im Verdacht stehen neben Angehörigen der Demokraten auch Republikaner, die sich in den 1990ern und 2000ern wirkmächtigen Ideen wie dem Neokonservatismus verpflichtet fühlen.
Im Fall von JFK gehen Anhänger der Deep-State-Theorie davon aus, dass ein militärisch-industrieller Komplex ein direktes militärisches Eingreifen der USA in Vietnam sichern wollte. Sie sind davon überzeugt, dass JFK sich diesem entgegengestellt hätte.
Historiker sind sich dessen nicht sicher. JFK habe zwar nach anfänglicher Verstärkung der Anzahl an „Militärberatern“ erklärt, den Krieg gegen die Kommunisten müssten die Vietnamesen selbst gewinnen. Auch wollte er Ende 1963 etwa 1.000 US-Militärberater aus dem Land abziehen. Einen grundsätzlichen Strategiewechsel in der Südostasienpolitik der USA habe er jedoch nicht im Sinn gehabt, argumentiert Larry J. Sabato, Autor von „The Kennedy Half-Century. The Presidency, Assassination, and Lasting Legacy of John F. Kennedy“ (S. 126).
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